iinanzieri
Das verschollene Dokument
von Sidney Warburg
über die internationalen
Geldgeber des Dritten Reiches
herausgegeben und
eingeleitet von
Ekkehard
Franke-Gricksch
EN MET
VERTAALD DOOR J. G. SCHOUP
Dies ist das Titelblatt der niederländischen Erstausgabe des
ISBN 3-923864-00-0 |
VVA 226 00100
Warburg-Buches. Die drei Gespräche Warburgs mit Hitler
vor der nationalsozialistischen Machtübernahme sind heute
nicht nur wegen der sogenannten Schuldfrage des deut- _
schen Volkes, sondern auch wegen der richtigen Erkennt-
nis der politischen und geschichtlichen Realität unserer
Zeit, von brennender Aktualität. Die Erscheinung Hitlers
ist nur zu verstehen, wenn man in ihm nicht nur den
Exponenten deutscher, sondern internationaler Mächte-
gruppen und Machtkonstellationen sieht. Hitler ist keine
rein deutsche, er ist eine internationale Erscheinung. Es ist
mehr als fraglich, ob Hitler innenpolitisch gesiegt hätte,
wenn er in der Zeit seines Aufstiegs ausschließlich auf
deutsche Unterstützung angewiesen gewesen wäre. Hitler
genoß bedeutende positive moralische, politische und ma-
terielle Unterstützung von mächtigen westlichen Regie-
rungs- und Finanzkreisen, in deren internationaler Politik
er die Rolle eines tauglichen IIDERRAIENE spielte.
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
So wurde Hitler finanziert: Das
verschollene Dokument von
Sidney Warburg über die internationalen
Geldgeber des Dritten Reiches/
herausgegeben und eingeleitet von
Ekkehard Franke-Gricksch. Leonberg:
Verlag Diagnosen, 1983
ISBN 3-923864-00-0
NE: Franke-Gricksch, Ekkehard (Hrsg.)
© 1983 by Verlag Diagnosen, Leonberg
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere auch des fotomechanischen
Nachdrucks und der Fotokopie jeder Art.
Satz: Bauer & Bökeler Filmsatz GmbH, Denkendorf
Druck und Einband: Greiser Druck, Rastatt
Printed inGermany 1983
ISBN 3-923864-00-0
Eingescannt mit OCR-Software ABBYY Fine Reader
Vorwort
Winston Churchill schrieb einmal: «An irgendeinem Zeit-
punkt ihres Lebens stolpern die meisten Menschen einmal
über die Wahrheit. Der grösste Teil von ihnen springt auf,
klopft den Staub von den Kleidern und eilt seinen Geschäften
nach, als sei nichts geschehen.»
Wie handelt man wirklich in einer solchen Situation? Wie
handelt man, wenn einem als Herausgeber des zeitkritischen
Magazins «Diagnosen» der Zufall oder das Schicksal ein Buch
in die Hand gibt, das vor rund 50 Jahren zum ersten Mal
erschienen war?
Ich meine das Buch von Sidney Warburg «Die Geldquellen
des Nationalsozialismus».
Das englische Manuskript dieses Buches ist unwiederbring-
lich verschollen. Es wurde 1933 ins Niederländische über-
setzt und erschien als Buch in der Van Holkema und Waren-
dorfs Verlagsgesellschaft AG in Amsterdam. Kurz nach dem
Erscheinen des Buches zog der Verlag es wieder zurück und
erklärte es als eine Fälschung. Von der holländischen Aus-
gabe überlebten bis heute wenige Exemplare. Der Übersetzer
J.G. Schoup wurde ermordet.
Die Nationalsozialisten waren, nachdem sie die Macht über-
tragen bekommen hatten, an der Existenz dieses Buches nicht
interessiert. Es wurde alles vernichtet und verbrannt, was
Aufklärung über die Geldquellen des Nationalsozialismus
vor der Machtübernahme hätte geben können. Zeugen wie
Gregor Strasser wurden gezwungen, aus dem Leben zu schei-
den. Man hatte kein Interesse an der Wahrheit, mit welchen
finanziellen Mitteln es Hitler und seiner Partei gelungen war,
eine Organisation aufzubauen und sich damit so zu exponie-
ren, dass man ihm letztendlich die Macht in Deutschland an-
vertrauen musste.
Nach Auskunft des ehemaligen Reichskanzlers der Weimarer
Republik Heinrich Brüning lebte Sidney Warburg bald nach
Ausbruch des Dritten Reiches nicht mehr. Später wurde die
Existenz von Sidney Warburg überhaupt abgestritten und
das Buch als Fälschung erklärt.
Um das Bekenntnis von Sidney Warburg und seine drei
Gespräche mit Hitler besser verständlich zu machen, sind drei
Beiträge, die einen Einblick in das Dreiecksverhältnis Gold,
Dollar, Macht geben, vorangestellt. In diesen drei Kapiteln
wird versucht, dem Leser Tatsachen darzustellen, die zum
besseren Verständnis des Warburg-Textes dienen. Bei der
Übersetzung aus dem Niederländischen wurden redaktionelle
Überarbeitungen aus Gründen der historischen Authentizität
vermieden.
Das Geständnis von Sidney Warburg wird vielleicht etwas
Klarheit in unser heilloses Durcheinander sich widerspre-
chender, verworrener Ideologien bringen. Die Wahrheit ist
heute selten und so kostbar wie das Gold der Bankiers, und
wenn sie immer mit derselben Leidenschaft und Sorgfalt
gesucht werden würde wie das Gold, sähe unsere Welt sicher
ganz anders aus.
Zur Ergänzung und Abrundung des vorliegenden Buches
füge ich einen Beitrag von Dr. Georg Sand bei mit dem Thema
«Kannte Brüning Hitlers Geldquellen?’»
Sozusagen als Nachwort und aktuelle Aufarbeitung der
Probleme übernehme ich gern die Arbeit von Dr. Walter Nelz
«Was ist wahr im Fall Warburg?»
Januar 1983 Ekkehard Franke-Gricksch
Inhalt
4.
. Einleitung des Herausgebers
. Krieg als Geschäft der Bankiers 11
Alle Kriege haben wirtschaftlichen Ursprung — Aus
moralischen Gründen in den Krieg - Herzliche Bezie-
hungen zwischen den Bankiers — Geld ist die
schlimmste Schmuggelware — US-Kriegseintritt ret-
tete die Rothschilds — Der Weltkrieg als Folge wirt-
schaftlicher Rivalität - Baruch bestimmte den Muni-
tionspreis — Von Kriegsanleihen wurden Duplikate
gedruckt - Der Krieg als Geschäft der Bankiers —- Der
hochmütige Naserümpfer
. Weltwirtschaftskrise als weltweite Schröpfung 26
Finanzierung der russischen Revolution - Eine kleine
Gruppe kontrolliert die Währungen - Englands
Rückkehr zum Gold - Regierungen hilflos gegenüber
Bankiers — Der Anfang des Börsenkrachs — Bankiers
schaffen eine Geldschwemme - Zum Nutzen einer
Gruppe von Händlern
. Hitler als lukratives Geschäft 41
Hitler bietet Abhilfe - öl aus Kohle - Standard Oil
heiratet I. G. Farben — Hitler kommt an die Macht -
Aus dem Tagebuch des Botschafters Dodd — Immer
mehr Geld für Kriegsvorbereitungen
Literaturverzeichnis 53
I. Sidney Warburg:
So wurde Hitler finanziert
Vorwort des Übersetzers ins Niederländische J. G. Schoup
1929
Die ganze Welt bekam Geld von der Wall Street - Wir
lebten in einer Hölle — Die Reparationsschulden an
Frankreich — Die Raubritter aus dem Mittelalter -
Zwischen zwei Feuern — Das Leben hat mehr thrill - Für
Deutschland eine Revolution — Verlangt wurde eine
aggressive Auslandspolitik — Ich war mit Hitler endlich
allein — Alles für Geld — Kraft ist Leben, Leben ist Gewalt
— «Ich will kein Knecht in Deutschland sein» — «Sind Sie
auch ein Jude?» — Hundert Millionen Mark - Hitler
schimpfte auf Banken und Kommunisten — 10 Millionen
Dollar wurden zur Verfügung gestellt -— Mit Ehrerbie-
tung und Untertänigkeit
1931
Den Glauben an die finanzielle Legende verloren -
Kindlich unbeholfen und naiv — Die Franzosen stellten
Bedingungen - Ein Brief Hitlers aus Berlin — Nägel mit
Köpfen — Überall das gleiche Bild — Es geht um den
starken Mann - Uniformen für Arbeitslose - Das Wie-
dersehen machte Hitler Freude — Die Verträge von
Versailles kennen wir nicht — Alle Juden verschwinden -
Jetzt sind wir an der Reihe - «Sie sollen mich auf Knien
anerkennen» — Alles hängt vom Geld ab - «Ihr Interesse
geht mich nichts an» — Es dauerte fünf Tage - Ich wurde
beschattet und abgehört — Schwindler seid ihr alle -—
Entschuldigung von Göring — Der Heldenmut eurer
Leiber -— Der Segen Gottes ruht auf dem Kampf -
Fünfzehn Millionen Dollar das Maximum — «Amerika-
ner kennen unsere Pläne nicht» — Juden werden des
Landes verwiesen — «Was ich erreicht habe, bürgt für
mich» - Italienische Kultur mit deutschem Geist — Hitler
ist kein Fantast — Meine dritte Reise zu Hitler —
1933
Das Heer vom Hakenkreuz — Der Frontsoldat Hitler
spricht — Ein geknechtetes Volk erwacht — Reichswehr
nicht gegen Hitlers Truppen — Nachts brannte der
Reichstag — Es geht um den letzten Schlag — Wieviel
8
56
82
121
können Ihre Leute geben? - «Sie sind doch Jude!» — So
sehe ich Hitler - Hundert Millionen für den endgültigen
Sieg - «Ausmisten, wählt Nationalsozialisten!» — Für
Hitler noch einmal sieben Millionen Dollar
IH. Rudolf Sand:
Kannte Brüning Hitlers Geldgeber? 140
«Ich habe niemals öffentlich darüber gesprochen» — Es
sind vielverschlungene Pfade - Der Schleier über den
Dingen — Es muss eine furchtbare Wahrheit sein
IV. Walter Nelz:
Was ist wahr im Fall Warburg? 146
Ein Buch erscheint, das nie erschienen ist - Bücher haben
ihre Schicksale - Um die Wahrheit zu sichern —- Papens
Reinwaschung und Verhüllung — Wo ist die Wahrheit? —
Endlich eine offene Warburg-Diskussion — Das seltsame
Verhalten von James P. Warburg — Ohne Anklage
ermordet — Voraussage des Stalin-Hitler-Paktes - Ein
Zeugnis von Goebbels — Goebbels konnte nicht schwei-
gen — Die Erklärung von Warburg - Ein interessanter
Stil-Vergleich - Warum wurde nicht gerichtlich geklagt?
— Untersuchungen im Interesse der Wahrheit — Der
Wahrheit eine Gasse
I. Einleitung des Herausgebers
1. Krieg als Geschäft der Bankiers
Einer der geachtetsten Volkswirtschaftler der Wall Street
äusserte, dass die «US-Zentralbank selbstverständlich deshalb
geschaffen wurde, um die Vereinigten Staaten aus der
Umklammerung des Goldstandards zu befreien». Seit langem
hatte sich der Goldstandard als ungeeignet für den modernen
Handel erwiesen. Mit der Ausgabe von Gold und Kredit in
genauer Anlehnung an den Goldstandard konnte die indu-
strielle Entwicklung nicht finanziert werden. Die internatio-
nalen Elemente, die den Goldstandard kontrollierten, er-
kannten, dass sie ihn aufgeben mussten und mit ihm ihre
ungeheure politische und wirtschaftliche Macht, wenn sie
nicht eine geeignete Alternative anbieten konnten. Diese Al-
ternative war das Zentralbanksystem.
Durch den Hokuspokus um die Reserven konnten die Zen-
tralbanken, in den Vereinigten Staaten Federal Reserve Banks
genannt, die Ausgabe von Geld und Kredit viele Male erhö-
hen. Als dann Wertpapiere zur Grundlage der Geldausgabe
gemacht wurden, steigerten sich die papiernen Kredite in
ungeheurem Ausmass, und die Spekulanten errichteten phan-
tastische finanzielle Kartenhäuser, die zu gegebener Zeit
zusammenbrachen und den Investoren unvermeidliche Ver-
luste einbrachten. Diese Missbräuche führten direkt zur Krise
von 1929 unter der aktiven Mitwirkung des Federal Reserve
Board. Der Zusammenbruch der Weltwirtschaft blieb lange
Zeit unbehoben, mit Ausnahme dort, wo mit finanziellen
Massnahmen dagegen vorgegangen wurde.
Die Zukunft einer Finanzierung durch langfristige Schuld-
verschreibung ist äusserst ungewiss. Da die Bankiers der
Zentralbanken die nationalen Schulden weit über den Punkt
11
hinausgetrieben haben, wo sie möglicherweise zurückgezahlt
werden können, sind sie praktisch nur Guthabenverwalter
der jährlich anfallenden Zinsen.
Diese Bankiers sind daher verzweifelt bemüht, den wirt-
schaftlichen Zustand aufrechtzuerhalten und sicherzustellen,
dass sie weiterhin Zinsen einkassieren können.
Alle Kriege haben wirtschaftlichen Ursprung
Vor 1914 und vor der Einrichtung des Federal Reserve System
waren die Vereinigten Staaten eine Nation von Schuldnern,
das heisst, sie borgten auswärts sehr viel Geld und
gaben selten internationale Anleihen heraus, vor allem deswe-
gen, weil Amerikas Geld und Kredit nicht von einer Zentral-
bank mobilisiert wurde. Der New Yorker Geldmarkt war
wohl fähig, Industrieunternehmen im Ausland zu finanzie-
ren. Er finanzierte auch einen kleinen Krieg - den für Kubas
Zuckerindustrie 1898 — aber er war nicht stark genug, sich
selbst zu verpfänden, um nationale Anleihen herauszugeben.
Das System nationaler Anleihen, das durch die Rothschilds
während der napoleonischen Kriege vervollkommnet wurde,
diente dazu, die kontinentalen Kriege im 19. Jahrhundert zu
finanzieren, wie auch den Süden während des amerikani-
schen Bürgerkrieges. Diese nationalen Anleihen wurden
durch die internationale Finanzorganisation der Brüder
Rothschild ermöglicht, die in allen europäischen Hauptstäd-
ten Zweigstellen errichtet hatten. Auf diese Weise konnten
die Risiken und auch die Gewinne jeder Anleihe verteilt
werden. Ausserdem verringerte eine internationale Einrich-
tung die Möglichkeit des Eingriffs oder der Kontrolle durch
die Regierung.
Um 1900 war es offenbar geworden, dass die europäischen
Länder keinen grossen Krieg führen konnten. Wohl hatten sie
stehende Heere, die allgemeine Wehrpflicht und Zentralban-
ken, die einen Krieg finanzieren konnten, doch ihre Wirt-
schaft hätte sich ihn nicht leisten können. Schon im April
12
1887 wiesen die Herausgeber des «Quarterly Journal of Eco-
nomics» darauf hin und schrieben:
«Ein ausführlicher Überblick über die öffentliche Verschul-
dung Europas zeigt eine Summe von 5‘°343 Millionen Dollar
jährlich an Zinsen- und Tilgungszahlungen. M. Neymarcks
Schlussfolgerung entspricht weitgehend der von Mr. Atkin-
son. Die Finanzen Europas sind so in Anspruch genommen,
dass die Regierungen sich fragen mögen, ob nicht ein Krieg
mit all seinen schrecklichen Aussichten der Aufrechterhal-
tung eines so prekären und kostspieligen Friedens vorzuzie-
hen sei. Wenn die militärischen Vorbereitungen in Europa
nicht in einem Kriege enden, können sie zu einem Bankrott
der Staaten führen. Oder, wenn solche Torheiten weder zu
einem Kriege noch zu einem Untergang führen, dann weisen
sie auf bevorstehende industrielle und wirtschaftliche Revo-
lutionen hin.»
Aus moralischen Gründen in den Krieg
Der Erste Weltkrieg begann 1914. Die Federal-Reserve-
Banken begannen ihren in den USA 1914. Das «System»
zwang die Amerikaner, den Alliierten 25 Milliarden Dollar
zu leihen, die mit Ausnahme der Zinsen nicht zurückbezahlt
wurden. Die Zinsen aber gingen an die New Yorker Bankiers.
Das System drängte die USA auch in den Krieg gegen das
deutsche Volk, mit dem sie keinen erdenklichen politischen
oder wirtschaftlichen Streit hatten. Der deutsche Gesandte in _
der Türkei, Baron Wangenheim, fragte Henry Morgenthau.
den amerikanischen Gesandten in der Türkei, warum die
Vereinigten Staaten Krieg gegen Deutschland führen wollten,
wo es doch keine Gründe für solch einen Angriff gebe. «Wir
Amerikaner, erwiderte Morgenthau und sprach vermutlich
für jene Gruppe von Grundstücksspekulanten in Harlem, deren
Kopf er war, «wir Amerikaner gehen aus moralischen Gründen
in den Krieg.»
Jener moralische Grundsatz barg eine beträchtliche Menge
Gold in sich. Mr. Morgenthaus moralische Grundsätze
stammten aus den New Yorker Slums, wo er Wohnungen zu
hohen Preisen an arme Neger vermietet hatte. Ein weiteres
Studium der moralischen Grundsätze, die den Eintritt der
Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg veranlassten,
offenbart, dass die Duponts nach der Kriegserklärung den
Preis des Schiesspulvers für die Regierung verdoppelten und
dass J. P. Morgan Co. die Ausgabe der ersten «Freiheitsanlei-
he» gestattet wurde, um dieser Firma 400 Millionen Dollar
zurückzuzahlen, die ihr England schuldete.
Herzliche Beziehungen zwischen den Bankiers
Woodrow Wilsons inoffizieller Kurier und Vertrauter wäh-
rend der ganzen Zeit seiner Regierung war Colonel House,
der ihm von dem deutsch-amerikanischen Bankier Paul War-
burg aufs Wärmste empfohlen worden war. Colonel House
war mehrere Jahre hindurch Wilsons privater Abgesandter in
Europa und hielt die herzlichen Beziehungen zwischen den
beiden Bankiers Felix und Paul Warburg vom Bankhaus
Kuhn, Loeb & Co. in New York und dem Rest der Familie in
Amsterdam und Hamburg aufrecht, einschliesslich des Bru-
ders, der Chef des deutschen Geheimdienstes war.
Die Funktion der internationalen Bankhäuser wie Roth-
schilds in London, J.P. Morgan, Bliss & Co. und von
J.P. Morgan, Drexel & Co. wurde auch nach Ausbruch des
Ersten Weltkrieges kaum beeinträchtigt. Auch die Arbeit der
Federal-Reserve-Banken verringerte den Einfluss der Bank-
häuser nicht. Vielmehr wurden die internationalen Finanz-
verbindungen durch das Vorhandensein von Zentralbanken
in den Ländern sehr erleichtert.
Die von Rothschild beherrschte Bank of England konnte jetzt
direkt mit ihrem Hauptvertreter in den Vereinigten Staaten,
Paul Warburg, in dem von den Rothschilds finanzierten
Hause Kuhn, Loeb & Co. verhandeln. Nach dem Krieg
bewies der Völkerbund seine Ergebenheit gegenüber den
14
Präsident Wilson und Colonel House. Colonel House war Wilsons Ver-
trauter, und er hielt auch die herzlichen Beziehungen zwischen den bei-
den Bankiers Felix und Paul Warburg vom Bankhaus Kuhn, Loeb & Co.
in New York und dem Rest der Familie in Amsterdam und Hamburg auf-
recht, einschliesslich des Bruders, der Chef des deutschen Geheimdiens-
tes zu Zeiten Kaiser Wilhelms II. war.
Interessenten dadurch, dass er sich weigerte, Anleihen an jene
Nationen zu vergeben, die keine Zentralbank hatten oder den
Goldstandard nicht anerkannten.
In den Jahren 1915/16 hielt der US-Präsident Wilson den
Bankiers, die ihm die Präsidentschaft in den Vereinigten
15
Staaten erkauft hatten, die Treue und weigerte sich, auf die
Anklagen seines Ministers William Jennings Bryan zu hören,
der sich dagegen wandte, dass den Alliierten über die Roth-
schilds Anleihen gegeben wurden.
«Geld», sagte Bryan, «ist die schlimmste Schmuggelware»,
und die amerikanischen Anleihen an die Verbündeten wäh-
rend der zweieinhalb Jahre vor dem Eintritt in den Ersten
Weltkrieg bedeuteten einen schlimmeren Angriff als die ver-
spätete Einschiffung von Truppen im Jahre 1917, nachdem
Wilsons Kriegserklärung der Angelegenheit den Anschein
von Legalität gegeben hatte.
Bis 1917 hatten die Morgans und Kuhn, Loeb & Co. einein-
halb Milliarden Dollar als Anleihen an die Alliierten ausgege-
ben, verkauft in Schuldscheinen durch die grossen Finanziers
von New York. Die Bankiers gaben Hunderttausende von
Dollar aus, um die Amerikaner zum Krieg zu bewegen; sie
benutzten dazu die Veröffentlichungen der belgischen Hilfs-
kommission, die Greuelmärchen erfand, und der «League to
Enforce Peace», einer Carnegie-Organisation, die den Krieg
schürte. Eine Schiffsladung mit Munition nach der anderen
wurde nach England und Frankreich verschickt, und man
forderte Deutschland geradezu heraus, diese Schiffe zu ver-
senken; und eines von ihnen, die Lusitania, wurde versenkt.
Bei der Versenkung der Lusitania starben Amerikaner; doch
die Ware an Bord, die Kriegsmunition aus den Werken von
Cleveland H. Dodge, war bezahlt. Doch war das nichts im
Vergleich zu den vielen Amerikanern, die in Frankreich
sterben mussten, und zu den Vermögen, die durch den Tod
amerikanischer Soldaten gewonnen wurden.
Walter Hines Page, Gesandter in Grossbritannien, beklagte
sich, dass er sich diese Position nicht leisten könne. Sofort
wurden ihm 25’000 Dollar jährlich von Cleveland H. Dodge
gespendet. H. L. Menchen klagte Page öffentlich an, im Jahr
1916 britischer Agent gewesen zu sein. Am 5.März 1917
sandte Walter Hines Page einen vertraulichen Brief an Woo-
drow Wilson, in dem es hiess:
«Ich glaube, dass der Druck der herannahenden Krise die
16
finanziellen Möglichkeiten Morgans zugunsten der Briten
und Franzosen übersteigt. Der Geldbedarf wird zu gross und
zu dringend für jede private Agentur, die immer mit Eifer-
sucht der Rivalen und Behörden rechnen muss. Die grösste
Hilfe, die wir den Verbündeten geben könnten, bestünde in
einem Kredit. Unsere Regierung könnte eine beträchtliche
Summe des Geldes in einer französisch-britischen Anleihe
anlegen oder die Bürgschaft für eine solche Anleihe überneh-
men. Natürlich kann sie diesen Kredit nur gewähren, wenn
wir an dem Krieg gegen Deutschland teilnehmen.»
US-Kriegseintritt rettete Rothschilds
Noch innerhalb dieses Monats verlangte Woodrow Wilson
vom Kongress die Kriegserklärung, um amerikanische Ban-
kiers vor dem Verlust von eineinhalb Millionen Dollar zu
bewahren und um einen Absatzmarkt für Waffen zu schaf-
fen. Die erste Freiheitsanleihe (Liberty Loan) von 400 Millio-
nen Dollar ging an J.P. Morgan, um eine britische Anleihe
zurückzuzahlen.
Das war aber erst der Anfang. Eineinhalb Jahre lang ström-
ten die Bankiers und die Manager der Schwerindustrie und
des Transport- und Verkehrswesens nach Washington, wo sie
25 Millionen Dollar amerikanischen Vermögens ausgaben.
Diese ganze Summe ging an Unternehmungen, die ihnen
gehörten. Das Schauspiel, das Eugene Meyer Jr., Direktor der
War Finance Corporation, bot - er benutzte seine Ernennung
dazu, sich selbst für viele Millionen Dollar Staatsanleihen zu
verkaufen -, ist ein Massstab für die Ränke, die während des
Krieges in Washington geschmiedet wurden.
Der wirkliche Grund von Pages Brief an Wilson war die
Tatsache, dass die Rothschilds über das Ausmass der militäri-
schen Erfolge Deutschlands beunruhigt waren und fürchte-
ten, die Deutschen könnten schliesslich den Krieg doch noch
gewinnen. Das Fman/chaos, das ihre Agenten die Familie,
Warburg, die die kaiserliche Kriegführung finanzierte) in
17
Deutschland herbeiführten, berührte die deutsche Kriegsma-
schine nicht wesentlich, ebensowenig wie die Stellung von
Paul Warburgs Bruder, der es als Chef des deutschen Geheim-
dienstes genehmigte, dass Lenins Zug durch Deutschland an
die russische Front fuhr, was entscheidend dazu beitrug, die
bolschewistische Revolution zu ermöglichen.
Der drastische Schritt Amerikas, in den Krieg einzutreten,
war notwendig, um die übersteigerten Anleihen Rothschilds
zu retten und die Gefahr von ihren privaten Banken in
Frankreich und England abzuwenden und um sie dem ameri-
kanischen Volk aufzubürden. Die finanzielle Zukunft der
Vereinigten Staaten wurde also verpfändet, um Sicherheit für
die Anleihen der Alliierten zu schaffen.
Die amerikanische Schwerindustrie hatte sich nach den Wor-
ten des Marinestaatssekretärs, Franklin D. Roosevelt, etwa
ein Jahr auf den Krieg vorbereitet. Das Armee- und Marine-
ministerium hatten seit Anfang des Jahres 1916 grosse Kriegs-
vorräte eingekauft. Cordell Hull bemerkte dazu in seinen Me-
moiren:
«Der Krieg erzwang die Entwicklung des Einkommensteu-
ergesetzes. Es trat gerade zur rechten Zeit in Kraft, um den
Forderungen des Krieges gerecht zu werden. Ebenso unter-
stützte der Krieg den Beginn der Tätigkeit des Federal-Re-
serve-Systems.»
Das «Journal of Political Economy» vom Oktober 1917 stellte
fest:
«Der Einfluss des Krieges auf die Geschäfte der Federal-Re-
serve-Banken bewirkte eine ungeheure Erhöhung des Perso-
nalbestandes mit einer entsprechenden Erhöhung der Aus-
gaben. Die Schöpfer des Federal-Reserve-Gesetzes hatten da-
für gesorgt, dass die Federal-Reserve-Banken als fiskalische
Agenten der Regierung handeln sollten, aber sie waren
selbstverständlich nicht imstande, so rasch in dieser Rich-
tung so weitreichende Forderungen zu erfüllen.»
Sowohl Hull wie die Herausgeber des «Journal of Political
Economy» stellten befriedigt und überrascht fest, dass das
Federal Reserve System und der Erste Weltkrieg, die beide zur
gleichen Zeit begannen, sehr gut zueinander passten.
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«Wir gehen aus moralischen Grundsätzen in den Krieg», hiess die Devise
für die Teilnahme der Vereinigten Staaten am Ersten Weltkrieg. Dieser
«moralische Grundsatz» barg für die Soldaten Tod und Leid in sich und
für die internationalen Bankiers eine Menge Gold.
19
Der Weltkrieg als Folge wirtschaftlicher Rivalität
Was auch immer Wilsons Gedanken über Amerikas Eintritt
in den Krieg waren, er lieferte sein Land während des Krieges
rücksichtslos den Bankiers aus. Das Schicksal des amerikani-
schen Volkes wurde in die Hände von drei Diktatoren gelegt,
die alle drei Spekulanten der Wall Street waren und niemals
in ein Amt gewählt worden waren. Bernard Baruch, Eugene
Meyer Jr. und Paul Warburg, alle von ihrem Strohmann
Wilson ernannt, übten grössere Macht über das amerikani-
sche Volk aus als irgendein Präsident; denn hinter ihnen stand
die Finanz-Oligarchie, die seit 1863 unbestrittene Macht im
Land besass.
1890 lenkte Bernard Baruch zum ersten Mal die Aufmerk-
samkeit auf die Wall Street, wo er als gewandter junger Mann
für die Börsenmakler A. A. Housman & Co. arbeitete. Bör-
senmakler wie Thomas Fortune Ryan und Henry H. Rogers
erkannten in ihm einen aussergewöhnlichen Organisator von
Gesellschaften. 1896 vereinte er die sechs wichtigsten Tabakge-
sellschaften der Vereinigten Staaten zur Consolidated Tobacco
Co. und zwang James Duke von der American Tobacco Co.,
diesem gigantischen Trust beizutreten.
Der zweite grosse Trust, den Baruch organisierte, war der
Kupfertrust, der für die Familie Guggenheim gebildet wurde,
die seit jeher die Kupferindustrie Amerikas beherrschte.
Baruchs erster Kontakt mit der Firma Kuhn, Loeb Co. bot
sich an, als er und Edward H. Harriman — der Frontkämpfer
in Jacob Schiffs erfolgreichen Feldzug, um die Eisenbahnen
Amerikas für die Rothschilds zu gewinnen - ihre Talente
vereinten, um die Kontrolle über das öffentliche Verkehrswe-
sen der Stadt New York zu bekommen.
1901 gründeten Bernard Baruch und sein Bruder Hermann
in New York die Firma Baruch Brothers, Bankers. 1917
wurde sie wieder aufgelöst, damit Bernard den Vorsitz im
War Industries Board übernehmen konnte, aus ihr wurde die
Firma Hentz Brothers“ Bankers.
In einer Biographischen Skizze des «New Yorker» wurde über
20
Baruch berichtet, dass er einmal an einem Tag 750‘000 Dollar
durch Stahlaktien der Vereinigten Stahl gewann, nachdem
ein falsches Friedensgerücht in Washington in Umlauf ge-
bracht worden war. Mit der Verbreitung des Friedensge-
rüchts fielen die Aktien, und Baruch kaufte von ihnen auf,
soviel er konnte. 50‘000 Dollar hatte er für Woodrow Wilsons
Wahlfeldzug Ueig Besteuert, ünd als’ Gegenleistung erhielt er
die Kontrolle über Amerikas Schwerindustrie.
Baruch bestimmte den Munitionspreis
Bernard Baruch war auch das entscheidende Mitglied der
Kommission, die die Preise für Munition festsetzte. Das
bedeutete, dass er bestimmte, zu welchem Preis die Regierung
der USA auch Kriegsmaterial von Baruchs eigenen Gesell-
schaften kaufte. Jedoch übte er als Vorsitzender des War
Industries Board vor allem geradezu diktatorische Gewalt
über die amerikanischen Fabriken aus. Bei den Verhören des
Nye Committee im Jahre 1935 bezeugte Baruch:
«Präsident Wilson ermächtigte mich in einem Brief, jede
Industrie und jedes Werk zu übernehmen. Mit Richter Gary,
dem Präsidenten der United States Steel, hatten wir Unan-
nehmlichkeiten,; doch als ich ihm jenen Brief zeigte, sagte er:
‚Ich glaube, wir müssen das anerkennen‘, und er erkannte es
an.»
Woodrow Wilson zahlte Baruchs Wahlgelder in Höhe von
50‘000 Dollar zurück, indem er die gesamte amerikanische
Regierung Baruchs Manipulationen auslieferte. Im Kongress
gab es jedoch Abgeordnete, für deren Wahl Baruch keine
50‘000 Dollar ausgegeben hatte, und sie wollten wissen,
welche Qualitäten er besitze, dass ihm während des Krieges
Gewalt über Leben oder Tod der amerikanischen Industrie
gegeben wurde. Er war kein Fabrikant und hatte in seinem
Leben kaum eine Fabrik berieten. Von einem Komitee des
Kongresses nach seinem Beruf gefragt, nannte er sich einen
«Spekulanten».
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Von Kriegsanleihen wurden Duplikate gedruckt
Der zweite der drei Imperatoren der Vereinigten Staaten im
Jahre 1917 war Eugene Meyer Jr., der Sohn des dominieren-
den Teilhabers im internationalen Bankhaus Lazard Freres in
Paris und New York. Meyer und Baruch kauften 1915 ge-
meinsam die Alaska-Juneau-Goldmine und waren Partner in
anderen Finanzspekulationen.
Auf Betreiben Baruchs wurde Meyer von Woodrow Wilson
zum Vorsitzenden der War Finance Corporation (Kriegsfi-
nanzgesellschaft) ernannt. Das Spezialgebiet von Meyers
Stammhaus Lazard Freres war der internationale Goldhan-
del, und sein Eigentumsrecht an der Alaska-Juneau-Gold-
mine und seine Goldminenbesitzungen in Südafrika machten
ihn zu einem geachteten Mitglied des auserwählten Kreises
internationaler Finanzleute.
Als Vorsitzender des War Finance Committee war er damit
beauftragt, grosse Mengen von Staatspapieren an Handelsfir-
men abzusetzen. Die Mitgliedsbanken des Federal Reserve
System standen unter der Herrschaft von Paul Warburg;
doch Meyer betrieb die Kriegsfinanzierung durch jene Geld-
agenturen und Banken, die sich nicht unter der Kontrolle des
System befanden. Meyer benutzte seine Stellung ausserdem
dazu, an sich selbst, das heisst an Eugene Meyer Jr., New
York, für Millionen Dollar Obligationen der Vereinigten Staa-
ten zu verkaufen.
Bei der Untersuchung des Senats, aufgrund welcher Qualifi-
kation Meyer dem Federal Reserve Board angehörte - für
diese Position hatte ihn Herbert Hoover vorgeschlagen -,
stellte ein alter Freund aus London, Senator Robert L.Owen,
der Vorsitzende des Senatskomitees für das Bank- und Wäh-
rungswesen, am 27. Januar 1931 fest, dass Meyer ein Schwa-
ger George Blumenthals war, eines Mitglieds der Firma J. P.
Morgan Co., dem Agenten von Rothschild.
Weitere Beweise enthüllten, dass unter Meyers Leitung min-
destens für 24 Millionen Dollar Liberty Bonds als Duplikate
gedruckt worden waren und dass für 10 Milliarden First War
22
Obligations heimlich vernichtet worden waren. Als die
Bücher dem Komitee zur Prüfung ausgehändigt waren, ent-
deckte man, dass sie jeden Abend in das Finanzministerium
zurückgebracht und Änderungen in den laufenden Protokol-
len vorgenommen worden waren. Obwohl das einige Kon-
gressmitglieder bezeugten, wurde Meyers Berufung in das
Federal Reserve Board aufrechterhalten und Hoovers Urteil
damit gerechtfertigt.
Das dritte Mitglied des Triumvirates, das die USA während
des Ersten Weltkrieges regierte, war Paul Warburg. Im Hin-
blick auf seine militärische Bedeutung für die Vereinigten
Staaten während des Krieges berichtete am 12. Dezember
1918 der Marinegeheimdienst über ihn:
«Warburg, Paul, New York City, Deutscher, 1911 als Ameri-
kaner eingebürgert, 1912 vom Kaiser mit einem Orden ausge-
zeichnet, war stellvertretender Vorsitzender des Federal Re-
serve Board, verfügte über grosse Summen, die ihm von
Deutschland für Lenin und Trotzki beschafft wurden. Hat ei-
nen Bruder, der Leiter der deutschen Spionage ist.»
Der Krieg als Geschäft der Bankiers
Paul Warburg blieb Finanzdiktator der Vereinigten Staaten
während des Ersten Weltkrieges bis zum Mai 1918. Wie die
«New York Times» berichtete, gab er in seinem Entlassungs-
gesuch an, dass einige Bedenken gegen ihn erhoben worden
waren, weil er einen Bruder im schweizerischen Geheimdienst
hätte. Die USA befanden sich nicht im Krieg mit der Schweiz.
Aber Warburg wagte es nicht zuzugeben, dass sein Bruder zur
selben Zeit Chef des deutschen Geheimdienstes war, als er
selbst im Vorstand des Federal Reserve Board sass. Aufjeden
Fall hätte ein Mann, der vom Kaiser ausgezeichnet worden
war, mit einigem Argwohn angesehen werden müssen, beson-
ders nachdem die USA durch die antideutsche Propaganda
ihrer führenden Zeitungen in den Jahren 1917/18 sich in
einem hysterischen Zustand befanden. Da Warburg noch
23
fünf Jahre vor dem Krieg deutscher Staatsangehöriger gewe-
sen war, wäre er unter der liberalen Politik Franklin D. Roo-
sevelts in ein Internierungslager gebracht worden.
Diese drei von Wilson ernannten Männer beherrschten wäh-
rend des Ersten Weltkrieges die Finanzen und die Industrie
- der Vereinigten Staaten.
Baruch beherrschte die Industrie, Meyer beherrschte Geld
und Kredit jener Banken, die nicht zum Federal Reserve
System gehörten, und Warburg beherrschte das amtliche Ban-
kensystem der amerikanischen Nation.
Präsident Woodrow Wilson, der Deutschland den Krieg
erklärte, hatte für einen Mann, der als Verteidiger des einfa-
chen Volkes in die Geschichte eingegangen ist, eine unge-
wöhnliche Laufbahn. Sein grösster Befürworter in beiden
Wahlkämpfen für seine Präsidentschaft war Cleveland
H. Dodge. Dieser kam aus der von Kulm. Loeb Co. kontrol-
lierten National City Bank von New York und war zugleich
Präsident der Rüstungsfirmen Winchester Arms Company
und der Remington Arnis Company. Dodge war sehr eng mit
Präsident Wilson befreundet, solange dieser Demokrat eine
Rolle im politischen Leben spielte. Am 12. Februar 1914 hob
Wilson das Waffenembargo gegen Mexiko auf, so dass Dodge
für eine Million Dollar Waffen und Munition nach Carranza
verschiffen und damit die mexikanische Revolution fördern
konnte. Kuhn, Loeb Co., denen das mexikanische Eisenbahn-
netz gehörte, waren mit der Regierung Huerta unzufrieden ge-
worden.
Als 1915 das britische Marinehilfsschiff Lusitania versenkt
wurde, war es mit Munition aus den Fabriken von Dodge
beladen.
Dodge war dafür bekannt, dass er sich gegen Streikende in
seinen Werken berufsmässiger Gangster bediente, doch den
liberalen Wilson scheint das nie gestört zu haben.
adge wurde Vorsitzender des «Fonds für die überlebenden
Opfer der Lusitania», und er ist es gewesen, der in hohem
Masse dazu beitrug, die Öffentlichkeit gegen Deutschland
aufzustacheln.
24
Londoner im Siegestaumel nach Beendigung des Ersten Weltkrieges. Sie wurden
um des Profits willen missbraucht und waren die Statisten, damit der
Erste Weltkrieg das erhoffte grosse Geschäft wurde.
25
Der hochmütige Naserümpfer
Den Schlüssel zu Wilsons angeblichem Liberalismus kann
man in Chaplins Buch «Wobbly» finden, das davon berichtet,
wie Wilson das Wort «Verweigert» quer über das Gnadenge-
such des alternden und kränkelnden Eugen Debs kritzelte.
Debs war ins Atlanta-Gefängnis eingeliefert worden, weil er
«gegen den Krieg sprach und schrieb».
Der italienische Minister Pantaleoni gab den Gefühlen der
europäischen Völker treffend Ausdruck, als er schrieb: «Woo-
drow Wilson ist der Typ eines hochmütigen Naserümpfers,
der sich nun inmitten eines allgemeinen Zusammenbruchs
aus dem Staub macht.»
Es ist das Unglück der USA, dass sein subventioniertes Presse-
und Schulwesen sich darum bemühte, einem Mann ein ehren-
des Andenken zu bewahren, mit dessen Einverständnis so viel
Not und Tod in der ganzen Welt verursacht wurde.
2. Weltwirtschaftskrise als weltweite Schröpfung
Die zwölf Federal-Reserve-Banken der Vereinigten Staaten
unterscheiden sich in ihren geschäftlichen Grundprinzipien
nicht von anderen Notenbanken wie der Bank von England,
der Bank von Frankreich, der alten Deutschen Reichsbank
oder der heutigen Bundesbank. Die Federal-Reserve-Banken
in den USA leiten ihr Bestreben und ihre Rechte von Gesetzen
ab, die durch den amerikanischen Kongress verabschiedet
wurden. Sie dienen unter Aufsicht der Regierung öffentli-
chen Interessen.
Anfang der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts spielte das
Federal Reserve System bei dem Wiedereintritt Russlands in
die internationale Finanzstruktur eine entscheidende Rolle.
Winthrop und Stimson waren hierbei die Verbindungsleute
26
zwischen den russischen und amerikanischen Bankiers, und
Henry L. Stimson führte die Verhandlungen nach Roosevelts
Wahl, die zur Anerkennung der Sowjets führten. Schon lange
zuvor hatten die amerikanischen und russischen Bankiers ihre
Finanzbeziehungen wieder aufgenommen.
Das Federal Reserve System begann schon 1920 russisches
Gold einzukaufen, und die russische Währung wurde an den
Börsen wieder notiert. Nach der Selbstbiographie von Colo-
nel Ely Garrison und nach dem Bericht des Marinegeheim-
dienstes der Vereinigten Staaten ist die russische Revolution
von den Rothschilds und Warburgs finanziert worden, und
ein Mitglied der Familie Warburg trug die Kosten, die Lenin
und Trotzky in Stockholm 1918 verursachten.
In einem Artikel der englischen Monatszeitschrift «Fort-
nightly» vom Juli 1922 steht:
«Während des vergangenen Jahres ist praktisch jede kapi-
talistische Einrichtung wiederhergestellt worden. Das be-
zieht sich auf die Staatsbank, auf das private Bankwesen,
auf die Börse, auf das Recht, Geld in unbegrenzter Höhe zu
besitzen, auf das Erbschaftsrecht, auf das Wechselsystem
und auf andere Einrichtungen und Praktiken, die sich auf
die Führung privater Industrie- und Handelsbetriebe bezie-
hen. Einen grossen Teil der vorher verstaatlichten Industrie
kann man jetzt in halb-unabhängigen Trusts finden.»
Die Organisation mächtiger Trusts in Russland unter der
Maske des Kommunismus machte es möglich, ihnen
beträchtliche finanzielle und technische Hilfen aus den Ver-
einigten Staaten zukommen zu lassen. Die russische Aristo-
kratie war ausgelöscht worden, da sie zu kraftlos gewesen
war, einen modernen Industriestaat aufzubauen. Die interna-
tionalen Finanziers versorgten Lenin und Trotzky mit Geld-
mitteln, um das zaristische Regime zu stürzen und Russland
die Fortführung des Ersten Weltkrieges zu ermöglichen.
Peter Drucker, der Sprecher der Oligarchie in den USA,
erklärte 1948 in einem Artikel der «Saturday Evening Post»:
«Russland ist das Ideal einer geleiteten Volkswirtschaft, auf die
wir uns zubewegen.»
27
Die Ausgabe von ausreichend Geld konnte in Russland erst
geschehen, nachdem alle Macht in die Hände einer Regierung
gelegt worden war, die die absolute Kontrolle über das Volk
hatte. Während der zwanziger Jahre gab Russland grosse
Mengen sogenanntes «Inflationsgeld» heraus, das eine mani-
pulierte Währung war. Im Juli 1922 wurde in demselben
Artikel der «Fortnightly» die Bemerkung gemacht:
«Da wirtschaftlicher Druck die astronomischen Zahlen der
Währung hervorgebracht hat, kann er sie niemals zerstö-
ren. Für sich genommen, ist das System in sich abgeschlos-
sen, logisch perfekt, sogar intelligent. Es kann nur durch
einen Zusammenbruch oder eine Vernichtung des politi-
schen Gebäudes, das es ziert, zu Grunde gehen.»
Admiral Koltschak, der Führer der weissrussischen Armeen,
wurde eine Zeitlang von jenen internationalen Bankiers
unterstützt, die britische und amerikanische Truppen nach
Sibirien schickten, um einen Vorwand zu haben. Koltschak —
Rubel zu drucken. 1920 manipulierten die Bankiers an der
Londoner Börse gleichzeitig die alten Zaren-Rubel, die
Kerensky- und die Koltschak-Rubel, je nach der Bewegung
der alliierten Truppen, die Koltschak halfen.
Finanzierung der russischen Revolution
Koltschak besass auch eine beträchtliche Goldmenge, die von
seinen Armeen erbeutet worden war. Nach seiner Niederlage
verschwand ein ganzer Zug dieses Goldes in Sibirien. Bei den
Senatsanhörungen im Jahre 1921 über das Federal Reserve
System kam heraus, dass das System dieses Gold erhalten
hatte.
Das Kongressmitglied Dubar stellte dem Mitglied W. P. G.
Harding vom Federal Reserve Board folgende Frage:
Dubar: «Mit anderen Worten, Russland schickt den euro-
päischen Staaten sehr viel Gold, die es ihrerseits nach
Amerika senden?»
Harding: «Das geschah, um das zu bezahlen, was in Amerika gekauft
28
nn I
s > nn
Lenin und Stalin: Gold kennt keine Nationalität und keine Rasse. Die
internationalen Finanziers beschafften die Geldmittel, um die russische
Revolution zu ermöglichen.
worden war, und um einen Dollaraustausch zu schaffen.»
Dubar: «Und zur selben Zeit kam jenes Gold aus Russland durch Eu-
ropa?»
Harding: «Einiges hielt man für Gold von Koltschak, das durch Sibi-
rien kam; aber das geht die Federal-Reserve- Banken nichts an. Der
Finanzminister hatte Anweisungen erlassen, dass die Kontrollbüros
kein Gold annehmen sollten, das nicht die Prägemarke einer befreun-
deten Nation trüge.»
Was Gouverneur Harding unter dem Ausdruck einer «be-
freundeten Nation» verstand, ist nicht klar. 1921 befand sich
Amerika, militärisch wenigstens, mit keinem Land im Krieg.
Auf jeden Fall begann der Kongress jetzt, sich mit dem
internationalen Goldhandel des Federal Reserve System zu
befassen. Harding konnte wohl mit den Achseln zucken und
29
sagen, dass es nicht Sache der Federal-Reserve-Banken wäre,
danach zu fragen, woher das Gold käme.
Gold kennt keine Nationalität und keine Rasse. Seit 1906
interessierten sich die Vereinigten Staaten nicht mehr dafür,
woher ihr Gold kam. Finanzminister Shaw hatte mit mehre-
ren grösseren New Yorker Banken (an denen er selbst Inter-
esse hatte) Vereinbarungen getroffen, Gold mit Vorschüssen
des Finanzministeriums der Vereinigten Staaten zu kaufen,
das dann vom Finanzministerium von diesen Banken gekauft
wurde. Das Finanzministerrum konnte dann mit Recht
behaupten, es wüsste nicht, woher das Gold käme, da sein
Büro nur die Bank registriere, bei der es den Kauf getätigt
hatte. Seit 1906 weiss das US-Finanzministerium nicht, von
welchem internationalen Goldhändler es sein Gold bezieht.
Eine kleine Gruppe kontrolliert die Währungen
Der Erste Weltkrieg änderte den Status der Vereinigten
Staaten. Früher waren sie Schuldner, jetzt wurden sie der
Welt grösste Gläubigernation und verdrängten die Engländer
von diesem Platz. Da nach den Worten des Gouverneurs
Marriner Eccles vom Federal Reserve Board Schuld gleich
Geld ist, wurden die USA zugleich die reichste»Nation der
Welt. Der Krieg veranlasste auch die Verlegung des wichtig-
sten Wechselmarktes der Welt von London nach New York.
Die Hauptstütze der internationalen Finanzleute war, wie
immer, dieselbe: Der Goldstandard war weiterhin die Basis
für die Wechselkurse, und die kleine Gruppe von Internatio-
nalen, denen das Gold gehörte, kontrollierte das Währungs-
systein der westlichen Nationen.
In den zwanziger und dreissiger Jahren war der Völkerbund
die Hauptwaffe der Bankiers für den Goldstandard. Durch
diese Institution wurden die meisten Demokratien zwischen
1924 und 1928 gezwungen, zum Goldstandard zurückzu-
kehren. Diese Länder brauchten nach dem Ersten Weltkrieg
Geld zum Wiederaufbau, und der Völkerbund war bereit, es
ihnen zu geben. Die einzigen Bedingungen waren, dass die sich
bewerbenden Nationen eine Zentralbank besassen und den
Goldstandard anerkannten. Kredite wurden nicht gewährt,
wenn diese Bedingungen nicht erfüllt wurden. Infolgedessen
wurden Zentralbanken in Ländern eingerichtet, in denen sie
zuvor unbekannt gewesen waren, besonders in Südamerika.
Paul Einzig schreibt im Londoner «Economist»:
«Der Völkerbund und die Zusammenarbeit der Zentralban-
ken brachten Europa zum Goldstandard zurück. Obwohl das
Finanzkomitee des Völkerbundes die internationalen Kredite
vergab, wurde seine Arbeit im Allgemeinen von der Bank of
England gelenkt. Die internationale Zusammenarbeit der
Nachkriegsjahre bewirkte auch einen ausserordentlich engen
Kontakt der Zentralbanken. Es bestand ein regelmässiger
internationaler Austausch von Informationen, und wichtige
Entscheidungen, wie die Änderung des Diskontsatzes, wur-
den gewöhnlich im Voraus den führenden Zentralbanken
mitgeteilt. Die Internationalisierung der Finanzen seit dem
Krieg war im Allgemeinen für die Anhäufung eines riesigen
Umlaufkapitals bei Regierungen und Banken verantwort-
lich.»
Englands Rückkehr zum Gold
Die internationalen Goldgeschäfte des Federal Reserve
System und seine dem Völkerbund geleistete aktive Unter-
stützung, um alle Staaten Europas und Südamerikas zum
Goldstandard, und zwar zum Nutzen internationaler Gold-
händler, zurückzugewinnen, werden am besten durch ein
klassisches Ereignis, den Sterling-Kredit von 1925, bewiesen.
J.E. Darling schrieb am 10. Januar 1925 in der englischen
Zeitschrift «Spectator»:
«Anscheinend ist das Wichtigste für die Vereinigten Staaten,
England so bald wie möglich zur Wiederaufnahme des Gold-
standards zu zwingen. Ein von Amerika kontrollierter Gold-
standard müsste unweigerlich dazu führen, dass die Vereinig-
ten Staaten die oberste Finanzmacht der Welt werden.»
31
Mr. Darling versäumte, darauf hinzuweisen, dass weder das
amerikanische noch das britische Volk etwas mit der Wieder-
aufnahme des Goldstandards zu tun hatten, dass dies viel-
mehr nur jener kleinen Gruppe von internationalen Gold-
händlern zugute kommen würde, die das Gold der Welt besit-
zen. Es war darum kein Wunder, dass das «Banker’s Maga-
zine» im Juli 1925 frohlockend bemerkte:
«Das überragende Ereignis im Finanzwesen des letzten hal-
ben Jahres war die Wiederherstellung des Goldstandards.»
Im Mai 1925 erliess das britische Parlament das Goldstan-
dard-Gesetz, das Grossbritannien zum Goldstandard zurück-
brachte. Die massgebende Rolle, die dabei das Federal Re-
serve System spielte, wurde am 16. März 1926 von George
Seay, dem Gouverneur der Federal Reserve Bank von Rich-
mond, enthüllt, als er vor dem Bank- und Währungskomitee
des Repräsentantenhauses aussagte:
«Eine mündliche Abmachung, durch Briefe bestätigt, ge-
währte Grossbritannien einen Kredit in Höhe von 200 Millio-
nen Dollar in Gold. Alle Besprechungen wurden zwischen
dem Gouverneur der Federal Reserve Bank von New York,
Benjamin Arong, und Mr. Montagu Norman, dem Gouver-
neur der Bank von England, getroffen und schriftlich bestä-
tigt. Dieser Kredit sollte England helfen, zum Goldstandard
zurückzukehren, und er sollte durch Anlage von Federal
Reserve Fonds in Wechseln und ausländischen Wertpapieren
gedeckt werden.»
Das wird durch das Federal Reserve Bulletin vom Juni 1925
bestätigt:
«Nach Übereinkunft mit der Bank von England verkauft die
Federal Reserve Bank von New York in den nächsten zwei
Jahren von Zeit zu Zeit auf Kredit Gold an die Bank von Eng-
land, doch nicht mehr als höchstens 200 Millionen Dollar.»
Zu dieser Zeit war es offensichtlich, dass dem Federal Reserve
System andere Interessen am Herzen lagen, als die Bedürf-
nisse des amerikanischen Handels und der Industrie zu befrie-
digen.
32
£
«Trägt er so viel, wird er das auch noch tragen!»
Fritz Koch-Gotha, 1920)
33
Regierungen hilflos gegenüber Bankiers
Grossbritanniens Rückkehr zum Goldstandard wurde ausser-
dem durch einen zusätzlichen Kredit erleichtert, den die
J. P. Morgan Company in Höhe von 100 Millionen Dollar in
Gold gewährte. Winston ( hurchill, damals britischer Finanz-
minister, klagte später, dass dieses Darlehen die britische
Regierung bereits im ersten Jahr 1‘125‘000 Pfund kostete,
eine Summe, die dem damaligen Gewinn der J.P. Morgan
Company entsprach.
Die 1928 stattfindenden Anhörungen im amerikanischen
Kongress bezüglich der Stabilisierung des Geldwesens bewei-
sen überzeugend, dass die Gouverneure des Federal Reserve
System Konferenzen und Absprachen mit den führenden
Männern der grossen europäischen Zentralbanken vornah-
men. Eine Anzahl von Kongressmitgliedern wusste, dass et-
was Grosses bevorstand; doch sie hatten keinen Begriff davon,
wie gross und wie vernichtend seine Wirkung sein würde.
Und selbst wenn sie die Einzelheiten der Verschwörung ge-
kannt hätten, die ihren Höhepunkt in der Weltwirtschaftskrise
von 1929 bis 1931 erreichte, sie hätte wirklich nichts tun kön-
nen, um sie aufzuhalten. Die internationalen Bankiers, die die
Goldbewegungen kontrollierten, konnten jedem Land ihren
Villen aufzwingen. Die Vereinigten Staaten waren ihnen ge-
genüber ebenso hilflos wie andere Regierungen.
Beweis dafür sind Auszüge aus den Protokollen im amerika-
nischen Kongress.
Der Anfang des Börsenkrachs
Vorsitzender McFadden:
«Woher kamen die Anregungen, die zur Änderung des Zins-
satzes führten?»
Gouverneur Adolph Müller:
«Die drei grössten Zentralbanken Europas sandten ihre Ver-
treter nach Amerika: Montagu Norman, den Gouverneur der
Bank von England, Hjalmar Schacht, den Präsidenten der
34 Deutschen Reichsbank, und Professor Rist, den Vize-Gouver-
neur der Bank von Frankreich. Diese Herren konferierten zu-
nächst mit Bankiers der New Yorker Federal Reserve Bank.
Nach einer oder zwei Wochen erschienen sie in Washington.
Sie kamen abends, am nächsten Tag waren sie Gäste der Gou-
verneure des Federal Reserve Board und fuhren noch am sel-
ben Nachmittag zurück nach New York.»
Mr. King: «Was wollten Sie?»
Gouverneur Miller:
«Sie beantworteten sehr offen unsere Fragen. Ich wollte mich
mit Mr. Norman unterhalten, und wir blieben deshalb beide
nach dem Essen zurück, doch da gesellten sich die anderen
ausländischen Vertreter und die Herren der New Yorker Fe-
deral Reserve Bank zu uns. Diese Herren interessierten sich vor
allem dafür, wie sich der Goldstandard auswirkte. Sie
wünschten daher dringend billiges Geld und niedrige Zinsra-
ten aufdem New Yorker Markt, was das Einströmen von Gold
nach Amerika verhindern würde. Das war im Interesse der da-
mals herrschenden internationalen Geldsituation.»
Vorsitzender McFadden:
«Es ereignete sich aber etwas sehr Bestimmtes?»
Gouverneur Miller. «Ja.»
Vorsitzender McFadden:
«Es handelte sich um eine Änderung der Politik bezüglich un-
seres gesamten Finanzsystems, die zu einer der ungewöhn-
lichsten Situationen führte, denen dieses Land je gegenüber-
stand [dem Spekulationsboom an der Aktienbörse von 1927
bis 1929]. Mir scheint, eine derart wichtige Angelegenheit
hätte in Washington zum Gegenstand eines Berichts gemacht
werden sollen.»
Gouverneur Miller: «Ich bin ganz Ihrer Meinung.»
Abgeordneter Strong:
«Wäre es nicht gut gewesen anzuordnen, das Federal Reserve
System solle seine Macht dazu benutzen, für eine dauerhafte
Kaufkraftstabilisierung des amerikanischen Dollars zu sorgen,
anstatt sich von europäischen Interessen beinflussen zu las-
sen?»
Gouverneur Miller:
«Ich wende mich gegen den Ausdruck ‚beeinflussen‘. Ausser-
dem gibt es keine Stabilisierung des Dollars ohne Stabilisie-
35
rung jeder anderen Goldwährung. Sie sind durch den Gold-
standard miteinander verknüpft.»
Mr.Steagall: «Hatte der Besuch jener ausländischen Bankiers zur
Folge, dass das Geld in New York billiger wurde?»
Gouverneur Miller: «Ja, ganz richtig.»
Das geheime Treffen der Gouverneure des Federal Reserve
Board mit den führenden Köpfen der europäischen Zentral-
banken fand nicht statt, um irgendetwas zu stabilisieren.
Man wollte darüber sprechen, wie man am besten das Gold,
das in den Vereinigten Staaten vom System gelagert wurde,
zurück nach Europa bringen könnte, um zu erreichen, dass die
dortigen Staaten zum Goldstandard zurückkehrten.
Der Völkerbund hatte das nicht erreicht, obwohl er haupt-
sächlich deswegen gegründet worden war. Das lag vor allem
daran, dass der Senat der Vereinigten Staaten es abgelehnt
hatte, durch Woodrow Wilson an eine internationale Geld-
macht verraten zu werden. Es bedurfte dazu des Zweiten Welt-
krieges und eines Franklin D. Roosevelt.
Doch inzwischen musste Europa das Gold haben, das die USA
besassen, und das Federal Reserve System gab es ihm im Wert
von 500 Millionen Dollar. Die Ausfuhr dieses Goldes führte
zum Börsenkrach, beendete die Wirtschaftsblüte der zwanzi-
ger Jahre und verursachte die Weltwirtschaftskrise von 1928
bis 1931, das grösste Elend, das die USA und Deutschland tref-
fen konnte.
Das amerikanische Volk musste diese Krise als Folge und
Strafe erleiden, weil es dem Völkerbund nicht beigetreten
war. Die Bankiers wussten, was eintreten würde, wenn Gold
im Wert von 500 Millionen Dollar nach Europa geschickt
würde. Sie wollten diese Krise, weil durch sie Handel und
Finanzen der Vereinigten Staaten völlig in ihre Hände fielen.
Die finanzielle Lage der Vereinigten Staaten wurde in den
zwanziger Jahren bestimmt durch eine Überflutung mit speku-
lativen Waren.
Die Preise für Gebrauchsgüter blieben ziemlich niedrig, trotz
der unglaublichen Überbewertung von Wertpapieren an der
36
«Familiensilber nach Gewicht.» Karikatur von Fritz Koch-Gotha
Börse, die weit die Grenzen überschritt, bei denen sie einen
Ertrag eingebracht hätten. Die Verkäufer erwarteten von
ihren Wertpapieren keine Dividende. Ihre Gedanken waren
nur darauf gerichtet, die Papiere eine Weile zu halten, um sie
dann wieder mit Gewinn zu verkaufen.
Bankiers schaffen eine Geldschwemme
Das musste irgendwann aufhören. Aber die Wall Street hörte
nicht auf, bis das Volk alle seine Ersparnisse in die preislich
überhöhten Wertpapiere gesteckt hatte. Es gab sogar das
traurige Schauspiel, dass der Präsident der Vereinigten Staa-
ten, Calvin Collidge, als Antreiber für die Börsenmakler
auftrat, als er nämlich 1927 dem Volk empfahl, weiter Käufe
an der Börse zu tätigen. Es gab wohl einiges Unbehagen an
37
der Börse, doch die Bankiers zeigten ihre Macht, indem sie
den Präsidenten der Vereinigten Staaten, den Finanzminister
und den Aufsichtsratsvorsitzenden des Federal Reserve Sys-
tems zu Erklärungen veranlassten, dass die Darlehen der Mak-
ler nicht zu hoch und die Bedingungen auf dem Börsenmarkt
völlig gesund wären.
Nach dem geheimen Treffen des Board mit den führenden
Männern der ausländischen Zentralbanken im Jahr 1927
verdoppelten die Federal-Reserve-Banken in wenigen Mona-
ten ihre Bestände an Staatspapieren und Wechseln, was in
jenem Jahr den Export von 500 Millionen Dollar in Gold zur
Folge hatte. Das billige Geld des Systems und die Käufe der
Staatspapiere am offenen Markt hielten die Zinsen für tägli-
ches Geld an der Börse niedrig und schafften das Gold aus
dem Land. Auch Ausländer nahmen die Gelegenheit wahr,
für billiges Geld in grossem Stil Staatspapiere zu kaufen.
Am 6. Februar 1929 kam Mr. Montagu Norman, Gouver-
neur der Bank von England, nach Washington und führte ein
Gespräch mit Andrew Mellon, dem Finanzminister. Unmit-
telbar nach diesem geheimnisvollen Besuch änderte das Fede-
ral Reserve Board seine Politik des billigen Geldes in die des
teuren Geldes. Der Börsenkrach und die Deflation der ameri-
kanischen Finanzstruktur wurden für den März 1929
geplant. Um die Kugel ins Rollen zu bringen, gab der Bankier
Paul Warburg den Händlern den Rat, aus dem Markt auszu-
steigen. In seinem Jahresbericht für die Aktionäre seiner Inter-
national Acceptance Bank schrieb Warburg im März 1929:
«Wenn es den Orgien ungezügelter Spekulationen gestattet
wird, sich auszubreiten, wird der unvermeidliche Zusam-
menbruch nicht nur die Spekulation selbst, sondern das
ganze Land in eine allgemeine Krise stürzen.»
Während einer drei Jahre andauernden «ungezügelten Speku-
lation» hielt es Paul Warburg nicht für nötig, etwas über die
Lage auf dem Aktienmarkt zu sagen. Eine befreundete Zei-
tung, die «New York Times», stellte für diesen Bericht nicht
nur zwei Spalten ihrer Titelseite zur Verfügung, sondern
38
kommentierte im Leitartikel die Weisheit und Wissenschaft-
lichkeit der Beobachtungen Warburgs.
Jetzt war seine Sorge echt, denn der Börsenschwindel hatte
ein viel grösseres Ausmass angenommen, als man beabsichtigt
hatte. Die Bankiers fürchteten nun die Folgen, wenn das Volk
begriff, was man ihm angetan hatte. Als aufgrund eines
Berichtes in der «New York Times» eine Verkaufswelle auf
dem Börsenmarkt einsetzte, gerieten die Bankiers in Panik
und beschlossen, den Markt ein wenig zu beruhigen. Infolge-
dessen warf die National City Bank Warburgs 25 Millionen
Dollar in bar auf den Markt und vertagte so den Börsen-
krach.
Zum Nutzen einer Gruppe von Händlern
Wohl hatte am 6. Februar 1929 das Federal Reserve Board
die Aktionäre der Federal-Reserve-Banken gewarnt und
ihnen geraten, aus dem Aktiengeschäft auszusteigen. Es gab
sich aber keine Mühe, der übrigen Bevölkerung irgendetwas
zu sagen. Niemand wusste, was wirklich vorging, bis auf die
Bankiers der Wall Street, die das Schauspiel inszenierten. Die
Goldbewegungen, die die Lage hätten erkennen lassen, wur-
den in fast völliger Geheimhaltung durchgeführt, und amtli-
che Berichte darüber waren völlig unzuverlässig.
Der ehrenwerte Reginald McKenna stellte fest:
«Das Studium der Beziehungen zwischen den Goldvorräten
und den Bewegungen des Preisniveaus zeigt, was an sich
leicht ersichtlich ist, aber unter keinen Umständen aner-
kannt wird, dass nämlich der Goldstandard keineswegs au-
tomatisch wirkt. Der Goldstandard kann und wird nutz-
bringend angewandt und kontrolliert zum Nutzen einer
kleinen Gruppe internationaler Händler.»
Als die Federal Reserve Bank von New York am 9. August
1929 den Diskontsatz auf sechs Prozent erhöhte, begannen
jene Zustände am Börsenmarkt, die in den ungeheuren Ver-
kaufsaufträgen vom 24. Oktober bis in den November hinein
39
gipfelten und 160 Milliarden Dollar an Wertpapieren ver-
nichteten. Das waren 160 Milliarden Dollar, die das ameri-
kanische Volk in dem einen Monat noch besass und im
anderen bereits verloren hatte. Man kann sich eine Vorstel-
lung von der Grösse der Verluste machen, wenn man sich
erinnert, dass die gesamten Kosten des Zweiten Weltkrieges
in den USA kaum mehr als 200 Milliarden Dollar betrugen,
wobei ein grosser Teil als börsenfähige Wertpapiere zu Lasten
des Staates übrigblieb.
Der Börsenkrach von 1929 ist das grösste Unglück, das die
Vereinigten Staaten je getroffen hat.
Gründe für die Erhöhung des Diskontsatzes durch das Fede-
ral Reserve Board waren schwer zu klären, aber leicht zu er-
klären.
Dr. Friday schrieb darüber in der Septemberausgabe 1929
der «Review of Reviews»:
«Die Erklärung des Federal Reserve Board vom 7. August
1929 beweist, dass die Bedürfnisse für den Herbst gedeckt
sind. Die Goldvorräte sind beträchtlich höher als im voran-
gegangenen Jahr, und zum finanziellen Verdruss Deutsch-
lands und Englands strömt weiterhin Gold ins Land. Die
Gründe für das Vorgehen des Board müssen also anderswo
gesucht werden. Der Öffentlichkeit wurde nur der Hinweis
gegeben, dass «gewisse besondere Bedingungen das Problem
schwierig gestaltet hätten“. Alle Gründe, die Gouverneur
Young letztes Jahr für die Senkung der Zinsen vorbrachte,
liegen jetzt vor. In den vergangenen vier Monaten stiegen
bereits die Importe des gelben Metalls, eine Erhöhung des
Zinssatzes erhöht nur die Gefahr, Gold vom Ausland her-
einzuziehen. Eine Förderung dieses Vorganges hiesse die
Verantwortung einer weltweiten Geldverknappung auf sich
laden.»
Daraus ergibt sich, dass das amerikanische Federal Reserve
System nicht nur für den Ersten Weltkrieg verantwortlich
war, weil es den Vereinigten Staaten die Möglichkeit gab, die
Verbündeten zu finanzieren, sondern es war auch für die
Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1931 verantwortlich.
40
3. Hitler als lukratives Geschäft
Im Herbst 1929 war es an der Zeit, dass die internationalen
Bankiers auf den Knopf drücken sollten, mit dem die Maschi-
nerie in Bewegung gesetzt wurde, die zum Zweiten Weltkrieg
führte. Nachdem sie selbst ihre Agenten und Freunde auf der
Welle eines künstlich aufgeblasenen Aktienbooms ausver-
kauft hatten, zogen die internationalen Bankiers dem ganzen
System den Boden unter den Füssen weg und stürzten die
Vereinigten Staaten in eine grosse Depression. In den folgenden
Jahren verlangsamte sich die Wirtschaftsentwicklung überall in
der Welt, bis praktisch nichts mehr lief.
Der Börsenkrach von 1929 beendete Amerikas Kreditver-
gabe an Deutschland. Dadurch wurde eine empfindliche
«Flucht aus der Mark» ausgelöst, da die Leute übereinander
herfielen, um die Mark gegen günstigere Währungen einzu-
tauschen, denen sie ein grösseres Vertrauen schenkten. Daraus
ergab sich eine empfindliche Belastung für Deutschlands Goldre-
serven. Da diese abnahmen, musste die Höhe der Kredite und des
Bargeldumlaufes gesenkt werden, und zwar über höhere Zinsen.
Bis zum Ende 1931 wurde in Deutschland der Diskontsatz
Schritt für Schritt angehoben, bis er schliesslich die
schwindelerregende Höhe von 15 Prozent erreichte, ohne
dass dadurch der Abfluss von Goldreserven aufgehalten wor-
den wäre. Als Deutschlands Appell, die Reparationszahlun-
gen zu verringern, von seinen Gläubigern aus verschiedenen
Gründen abgelehnt wurde, verschlimmerte sich das Dilemma
noch weiter. Während «mehrere Komitees internationaler
Bankiers» — wie zum Beispiel der Kreis um Sidney Warburg -
das Problem diskutierten, spitzte sich die Krise zu. Die Darm-
stadter Bank und die Schroder Bank brachen zusammen.
Deutschland wand sich auch weiterhin in einem Meer von
Schulden, Furcht und Schwierigkeiten, und jedermann ver-
suchte, den Kopf über den immer weiter steigenden Fluten
des Unheils zu behalten. An dieser Stelle nun trat Adolf Hitler
41
Vom 24. Oktober 1929 bis in den November wurden über die Börse rund...
42
...16 Mio. Dollar an Wertpapieren vernichtet.
und seine Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-Partei
(NSDAP) in das Rampenlicht der deutschen Politbühne.
Seine Botschaft fand in den Herzen von Millionen Deutschen
ein Echo.
Hitler bietet Abhilfe
Seine mit Kraft vorgetragenen Versprechungen, Deutschland
aus den Fesseln des Versailler Vertrages, dem fremden
Finanzmoloch, zu befreien und der erheblich eingeengten
und krisenmüden Bevölkerung «Lebensraum» zu geben, fan-
den zu Beginn der dreissiger Jahre Aufmerksamkeit im Volk.
Er bot den Menschen etwas an, wonach sie sich sehnten.
Seine Reden erweckten Hoffnung auf ein neues Leben. Das
Deutschland der frühen dreissiger Jahre war eine von den
internationalen Bankiers gebaute Zeitbombe, die auf eine
Person vom Schlage Hitlers zugeschnitten war, der die Szene
betreten und die Kontrolle ergreifen würde.
Aus detaillierten Aussagen vor dem Kilgore Committee des
US-Senats im Jahr 1945 im Hearing zum Thema «Elimina-
tion of German Resources for War» (Beseitigung von Krieg-
führungsquellen in Deutschland) geht hervor, dass, «als die
Nazis 1933 an die Macht kamen, sie feststellen konnten, dass
man seit 1918 enorme Fortschritte in der Vorbereitung
Deutschlands für den Krieg in wirtschaftlicher und industriel-
ler Hinsicht gemacht hatte».
Die gewaltigen Beträge amerikanischen Kapitals, die unter
dem Dawes-Plan ab 1924 nach Deutschland geflossen waren,
hatten teilweise die Grundlage gebildet, auf der Hitler seine
Kriegsmaschine aufbauen konnte.
Wie Anthony C. Sutton in seinem Buch «Wall Street and the
Rise of Hitler» ausführt,
«lässt sich der vom amerikanischen Kapitalismus an Deutsch-
land geleistete Beitrag zur Vorbereitung des Krieges vor 1940
nur als phänomenal beschreiben. Er war zweifellos entschei-
dend für die militärische Vorbereitung in Deutschland.
44
Beweise legen es nahe, dass nicht nur ein einflussreicher Sektor
der amerikanischen Wirtschaft sich über die Natur des Nazi-
tums bewusst war, sondern ihm auch, wo immer möglich —
und lukrativ —, aus Eigennutz Vorschub leistete — in dem vol-
len Wissen, dass am Ende Krieg stehen würde, in den Europa
und die USA gezogen würden. Auf Unwissenheit zu plädieren
ist mit den Fakten unvereinbar.»
Die sehr sorgfältig dokumentierten Beweise darüber, dass
amerikanische Banken- und Industriekreise an dem Aufstieg
von Hitlers Drittem Reich höchst massgeblich beteiligt
waren, sind öffentlich zugänglich. Sie sind in den Protokollen
und Berichten über I learings der Regierung der Vereinigten
Staaten zu finden, die von verschiedenen Senats- und Kon-
gressausschüssen in den Jahren von 1928 bis 1946 veröffent-
licht wurden. Zu den wichtigsten zählen: «House Subcom-
mittee to Investigate Nazi Propaganda» im Jahre 1934
(Kongressunterausschuss zur Untersuchung der Nazipropa-
ganda), der Bericht über Kartelle, herausgegeben vom House
Temporary National Economie Committee (Vorläufiger
Nationaler Wirtschaftsausschuss des Kongresses) im Jahre
1941 sowie vom Senate Subcommittee on War Mobilization
(Senats-Unterausschuss für Mobilmachung) im Jahre 1946.
Öl aus Kohle
Ein Teil dieser faszinierenden Geschichte ist mit der Entste-
hung eines internationalen Kartells, mit Schwerpunkt in
Deutschland, verbunden, das die Chemie- und Pharmaindustrie
in der ganzen Welt kontrollierte. Beteiligungen bestanden in 93
Ländern, und es war eine mächtige wirtschaftliche und politi-
sche Macht in allen Erdteilen. Es hiess I.G. Farben. 1.G. steht
fur «Interessengemeinschaft» beziehungsweise «gemeinschaftli-
che Interessen» oder einfacher «Kartell». Bis zum Ausbruch des
Zweiten Weltkrieges hatte sich die I.G. Farben zum grössten
Chemieunternehmen der Welt entwickelt.
45
Deutschlands Führung beschloss, seine Abhängigkeit vom
Ausland in Bezug auf Benzin ein für allemal zu beenden. Zwar
besass Deutschland im Inland keine nennenswerten Olvor-
kommen, aber es verfügte über mehr als genug Kohle. Daher
gehörte es nach dem Ersten Weltkrieg zu den ersten Zielen
der deutschen Chemie, ein Verfahren zur Umwandlung von
Kohle in Benzin zu finden.
1920 hatte Dr. Bergius ein Verfahren entdeckt, um grosse
Mengen Wasserstoff herzustellen und sie unter hohem Druck
bei hohen Temperaturen und mit Hilfe von bestimmten
Katalysatoren in flüssige Kohleprodukte zu verwandeln. Da-
mit waren die letzten Schritte zur Benzinveredlung vorgezeich-
net. Es war nur noch eine Frage der Verfeinerung dieses
Hydrierprozesses. Schlagartig war 1.G. Farben im Olgeschäft.
I. G. Farben benutzte diese Neuentdeckung von lebenswichti-
ger Bedeutung, um die Türen zu öffnen, die zur Gründung
eines weltweiten Kartells führten. Frank Howard von der
Standard Oil wurde zu einem Besuch der grossen badischen
Werke in Ludwigshafen im März 1926 eingeladen. Was er
sah, liess ihn staunen — Benzin aus Kohle! Völlig konsterniert
schrieb er an Walter Teagle, Präsident der Standard Oil:
«Aufgrund meiner heutigen Beobachtungen und Diskussio-
nen glaube ich, dass diese Sache das Wichtigste ist, was
unser Unternehmen angeht. Die Badische kann aus
Braunkohle und anderen minderen Kohlesorten hochwer-
tiges Motorenbenzin herstellen, und zwar in Mengen, die
fast der Hälfte der Kohle entspricht. Dies bedeutet die ab-
solute Unabhängigkeit Europas in Fragen der Benzinver-
sorgung. Es bleibt nur der knallharte Preiswettbewerb.»
Standard Oil heiratet I. G. Farben
In den nächsten drei Jahren fanden zwischen I.G. Farben und
Standard Oil intensive Verhandlungen statt. Diese führten
schliesslich am 9. November 1929 zur «Heirat» zwischen
46
Die Weltwirtschaftskrise brachte den totalen Zusammenbruch der deut-
schen Wirtschaft. Die demokratischen Kräfte der Weimarer Republik bil-
deten eine Fraktion der Ratlosen und sahen letztlich in der Machtüber-
gabe an Hitler und seine Nationalsozialisten den einzigen Ausweg.
diesen beiden Industriegiganten. Der Vertrag gab Standard
Oil die eine Hälfte der Weltrechte an dem Hydrierverfahren,
mit Ausnahme Deutschlands. Standard gab I.G. Farben dafür
546‘000 Stammaktien im Wert von mehr als 30 Millionen.
Beide Seiten vereinbarten in den Bereichen Chemie und Ölge-
winnung niemals gegeneinander zu konkurrieren. Das Ziel
war dabei, den Wettbewerb zu beseitigen und einen Auf-
schwung der Gewinne zu garantieren.
Zwei Jahre später unterzeichnete I.G.Farben mit Alcoa das
als «Alig» bekannte Abkommen, wodurch die beiden Unter-
nehmen alle ihre Patente und ihr ganzes Know-how in der
Magnesiumherstellung zusammenlegten.
47
Als Henry Ford in Deutschland eine Autofabrik erbaute,
beteiligte sich I.G. Farben mit 40 Prozent. In den USA trat
Henry Fords Sohn Edsel in den Vorstand der I.G.Chemi-
cal Company ebenso wie Walter Teagle, Präsident der Stan-
dard Oil, Charles E. Mitchell, Präsident der Rockefeiler
Bank «National City Bank of New York», sowie Paul War-
burg, Cheferbauer der amerikanischen «Federal Reserve
Bank».
Hitler kommt an die Macht
Bereits 1925 brachte Dr. Karl Duisburg, der erste Vorsit-
zende der I.G. Farben und Gründer der American Bayer
Company, seinen Wunsch nach einem «starken Mann» zum
Ausdruck, der Deutschland in der Stunde seiner Bewährung
anführen sollte:
«Seit einig, einig. Dies sollte der beständige Aufruf an alle
Parteien im Reichstag sein. Wir hoffen, dass unsere Worte
von heute wirken und wir den starken Mann finden werden,
der schliesslich alle unter einem Schirm zusammenbringt,
denn der starke Mann ist für uns Deutsche immer notwendig,
wie wir es im Falle Bismarck gesehen haben.»
Im Herbst 1932, als die Weimarer Republik am Zerbröckeln
war, wurde es offensichtlich, dass Hitler am besten für die
Rolle des «starken Mannes» geeignet war. Folglich «erhielt
Hitler eine weit stärkere Unterstützung, als er sich jemals zu
hoffen gewagt hatte. Die industrielle und finanzielle Führung
Deutschlands, an der Spitze I. G. Farben, schlossen die Rei-
hen und gaben Hitler ihre volle Unterstützung.»
Zwei Kartelle, die I. G. Farben und die Vereinigten Stahlwer-
ke, stellten in den Jahren 1937 bis 1939, also am Vorabend
des Zweiten Weltkriegs, 95 Prozent der deutschen Explosiv-
stoffe her. Die Produktion kam aus Anlagen, die amerikani-
sche Kredite und begrenzt auch amerikanische Technologie
gebaut hatten.
Im Buch «Wall Street and the Rise of Hitler» heisst es: «Die
48
Zusammenarbeit von I. G. Farben und Standard Oil zur Her-
stellung von synthetischem Ol aus Kohle sicherte dem I. G.-
Farben-Kartell während des Zweiten Weltkrieges ein Mono-
pol auf die Benzinherstellung. 1945 wurde knapp die Hälfte
des deutschen hoch-klopffesten Benzins direkt von I.G.- Farben
hergestellt und der Rest fast gänzlich von verbundenen Gesell-
schaften.»
Die internationalen Bankiers pumpten weiter Geldströme in
die deutsche Wirtschaft. Die drei grössten von den amerikani-
schen Bankiers vergebenen Kredite waren für die Entwicklung
der drei deutschen Kartelle bestimmt, die Hitler und seine Nati-
onalsozialisten bei ihrem Aufstieg zur Macht unterstützten.
Dazu führte James Martin, Chef des Referats für Wirtschafts-
krieg im amerikanischen Justizministerium, aus:
«Diese Kredite für den Wiederaufbau wurden zu einem Trä-
ger für Arrangements, die den Zweiten Weltkrieg mehr
gefördert haben als die Schaffung des Friedens nach dem -
Ersten Weltkrieg.»
Das Hauptverbindungsglied zwischen Hitler und den Wall-
street-Bankiers war Hjalmar Horace Greely Schacht, Präsi-
dent der Deutschen Reichsbank, dessen Familie schon viele
Jahre lang mit der internationalen Finanzelite verflochten
war. Schacht war der kluge Kopf hinter dem Wiederaufbau-
plan für Deutschland, dem Young-Plan, und auch der Bank
für Internationalen Zahlungsverkehr. Anfang des Jahrhunderts
hätte sein Vater in der Berliner Filiale der von Morgan
kontrollierten Equitable Trust Company of New York gearbeitet.
Der von Schacht konzipierte Plan funktionierte perfekt und half,
die Ereignisse in der Weimarer Republik auf die explodierende
Spitze zu treiben. Dr. Fritz Thyssen, der deutsche Industrielle,
erklärt, er habe
«sich an die Nationalsozialistische Partei erst dann gewandt,
als ich zu der Überzeugung gelangt war. dass der Kampf gegen
den Young-Plan unausweichlich war, wenn der vollständige
Zusammenbruch Deutschlands verhindert werden sollte.
49
Die Annahme des Young-Plans und seiner finanziellen Grund-
sätze erhöhte die Arbeitslosigkeit mehr und mehr. Die Menschen
waren verzweifelt. Hitler sagte, er werde die Arbeitslosigkeit besei-
tigen. Die damalige Regierung war in einer hoffnungslosen Lage,
und die der Bürger verschlimmerte sich von Tag zu Tag. Das war
einer der Gründe für den enormen Erfolg Hitlers bei den Wahlen.»
1932 beherrschten Hitlers Nationalsozialisten den Reichs-
tag. Da eine interne Krise die andere jagte, gewannen Hitlers
kräftige Versprechungen unter den Deutschen immer mehr
Beachtung. Für viele schien er der einzige Ausweg für die
deutsche Nation zu sein. Er war die einzige Figur auf der
politischen Bühne Deutschlands die einen zielgerichteten
Weg des Handelns hatte und denselben lautstark verkündete,
um die Nation aus der immer entsetzlicher werdenden Not-
lage herauszuführen.
Hitler wurde am 30. Januar 1933 von Hindenburg zum
Reichskanzler berufen und löste ihn nach seinem Tode als
«Führen und Reichskanzler ab. Im folgenden Monat benutzte
Hitler den vorsätzlich verübten Reichstagsbrand zum Vor-
wand, um die verfassungsmässigen Rechte abzuschaffen und
sich zum diktatorischen Führer der deutschen Nation zu er-
nennen.
Nachdem mögliche Rivalen in einer Reihe von Säuberungs-
aktionen beseitigt worden waren, setzte Hitler zu einem
massiven Feldzug an, um Deutschland wirtschaftlich, militä-
risch und psychologisch aufzubauen. Mit der Widerrufung
der Bedingungen des Versailler Vertrages und der massiven
Reparationszahlungen, die Deutschland in dem vorangegan-
genen Jahrzehnt in einem Zustand der finanziellen Leibeigen-
schaft gehalten hatten, erreichte Hitler eine bemerkenswerte
Wende des Wirtschaftslebens in Deutschland. Der Lebens-
standard des Durchschnittsbürgers verbesserte sich ganz ent-
schieden, und man führte mit Erfolg eine Kampagne durch,
die Lebensgeister der Deutschen zu neuer Kraft zu entfalten.
Da sie nunmehr etwas hatten, wofür es sich zu arbeiten
lohnte, machten die Deutschen sich mit der ihnen eigenen
50
Gründlichkeit an die Sache. Die Arbeitlosigkeit verschwand
praktisch, als die Produktion der Industrie auf Touren kam.
Zeitgenössischen Beobachtern wurde jedoch bald deutlich,
dass Hitler und seine internationalen Beschützer einen ausser-
gewöhnlich hohen Prozentsatz an verschiedenen Produkten
vom Bandrollen liessen, die sich zur Kriegführung verwenden
liessen.
Aus dem Tagebuch des Botschafters Dodd
Der höchste diplomatische Vertreter Amerikas im Hitler-
Deutschland war nach 1933 Botschafter Dodd.
Am 15. August 1936, also mehr als dreieinhalb Jahre nach Hit-
lers Machtergreifung, berichtete Dodd an den amerikani-
schen Präsidenten Roosevelt:
«Zurzeit haben hier mehr als 100 amerikanische Unterneh-
men Tochtergesellschaften oder Kooperationsabkommen.
Du Pont hat drei Verbündete in Deutschland, die das Rüs-
tungsgeschäft unterstützen. Ihr Hauptverbündeter ist die I.
G. Farben.
Standard Oil Company hat im Dezember 1933 zwei Milli-
onen Dollar hierher geschickt und erhält jährlich 500’000
Dollar dafür, den Deutschen bei der Herstellung von Er-
satzbenzin für Kriegszwecke zu helfen; aber Standard Oil
kann Waren. Davon machen sie wenig Gebrauch. Zwar
berichten sie ihre Erträge an die Muttergesellschaft, aber sie
berichten nicht die Tatsachen.
Der Präsident der International Harvester Company sagte
mir, ihr Umsatz sei hier um 33 Prozent pro Jahr gestiegen
(Waffenhersteller, glaube ich), aber sie holen sich nichts da-
von zurück. Selbst unsere Flugzeugleute haben ein Ge-
heimabkommen mit Krupp. General Motors Company
und Ford erzielen hier mit ihren Tochtergesellschaften Rie-
senumsätze, aber entnehmen keine Gewinne. Ich erwähne
diese Fakten, weil sie die Dinge komplizieren und die
Kriegsgefahr vergrössern.»
51
Immer mehr Geld für Kriegsvorbereitungen
In seinem Tagebuch notierte Botschafter Dodd, dass Dr. En-
gelbrecht, Leiter der Rockefeller-Tochter Vacuum Oil Com-
pany in Hamburg, ihm erzählte:
«Die Standard Oil Company of New York baut eine Grossraf-
finerie in der Nähe des Hamburger Hafens.»
Die amerikanischen internationalen Bankiers und Rockefel-
lers Insider gingen aber in ihren Bemühungen um den Aufbau
der deutschen Kriegsmaschine noch sehr viel weiter. Bei
seinen Recherchen zu dem Buch «Wall Street and the Rise of
Hitler» deckte Anthony C. Sutton die Tatsachejtuf, dass
«die beiden grössten Panzerhersteller im Hitler-Deutschland
Opel, eine hundertprozentige Tochter der General Motors - ih-
rerseits von J. P. Morgan kontrolliert - und die Ford AF, Toch-
ter der Ford Motor Company in Detroit, waren. 1936 wurde
Opel von den Nazis Steuerfreiheit eingeräumt, damit General
Motors seine Produktionsanlagen erweitern konnte. Gefällig re-
investierte General Motors die anschliessenden Gewinne in
die deutsche Industrie.»
Obwohl amerikanische Unternehmen verantwortlich für die
Bereitstellung eines Grossteils der Technologie und des Kapi-
tals in Deutschland waren, das Hitler für den militärischen
Aufbau benötigte, gab es doch auch viele begüterte Europäer
ausserhalb Deutschlands, die mehr als genug das Ihrige für
dieselbe Sache taten. Aus europäischen Quellen flössen
enorme Geldmengen in das nationalsozialistische Deutsch-
land, und zwar über die von Warburg kontrollierte Mendel-
sohn Bank in Amsterdam und später über die J. Henry
Schröder Bank mit Filialen in Frankfurt am Main. London
und New York.
52
4. Literaturverzeichnis
U. S. Federal Reserve Board Annual Reports, 1914 bis 1950
U.S. Federal Reserve Board Bulletins, 1914 bis 1951
Senate Committee Hearings on Federal Reserve Act 1913
House Committee Hearings on Federal Reserve Act 1913
House Committee Hearings on the Money Trust 1913
House Report on Nomination of Thomas D. Jones to be a
Governor ofthe Federal Reserve Board 1914
House Investigation of Federal Reserve System 1927-1928
Senate Investigation on Fitness of Eugene Meyer to be a
Governor ofthe Federal Reserve Board 1930
Senate Gearings on Office of Price Administration 1941
Senate Hearings on Office of Price Administration 1944
House Committee Hearings on Extension o Public Debt
1945
Senate Hearings on Thomas B. Mc Cabe to be a Governor of
the Federal Reserve System 1948
In deutscher Sprache:
Gary Allen: «Die Insider», VAP-Verlag, Wiesbaden, 1971
und «Die Rockefeller-Papiere», VAP-Verlag, Wiesbaden
1978
Des Griffin: «Die Herrscher», VAP-Verlag, Wiesbaden 1980
und «Die Absteigem, VAP-Verlag, Wiesbaden 1981
Eustace Mullins «Die Bankierverschwörung», Verlag für
ganzheitliche Forschung, Wobbenbühl 1980
Heinz Pfeifer: «Brüder des Schattens», Roland Uebersax Ver-
lag, Zürich 1982.
53
II Sidney Warburg:
So wurde Hitler finanziert
Vorwort
zur niederländischen Ausgabe «Die Geldquellen des Natio-
nalsozialismus — drei Gespräche mit Hitler» von Sidney War-
burg, übersetzt von J.G. Schoup, erschienen 1933 im Verlag
Van Holkema und Warendors Verlagsgesellschaft AG. Am-
sterdam.
Wie es kam... . Sidney Warburg hatte wenig gesprochen,
solange die anderen Gäste noch anwesend waren. Jetzt, mit
mir allein, begann er, über den Sinclair-Skandal zu sprechen:
«Es gibt Augenblicke, in denen ich aus der Welt von Intrigen,
Börsenmanövern und Betrügereien weglaufen möchte. Mit
meinem Vater sprach ich schon mal über diese Dinge, auch mit
anderen Bankleuten und Maklern. Und wissen Sie, was ich
niemals begreifen kann?
Wie es möglich ist, dass Menschen, gut und ehrlich von
Charakter — dafür habe ich zahllose Beweise —, sich für Betrug
hergeben, sich an Betrügereien beteiligen, von denen sie doch
wissen können, dass Tausende durch sie getroffen werden. Die
Manipulationen im Sinclair-Trust haben der Wall Street Mil-
lionen Dollar eingebracht, aber Tausende von Sparern rui-
niert.
Aber Sie bekommen niemals eine Antwort, wenn Sie nach den
Motiven der unehrlichen und sittlich nicht zu verteidigenden
Handlungen der Grossen in den Finanzkreisen fragen.
Es kann doch nicht sein, dass die Leute, in ihrem Privatleben
edel und gut, ihren Charakter ablegen, sobald sie in die Finanz-
welt eintreten, und wegen des Geldes, alle Begriffe von Ehrlich-
keit und Moral beiseiteschieben.»
Dem Gewissenszwiespalt in den Worten Sidney Warburgs,
Sohn eines der grössten Bankiers in den Vereinigten Staaten,
54
des Firmen-Mitinhabers im Bankhaus Kuhn, Loeb & Cie.
New York, war zu entnehmen, dass dies die Tragik seines
Lebens ist. Dennoch konnte er sich aus dem Milieu freima-
chen, dessen tiefste Antriebe er selbst nicht ermitteln konnte.
Die Worte, 1928 gesprochen, geben vielleicht die Erklärung
dafür, wenn ich mich jetzt, 1933, selbst frage, warum Sidney
Warburg der Welt sagen wollte, wie der deutsche National-
sozialismus finanziert wurde. Er hat dabei seine eigene Rolle
und Mitverantwortlichkeit nicht in den Hintergrund gescho-
ben, sondern ehrlich das Bekenntnis der persönlichen Mit-
täterschaft abgelegt.
Als ich das Manuskript von ihm erhielt mit der Bitte, es zu
übersetzen, fühlte ich, dass die Lebenstragik des Autors zu
einer Stärke angewachsen war, die ihn zum ehrlichen
Bekenntnis zwang, das sich auf den hier folgenden Seiten
wiederfindet. Möge es der erste Schritt sein auf dem Weg zur
Befreiung, die ich für den wünsche, der den Mut hat, der Welt
zu sagen: «Sie machten es möglich, aber ich war dabei ihr
feiges Werkzeug.»
Sollte dann die «arme Welt» oder die «arme Menschheit» —
Worte, mit denen Sidney Warburg sein Werk beschliesst —
seinen Ruf nicht verstehen, bleibt doch sein Bekenntnis eine
Tat, die zu wagen notwendig war.
Denn ein Wagnis ist es, mit den eigenen Kreisen zu brechen
und die Freunde von gestern vor dem Weltforum als Gewis-
senlose zu brandmarken, vor allem, wenn die eigene Mit-
schuld dabei nicht bemäntelt wird.
Oktober 1933 J. G. Schoup
55
1929
Geld ist Macht. Der Bankier weiss es zu konzentrieren und zu
manipulieren. Der internationale Bankier beteiligt sich an
internationaler Politik. Die zentrale Regierung des Landes, in
dem er sich niedergelassen hat, verpflichtet ihn dazu, denn sie
übt Einfluss auf die zentrale Bank aus. In anderen Ländern
heisst diese Bank Nationalbank. Wer begreift, was mit dem
Wort «national» in den letzten Jahren kaschiert wurde und
was sich dahinter verbirgt, der weiss auch, warum ein interna-
tionaler Bankier sich nicht abseits der internationalen Politik
halten kann.
Die ganze Welt bekam Geld von der Wall Street
Die amerikanische Bankwelt entwickelte sich seit Monaten in
heftigem Tempo. Wir erlebten einen Aufschwung, wir wuss-
ten es. Pessimisten hatten einen plötzlichen Umschwung
vorhergesagt, jeden Tag grössere Aufträge, Wall Street lachte
die Pessimisten aus. Die ganze Welt bekam Geld von der
Wall Street, selbst fernab gelegene Balkanstaaten, deren Na-
men wir früher einmal auf der Schule gehört und sofort wieder
vergessen hatten, bekamen Kredit, und ihre Schuldverschrei-
bungen wurden gekauft, die Spekulanten warfen sich darauf,
die Kurse stiegen. Wirtschaftsleute sind sich heute, im Jahre
1933, noch nicht einig, warum die Pessimisten just im Jahre
1929 recht bekamen, kein Jahr früher und kein Jahr später.
1929 war für Wall Street der Beginn einer Periode elender
Jahre, die noch immer nicht abgeschlossen ist.
Die Kurse brökelten nicht ab — wie der gebräuchliche Aus-
druck für ein normales Sinken der Notierungen lautet. Sie
brachen geradezu zusammen, und nach einigen Wochen war
es mit der Geldverleihmanie New Yorks vorbei. Unterhänd-
ler aus Europa, deren Staaten Kredit brauchten, fuhren unver-
richteter Dinge wieder nach Hause. Amerika schien kein Geld
mehr zu haben.
56
Wir lebten in einer Hölle
Es ist bei uns üblich, dass grosse Leute in schweren Zeiten mit
ihrem Wissen nicht hinter dem Berg halten. In führenden
Zeitungen wurden Interviews mit Hoover, McCormick,
McKenna, Dawes, Young und zahlreichen anderen veröffent-
licht, aber uns in der Wall Street machte das nicht klüger.
Wenn man wegen eines Telefongespräches weggerufen wor-
den war, sah man bei der Rückkehr, dass Steels, Anaconda,
Bethlehem und die führenden ölwerte um 10 oder 20 Punkte
gefallen waren. Ob man wollte oder nicht, die Baisse zog
einen an, und ich kenne manchen seriösen Bankier von
vorzüglichem Ruf, der früher eine Baisse-Spekulation als
einen verbrecherischen Taschenspielertrick betrachtet hätte,
aber jetzt die Baisse mitmachte, öffentlich, ohne seine Makler
aufzufordern, seine Baisse-Aufträge für den Markt zu tarnen
oder gar zu verschweigen.
Wie gesagt, wir lebten in einer Hölle. 1933 wurde wohl viel
über diese Zeit nachgedacht, aber niemand, der die Tage nicht
selbst in Wall-Street-Kreisen erlebt hat, kann sich vorstellen,
wie es damals tatsächlich war. Man darf nicht vergessen, dass
die ganze Welt auf Wall Street sah und dass London, Paris,
Amsterdam, Berlin das Geschehen angespannt verfolgten,
denn dort war man von New York abhängig. Der Krach in
Wall Street bekam dadurch internationale Bedeutung.
Ich überlasse es anderen, die Ursachen dieses plötzlichen
Kursumschwungs aufzuspüren. Ich will nur kurz den Zu-
stand des amerikanischen Finanzmarktes im Jahre 1929
wiedergeben. Ohne einen Blick darauf würde das Folgende
grossenteils unbegreiflich bleiben.
Die Federal-Reserve-Banken hatten in Deutschland gewaltige
Beträge ausstehen. Seit der Aufhebung der Darmstädter und
der Nationalbank, dem Nordwollekrach, der Wiederherstel-
lung der D-Banken, der Plazierung der Young-Obligationen,
der Einrichtung der Bank für Internationalen Zahlungsver-
kehr waren die Kredite in Deutschland eingefroren. Dasselbe
war der l all mit Österreich seit der Krisis der Kredit-Anstalt.
57
Die Ausgleichszahlungen der französischen, belgischen,
rumänischen und italienischen Kriegsschulden liefen zwar
noch ein, aber stets mit Verzögerung, und bei jedem Fällig-
keitstermin drangen verschiedene Schuldnerländer immer
wieder auf eine Veränderung der Jahresraten und des Zinsfu-
sses. Jahre zuvor schon war der Abtrag französischer Kriegs-
schuld auf Bedingungen gegründet worden, die sich später als
übertrieben günstig für Frankreich erwiesen.
Kurzum, im Ganzen hatten die Vereinigten Staaten 1929
ausländische Forderungen, sowohl an Regierungen wie auch
an Privatleute, von ungefähr 85 Milliarden Dollar. Das war
im April. 1 Jie amerikanische Bankwelt hat niemals für Wilson
geschwärmt. Seinen Idealismus sahen Bankiers und Finan-
ziers als ehrenwert für die Studierstube an, aber als unbrauch-
bar für die internationale Geschäftswelt. Darum hat der
Vertrag von Versailles, der auf Wilsons Ideen gebaut war, nie
die Sympathie der Wall Street gehabt. Vornehmlich wurde
dieser Vertrag deswegen missbilligt, weil Frankreich durch
ihn zweifellos unbegründet bevorrechtigt worden war.
Die Reparationsschulden an Frankreich
Das war die Meinung im Jahre 1920. 1929 war sie in
Hinsicht auf den Vertrag ausgesprochen feindselig gewor-
den. Inzwischen waren zwar zahlreiche Änderungen an den
ursprünglichen Bestimmungen angebracht worden (Dawes,
Young), aber es blieb immer noch eine Tatsache, dass Frank-
reich durch eine Priorität bezüglich der Reparationszahlun-
gen und durch seinen Anspruch, diese in Gold und nicht in
Handelsgütern zu empfangen, nach Meinung der amerikani-
schen Bankwelt den Schlüssel für die wirtschaftliche Wider-
herstellung Deutschlands in der Hand hielt.
Da wir heute wissen, dass diese wirtschaftliche Wiederherstel-
lung Einfluss auf die Wohlfahrt Amerikas und Grossbritan-
niens, ja sogar der ganzen Welt hat, versteht man, wie
dringend es den Amerikanern war, mittels Krediten an
58
Deutschland und Mitteleuropa diese Wiederherstellung zu
fördern. Aber Frankreich warf Amerika hierbei Knüppel
zwischen die Beine, weil alles Geld, was Amerika direkt oder
durch Londons Vermittlung an Deutschland zahlte, und alles,
was London direkt zur Finanzierung des Wiederaufbaus
leistete, doch früher oder später in Form von Reparations-
zahlungen seinen Weg nach Frankreich fand. Deutschland
konnte nie so viel exportieren, dass seine Handelsbilanz einen
ausreichenden Überschuss erzielte, um damit die Reparations-
schulden an Frankreich leisten zu können. Es musste also seine
Schuld von seinem Kapital bezahlen, aber das Kapital war in
Form von grossen Krediten von Amerika und England bereit-
gestellt worden. Der Zustand wurde unhaltbar. Deutschland
konnte nicht in alle Ewigkeit fortfahren Geld aufzunehmen,
Amerika und England konnten nicht unbegrenzt ausleihen.
Infolge der schon genannten Schwierigkeiten in Deutschland,
Österreich und Zentraleuropa waren die ausländischen For-
derungen Amerikas zum grossen Teil eingefroren. 85 Milliar-
den Dollar sind selbst für ein Land wie die Vereinigten
Staaten kein Pappenstiel. Eingefroren waren hiervon schät-
zungsweise mindestens 50 bis 55 Milliarden Dollar, der Rest
war wie gesagt nicht sicher, denn mehr und mehr begann man
am guten Willen der vormaligen Alliierten — was die Rück-
zahlung ihrer Schulden an Amerika betraf — zu zweifeln, mit
Ausnahme Englands. Wir müssen noch ein Stückchen in die
Geschichte der Nachkriegsjahre zurückgehen. Vom Tag der
Unterzeichnung des Vertrages von Versailles an hat Frank-
reich seine Bedingungen als ewig und heilig angesehen, nicht
aus Gefühlserwägungen, sondern aus wohlverstandenen,
eigenen Interessen. Was in den letzten Jahren auch Versucht'
worden ist, sei es in Gesprächen oder schriftlichen Notizen,
die französische Regierung und die französischen Sachver-
ständigen zu der Einsicht zu bringen, dass von Deutschland in
den Worten dieses Vertrages auf finanziellem Gebiet mehr
gefordert wird, als es geben konnte, es ist noch nicht gelun-
gen, dieser Erkenntnis in den machthabenden Kreisen von
Paris Eingang zu verschaffen.
59
Die Raubritter aus dem Mittelalter
Solange sich die Franzosen diese Wahrheit nicht zu eigen
gemacht haben, ist keine internationale Zusammenarbeit
möglich. In diesem Jahr wird in London eine Weltkonferenz
abgehalten, aber ich gebe keinen Pfennig für ihr Gelingen,
wenn die französische Regierung ihren Standpunkt nicht
gründlich revidiert. In allen Verhandlungen, die seit 1920
geführt wurden, um zu einer Revision des Versailler Vertra-
ges zu kommen, hat Frankreich sich stets gegen einen Nach-
lass der deutschen Reparationsschulden aufgelehnt. Zwar
sind Nachlässe durchgesetzt worden, aber Frankreich gab
hierbei nicht mehr auf als das, was es ohnehin nicht bekom-
men hätte. So bekam das Land beim Anlaufen des Young-
Planes den grössten Teil der unabdingbaren Jahresleistungen
und wusste dadurch seine Übermacht über Deutschland auf-
rechtzuerhalten.
Ich verurteile die Haltung Frankreichs nicht. Die Staatsfüh-
rer und die Finanzsachverständigen des Landes werden von
Motiven geleitet, die für alle Zeiten der Möglichkeit einer
Wiederholung von 1914 zuvorkommen wollen, und ein
Deutschland im Wohlstand — die Deutschen waren und
werden für Europa immer die Raubritter aus dem Mittelalter
bleiben — vergrössert die Möglichkeit einer Wiederholung.
Darum musste nach der französischen Ansicht Deutschland
wirtschaftlich schwach bleiben.
Aber die Welt braucht cm wirtschaftlich gesundes Deutsch-
land, vor allem Amerika. Warum? Man findet die Antwort
nicht in wirtschaftswissenschaftlichen Abhandlungen, in
Betrachtungen über praktische internationale Wirtschaft,
denn dicke Bücher über dieses Gebiet bringen allenfalls den
Beweis eines vollständigen Mangels an Einsicht in die Wirk-
lichkeit der Dinge. Wirtschaftswissenschaftler sind nun mal
zumeist Stubengelehrte. Sie kennen eine Bank, eine Fabrik,
ein Handelshaus, eine Börse nur von aussen. Man bedenke
nur, dass Wilson, als er noch Professor in Princeton war, als
der tüchtigste Wirtschaftler Amerikas galt.
60
Zwischen zwei Feuern
Aber ich bin abgeirrt. Also: Frankreich will kein Deutschland
im Wohlstand, weil es Befürchtungen wegen der eigenen
Sicherheit hat. Amerika und England aber bedürfen eines
wirtschaftlich gesunden Deutschland, weil anders in diesen
Ländern selbst kein Wohlstand möglich ist. Um Deutschland
wirtschaftlich schwach zu halten, beharrt Frankreich auf
seinen rechtlich verbrieften Reparationsforderungen, die
wegen Wilsons Mangel an Realitätssinn im Überschwang des
Sieges und der Nachkriegseuphorie von 1918 bis 1920 im
Vergleich zu allen anderen viel zu hoch veranschlagt worden
waren und für Deutschland ein fortwährender Alpdruck ist.
Alle deutschen Regierungen haben zwischen zwei Feuern
gestanden, den Forderungen des Auslandes — Frankreich
voran — auf der einen Seite und dem Unwillen im eigenen
Land auf der anderen. Gaben sie dem Ausland nach, dann
schrie das deutsche Volk Verrat - und es kann hart schelten
und laut schreien -—, taten sie es nicht, dann drohte eine
Besetzung durch französisches Militär. So kam es zum Ruhr-
Abenteuer.
Frankreich hatte damit wenig Erfolg und wiederholte Ähnli-
ches dann nie mehr, fand aber einen anderen Weg, um mit
seinen Reparationsforderungen den gewünschten Zweck zu
erzielen.
Ich kann in diesem kurzen Abriss nicht die ganze französische
Politik analysieren. Ich will darüber nur sagen, dass Frank-
reich, indem es sich jeder Kürzung hartnäckig widersetzte
oder nur Nachlässe hinnahm, wenn an deren Stelle andere
Vorteile traten, so lange seine Reparationsforderungen bean-
spruchen konnte, dass die Darlehen Amerikas und Englands
an Deutschland und Österreich niemals ausreichen konnten,
um erstens eine wirtschaftliche Wiederherstellung dieser
Länder zu bewirken und sie zweitens in die Lage zu versetzen,
ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag von Versailles — selbst
abgeschwächt und abgeändert - erfüllen zu können.
61
Es wird niemanden wundern, dass die Finanzwelt in Amerika
nach Mitteln Ausschau hielt, Frankreich auf diesem Feld
schachmatt zu setzen. Erst wenn die Waffe der Reparations-
zahlungen Frankreich aus den Händen geschlagen war,
konnte sich Deutschland durch finanzielle Hilfe von Amerika
und England wirtschaftlich wieder erholen, und dann würde
auch in den zwei grössten Ländern der Welt Wohlstand
wieder möglich werden. Zwischen den Federal-Reserve-
Banken und führenden Privatbankiers in den Staaten kam es
im Juni 1929 zu einem Gedankenaustausch. Wenig später
erfuhr ich, zu welchem Ergebnis die Gespräche geführt
hatten. Zuvor möchte ich noch etwas zum internationalen
Olgeschäft sagen.
Das Leben hat mehr «thrill»
Dass eine internationale Ölwelt ebenso existiert wie eine
internationale Bankwelt, dürfte allgemein bekannt sein.
Ölmagnaten sind gierige Herren. Standard Oil und Rpyal
Dutch sind gute Freunde. Diese zwei Unternehmen haben die
Welt in Interessenzonen aufgeteilt, und jeder hat davon eine
bestimmte Anzahl belegt.
In ihrer Zone ist das Unternehmen, der sie zugewiesen ist, auf
dem Ölsektor Herr und Meister. So haben diese Gesellschaf-
ten Jahr für Jahr grosse Gewinne machen können. Sowjetruss-
land hat dann die ganze Sache verdorben und einen ungestü-
men Konkurrenzkampf gegen Standard und Royal Dutch
begonnen.
Seitdem erzielen die Unternehmen nur noch sechs oder sieben
Prozent Gewinn aus ihrem investierten Kapital. Das ist nicht
ausreichend, um die Gier von Direktoren zu befriedigen. Die
Konkurrenz aus Sowjetrussland hatte vor allem in Deutsch-
land Erfolg, weil die verschiedenen Regierungen dieses Lan-
des stets Annäherung an die neuen Herrscher in Russland
suchten und mit Handelsverträgen und Krediten den deut-
schen Markt bequemer zugänglich machten.
62
Noch einige Absätze Geduld und sie werden begreifen, wie es
kam, dass Vertreter von Standard Oil und Royal Dutch bei
den Besprechungen anwesend waren, die die Federal-Reser-
ve-Bank im Jahre 1929 mit verschiedenen amerikanischen
Bankiers führten. Ich werde nun die internationalen finan-
ziellen Angelegenheiten nicht mehr so weitläufig erörtern,
sondern einfach erzählen, was im Jahre 1929 mein Anteil an
den schon erwähnten Besprechungen war, welcher Auftrag
daraus für mich erwuchs und wie ich diesen ausgeführt habe.
Für Liebhaber phantastischer Erzählungen wird dieser Be-
richt trocken und langweilig sein; wenn Sie sich zu ihnen
rechnen, dann werfen Sie dieses Buch besser gleich weg! Für
die, die wissen, dass das wirkliche Leben mehr «thrill» bieten
kann als die kühnste Phantasie eines Romanschreibers, ist
mein Bericht ebensowenig geeignet, denn «thrill» setzt Mord,
Totschlag, Diebstahl, Erpressung, Betrug, Ehebruch und Sex-
appeal voraus. Mein Bericht ist nicht mehr als die treue
Wiedergabe von vier Gesprächen, die ich mit dem «kommen-
den Mann» Europas, Adolf Hitler, geführt habe.
Ich habe keine Literatur schreiben wollen, ich erzähle nur,
was ich selbst erlebt habe, alles, was ich gehört habe, und hier
und da werde ich zur besseren Orientierung meiner Leser
meine persönlichen Einsichten hinzufügen. Ich beabsichtige
nicht, mit der Veröffentlichung meiner Erfahrungen Hass
gegen Personen zu züchten, ich will nur das Verbrechen eines
Systems herausstellen, das die Welt regiert und worin sich das
ereignen kann, was ich mitbetrieben habe. «Ereignen kann» ist
nicht genau genug; sich ereignet hat, meine ich.
Für Deutschland eine Revolution
Im Juli 1929 erhielt ich die Aufforderung, am folgenden Tag
in das Büro des Guarantee Trust in New York zu kommen, zu
einer Unterredung mit Carter, dem Aufsichtsratsvorsitzen-
den dieser Bank. Carter war allein und fiel sofort mit der Tür
ins Haus.
63
Am folgenden Tag sollte im Konferenzzimmer des Guarantee
Trust eine Versammlung stattfinden, bei der die Aufsichts-
ratsvorsitzenden der anderen Federale-Reserve-Banken, fünf
Privatbankiers und der junge Rockefeller und Glean für die
Royal Dutch anwesend sein würden. Carter hatte in einer
vorangegangenen Versammlung — das war die bewusste
Zusammenkunft im Juni — mit den Herren über mich gespro-
chen, und alle waren sich darüber einig, dass ich der Mann
war, den sie brauchten.
Ich kann perfekt Deutsch und war vier Jahre in Hamburg in
einem uns befreundeten Bankhaus tätig gewesen. Carter
erzählte mir, worum es ging. Die internationalen Finanzver-
hältnisse waren mir vollständig bekannt, darüber brauchte er
also nicht zu sprechen. Auch wusste ich genau, dass man in
der New Yorker Bankenwelt nach Mitteln Ausschau hielt, um
jetzt endlich dem Missbrauch ein Ende zu setzen, den Frank-
reich mit seinen überzogenen Reparationsforderungen
gegenüber Deutschland betrieb. Ich bekam einen kurzen
Abriss über das, was Frankreich auf dem Gebiet der interna-
tionalen Geldpolitik unternommen hatte. Carter wusste auch,
dass man darüber in London ebenso dachte wie in New York.
Weiter erfuhr ich, was am folgenden Tag noch zur Sprache
kommen sollte. In jedem Fall rechnete er mit meinem Erschei-
nen.
Natürlich war ich am folgenden Tag anwesend. Carter und
Rockefeller führten das grosse Wort, die anderen hörten zu
und pflichteten ihnen bei. Die Sache, um die es ging, war -
nach Carters Worten - sehr einfach. Alle waren sich einig,
dass es nur ein Mittel gab, um Deutschland aus dem finanzi-
ellen Würgegriff Frankreichs zu lösen, und das war eine Re-
volution.
Die Revolution konnte durch zwei verschiedene Gruppen
bewirkt werden. Erstens kam hierfür die deutsche Abteilung
der kommunistischen Internationale in Betracht. Aber wenn
eine kommunistische Revolution in Deutschland Erfolg hat-
te, würde die Macht Sowjetrusslands in Europa verstärkt und
die bolschewistische Gefahr vergrössert werden.
64
Blieb nur eine Revolution, durchgeführt von einer Gruppe
deutscher Nationalisten. Zuvor gab es verschiedene Gruppen
mit dieser politischen Ausrichtung, aber nur eine Bewegung
war radikal genug, um eine wirkliche Umwälzung der Staats-
ordnung in Deutschland zustande bringen zu können, not-
falls mit Gewalt. Carter hatte von einem Bankdirektor aus
Berlin über einen gewissen Hitler gehört.
Verlangt wurde eine aggressive Auslandspolitik
Rockefeiler hatte einen kurzen Bericht in einem deutsch-
amerikanischen Blatt über die nationalsozialistische Bewe-
gung unter Führung dieses Mannes Hitler (er sprach diesen
Namen: Heitler) gelesen. Bei dem vorangegangenen Treffen
war beschlossen worden, mit «diesem Mann Hitler» Verbin-
dung aufzunehmen, um herauszufinden, ob er für eine finan-
zielle Unterstützung aus Amerika zugänglich war.
Jetzt wurde mir klar die Frage gestellt, ob ich bereit war, nach
Deutschland zu reisen, mich mit diesem Hitler in Verbindung
zu setzen und die notwendigen Massnahmen für diese finan-
zielle Hilfe zu treffen. Es musste schnell gehandelt werden,
denn je schneller die Entwicklung der Nationalistengruppe in
Deutschland vorangetrieben werden konnte, desto besser.
In den Verhandlungen mit Hitler sollte vor allem darauf
Nachdruck gelegt werden, dass von ihm eine aggressive
Auslandspolitik, die Entwicklung einer Revanche-Idee gegen
Frankreich erwartet wurde. Hiervon versprach man sich
zunehmende Angst auf französischer Seite und als Folge
davon eine grössere Nachgiebigkeit der französischen Regie-
rung in internationalen Fragen. Im Tausch dafür sollte dann
Frankreich für den Fall eines deutschen Angriffs amerikani-
sche und englische Unterstützung zugesagt werden. Hitler
durfte natürlich von dieser Absicht nichts erfahren. Dies
herauszufinden musste seinem eigenen Verstand und seiner
Findigkeit überlassen bleiben. Es wurde abgesprochen, dass
ich Hitler über die Höhe des Betrages, den er für einen totalen
65
Umsturz der deutschen Staatsordnung als nötig erachtete, auf
den Zahn fühlen sollte.
Sobald ich Genaueres wüsste, sollte ich im Geheimcode des
Guarantee Trust an Carter kabeln, worauf der Betrag nach
Bewilligung bei einer europäischen Bank auf meinen Namen
zur Verfügung gestellt werden würde. Ich konnte dann zur Wei-
tergabe an Hitler darüber verfügen.
Ich habe diesen Auftrag angenommen. Warum? Wenn ich
mir jetzt diese Frage stelle, dann weiss ich darauf keine
Antwort. Im Jahre 1929 hätte ich gesagt: Um mit Carter
übereinzustimmen. Aber wann weiss ein Mensch, ob er gut oder
schlecht handelt? Darum geht es hier auch nicht, und ich erzähle
weiter.
Drei Tage später war ich an Bord der «Ile de France» mit
Bestimmungshafen Cherbourg. Zwölf Tage danach kam ich
in München an. Ich besass diplomatische Pässe, Empfehlungs-
schreiben von Carter, von Tommy Walker (damals noch nicht
kompromittiert), von Rockefeiler, von Glean und von Hoover.
Die diplomatische Welt stand mir damit ebenso offen wie die
Geschäftswelt, die Bankwelt und nicht zuletzt die Regierungs-
kreise.
Endlich war ich mit Hitler allein
Hitler war nicht leicht zu erreichen. Der Mann war scheu
oder fürchtete, sich käuflich zu machen. Der amerikanische_
Konsul in München liess sich nicht darauf ein, eine Verbin-
dung mit den Nationalsozialisten Hitlers herzustellen. Das hatte
einen Zeitverlust von etwa acht Tagen zur Folge.
Ich beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, und
ging zum Oberbürgermeister von München, Herrn Deutz-
berg, mit einer Empfehlung des amerikanischen Konsuls. Er
versprach mir, dass ich schon am folgenden Tage unterrichtet
werden würde, wo und wann Hitler mich empfangen könnte,
aber ich zweifelte an seinen Worten. Doch hatte er nicht
zuviel versprochen, denn bereits im Verlauf des folgenden
66
Vormittags lag beim Pförtner meines Hotels ein freundliches
Briefchen Deutzbergs, in dem er mir Tag und Stunde nannte,
zu denen mich Hitler im Bräukeller empfangen wollte. Ich sollte
dem Keller nur meinen Namen angeben und wurde dann zu Hit-
ler gebracht.
Es glich der Geheimniskrämerei einer Maffiabande. Ich ging
zu dem Termin und alles lief schnell über die Bühne. Hinter
dem grossen Saal des Bräukellers befindet sich ein grosses
altertümliches Zimmer, dort sass Hitler zwischen zwei Män-
nern an einem länglichen Tisch. Ich hatte den Mann schon ein-
mal abgebildet gesehen, aber auch ohne das Bild zu kennen hätte
ich gewusst, dass Hitler der mittlere war.
Die drei Männer standen auf und stellten sich vor. Vom Kellner
wurde mir eine grosse Mass Bier gebracht, und ich konnte be-
ginnen. Natürlich wollte ich mit meinem Auftrag nicht in Ge-
genwart der zwei Beisitzer herausrücken. Deshalb verlangte ich
von Hitler ein Gespräch unter vier Augen.
Er flüsterte kurz mit den zwei Männern und sagte dann scharf:
«Das ist nicht meine Gewohnheit. Wenn Sie sich ordentlich le-
gitimieren können, werde ich es mir überlegen.»
Ich zeigte ihm ein paar Empfehlungsschreiben. Er überlegte
nicht lange. Ein Blick genügte, und die zwei Männer verschwan-
den. Dann legte ich sämtliche Empfehlungsschreiben auf den
Tisch und bat Hitler, sie zur Kenntnis zu nehmen. Gewissen-
haft las er die Briefe und fragte mich dann, ob ich plane, in
einer amerikanischen Zeitung über meine Unterhaltung mit
ihm zu schreiben. Ich verneinte es. Das erleichterte ihn offen-
sichtlich. «Ich halte nichts von Journalisten», sprach Hitler wei-
ter, «vor allem nicht von amerikanischen.»
Ich fragte nicht, warum, es interessierte mich nicht. Vorsich-
tig stellte ich nun einige Fragen. Auf alle bekam ich auswei-
chende Antworten oder ein schlichtes Ja oder Nein. Inzwi-
schen hatte Hitler seinen grossen Bierkrug ausgetrunken und
klingelte. Sofort kam der Kellner, der mich hereingeführt
hatte, und nahm eine Bestellung auf. Der neue Krug schien
Hitler die Zunge zu lösen, denn jetzt kam er in Fahrt:
67
Alles für Geld
68
«Von allen Fremden sind mir die Amerikaner noch die sym-
pathischsten. Sie waren die ersten, die uns nach dem Krieg
halfen. Das wird Deutschland niemals vergessen. Ich spreche
von dem neuen Deutschland. Was denkt man in Ihrem Land
über unsere Bewegung? . .. Unser Programm ist doch ins
Englische übersetzt worden. Die Zeit wird euch wohl lehren
einzusehen, was wir wollen.
Das deutsche Volk ist durch die Bestimmungen des Vertrages
von Versailles in die Sklaverei getrieben worden. Es gibt für
uns Deutsche keine Freiheit mehr, weder im eigenen Land noch
im Ausland. Unsere Regierungen seit 1918 sind zusammenge-
setzt aus Feiglingen und Verrätern. Jeder ist bestechlich.
Das Volk hat seinen Glauben in die neuen Führer gesetzt.
Juden und Marxisten sind hier Herr im Hause. Alles für
Geld. Zucht und Ordnung bestehen nicht mehr. Der deutsche
Beamte ist unzuverlässig. Eine Katastrophe für das Land. Das
Quasseln nimmt kein Ende. Vom Reichstag und von den
Landtagen ist nichts mehr zu erwarten.
Alle politischen Parteien betreiben schändlichen Kuhhandel.
Die Regierung lässt sich die Gesetze durch das Ausland vor-
schreiben, statt die Zähne zu zeigen und fühlen zu lassen, dass
das deutsche Volk noch zur Abwehr imstande ist...
Wie es anders werden soll? Wir führen eine intensive Propa-
ganda gegen Verrat und Bestechung. Wir haben schon zwei
Zeitungen, und unsere Organisationen wachsen zusehends.
Man glaubt nun, mit Uniformverboten unsere Tätigkeit
unterbinden zu können. Unsinn. Die Uniform ist allemal nicht
der Geist. Wir werden weiter den Geist des Volkes bearbeiten.
Die Unzufriedenheit muss noch grösser werden. Die Arbeits-
losigkeit muss noch zunehmen. Dann eben können wir vor-
wärtsJcoommem_Die Regierung ist ängstlich geworden, weil
wir bewiesen haben, dass wir den richtigen Weg zum Herzen
des Volkes kennen. Wir bieten Arbeit und Brot. Das können
wir auch geben, wenn wieder wie früher ein bewusst deut-
sches Volk besteht, das sein Lebensrecht in der Reihe der Na-
tionen zu erobern weiss.
Die Reichswehr ist in unserer Hand, und unsere Abteilun-
‚gen haben sich überall in strenger Zucht entwickelt. Wir kle-
ben nicht fest an der Utopie eines Judenbastards wie die
Marxisten, sondern unser Programm ist deutsch, und von
Verhandeln ist bei uns keine Rede.»
«Kraft ist Leben, Leben ist Gewalt»
Hitler machte auf mich einen eigenartigen Eindruck. Seine
kurzen verbissenen Sätze, das zusammenhanglose Gehaspel
ohne jede ernsthafte Beweisführung liessen mich annehmen,
dass dieser Mann innerlich leer war und Schwierigkeiten mit
grossen Worten und Demagogie lösen wollte. Ich brachte
wieder die Organisation seiner Bewegung zur Sprache.
«In unserer Bewegung herrscht ein grosser Geist von Solidari-
tät. Viele Arbeitslose haben sich uns in den grossen Städten
angeschlossen, in den kleineren Orten viele Mittelständler,
auf dem Lande viele Bauern. Unsere Menschen opfern gern
von dem Wenigen, was sie haben, um der Bewegung vorwärts
zu helfen. Und Unehrlichkeit und Betrug können bei uns
nicht vorkommen, denn ich habe alles selbst in der Hand. Die
vorbildliche Zucht bei unsern Leuten lässt alle finanziellen
Mittel wie von selbst dem Mittelpunkt hier in München zu-
fliessen, und dieser Mittelpunkt bin ich...
Gewalt? Aber das ergibt sich doch von selbst. Eine grosse Be-
wegung hat nie ohne Gewalt praktischen Nutzen gebracht.
Das klägliche Geschwätz von Pazifisten ist lachhaftl. Die
Leute leben nicht. Kraft ist Leben, Leben ist Gewalt.
Sehen Sie nur in der Natur, sehen Sie nur in der Tierwelt. Da
gilt nur ein Recht, das Recht des Stärksten. Nach aussen hin?
Das wird wohl nicht anders sein können. Ich will Amerika
ausser Betracht lassen. Aber was die anderen Länder angeht,
dachten Sie, dass Deutschland je ohne Gewalt seine Kolonien
69
wiederbekommt, oder Elsass-Lothringen, oder die grossen
Teile Polens oder Danzig?
Geld? Gerade darum geht es. Darum muss das deutsche Volk
frei werden, um sich wirtschaftliche Geltung verschaffen zu
können, dann nur kann das Geld verdient werden, um, so-
bald die Gelegenheit dazu günstig ist, mit dem Recht der
Waffen unsere Rechte zu erreichen.
Frankreich ist unser Feind, die anderen früheren Alliierten
sind unsere Konkurrenten, das macht einen grossen Unter-
schied. Der Schwindel der jüdischen Banken ist zu beenden.
Galizische Spekulanten streichen das Vermögen des Mittel-
standes ein. Die grossen Warenhäuser machen den Handel
für den Kleinbürger unmöglich. Zinsen und Mieten sollten
geregelt und abgeschafft werden.»
Hitler steckte eine Hand in den Spalt seines braunen Hemdes:
«Hier ist unser Programm, darin können Sie alles finden, was
wir uns zum Ziel gesetzt haben.»
«Ich will kein Knecht in Deutschland sein»
Es war Zeit für mich, mit dem wahren Zweck meines Besu-
ches ans Licht zu kommen. Er liess mich nicht einmal ausre-
den:
70
«Schwierigkeiten? Natürlich gibt es Schwierigkeiten, aber
die halten mich nicht zurück. Ich habe die Beseitigung der
Bevormundung des deutschen Volkes zu meiner Lebensauf-
gabe gewählt, und ich werde siegen oder dabei untergehen.
Die grösste Schwierigkeit ist für uns, dass das Volk durch
den jahrelangen Zustand der Herabsetzung gleichgültig ge-
worden ist. Dagegen ist eine starke Propaganda notwendig,
die die Geister aufrüttelt. Solch eine Propaganda kostet
Geld. Nein, hohe Beiträge können wir unseren Leuten nicht
auferlegen. Ich habe die Beiträge schon ändern müssen, weil
es viele gab, die sie nicht aufbringen konnten. Es gibt wohl
bestimmte Sympathien für unsere Bewegung, vor allem
beim Adel, aber diese Sympathien sind nicht rein.
Ich will kein Knecht der monarchischen Bewegung in
Deutschland sein. Alle Adeligen hier sind mit monarchi-
schen Ideen angesteckt, und darum lasse ich sie nicht in die
Bewegung herein, ohne ihrer Absichten sicher zu sein, und
auch dann stehen sie noch unter Kontrolle unserer Führer.
Mit Sympathie der Grosskapitalisten können wir vorläufig
noch nicht rechnen. Doch werden sie uns unterstützen müs-
sen, wenn unsere Bewegung eine Macht geworden ist.
Was denkt man in Amerika über unsere Bewegung?»
Die amerikanische Meinung über seine Partei schien Hitler
besonders zu interessieren. Ich gab ihm dieselbe Antwort wie
zuvor, nämlich dass wir in Amerika zu wenig von seinen
Absichten wüssten, um uns ein Urteil bilden zu können.
Wieder begann er über die Schwierigkeiten zu sprechen:
«Es gibt viele Arbeiter, die für unsere Propaganda zugäng-
lich sind. Aber Eigennutz hält sie davon ab, in unsere Bewe-
gung einzutreten. Die sozialdemokratischen Gewerkschaften
haben starke Streikkassen. In dieser Zeit ist es für viele fast
unmöglich, die Unterstützung der Gewerkschaft zu entbeh-
ren. Aber wir suchen jetzt nach einem Mittel, die gutgesinn-
ten Elemente aus den Gewerkschaften doch in unsere Bewe-
gung aufnehmen zu können. Sie können da für uns nützliche
Arbeit leisten und den Geist ihrer Mitglieder mit gutem
Erfolg bearbeiten.
Ich arbeite augenblicklich einen grossen Plan aus für ein
eigenes Pressebüro hier in München und einen eigenen Ver-
lag mit Filialen in Berlin, Hamburg und in einer Stadt am
Rhein. Norddeutschland ist für uns noch unbearbeitet, und
auch in der Rheinprovinz ist unsere Bewegung noch kaum
gewachsen. Bayern ist uns im Allgemeinen günstig gesinnt,
ebenso Sachsen.»
71
«Sind Sie auch ein Jude?»
Es wurde immer schwieriger für mich, meinen Auftrag auszu-
führen. Hitler schien sich selbst gern sprechen zu hören, und
wenn ich versuchte, ein kurzes Wort anzubringen, das die
Übermittlung meines Auftrages einleiten sollte, sprang er zu
einem anderen Thema über.
So ging es nacheinander weiter:
«Präsident Hindenburg steht unserer Bewegung nicht sym-
pathisch gegenüber, wird sich aber zur rechten Zeit nicht
dem Volkswillen widersetzen. Die Aristokratenclique, die
ihn umgibt, fürchtet sich vor der aufkommenden Macht des
deutschen Volkes, weil wir wohl einmal Rechenschaft ver-
langen könnten wegen ihrer laschen Haltung gegenüber dem
Ausland und den jüdischen Kapitalisten.»
Er schweigt plötzlich, sieht mich lange an und sagt dann
bissig:
«Sind Sie auch ein Jude? Nein, Gott sei Dank, wohl deut-
scher Herkunft, ja, das leite ich von Ihrem Namen ab.»
Nun bekam ich doch noch Gelegenheit, auf die Schwierigkei-
ten von Hitlers Bewegung zurückkommen zu können, und
ich unterbreitete ihm ohne Umschweife meinen Vorschlag
einer finanziellen Unterstützung.
«Wenn das möglich wäre. Was würden wir dann alles errei-
chen können? Ohne Waffen muss sich unsere Bewegung
doch totlaufen. Uniformen können sie uns abnehmen, den-
noch wird unser Gedanke wachsen, aber wir haben Waffen
nötig. An die Bestimmungen von Verträgen halte ich mich
nicht, und mit genügend Geld kann man überall Waffen
kaufen. Hier in München haben wir für eine ausgesuchte
Abteilung eine Schiessschule errichtet, die von der Bewegung
hoch gepriesen wird.»
Ich erklärte nun meinen fest umschriebenen Auftrag und
fragte nach Hitlers Meinung über die Höhe des Betrags. Dies
schien ihn in Verlegenheit zu bringen. Er klingelte. Ein Ge-
spräch mit dem Kellner im Flüsterton. Nervös spielte Hitler
mit seinem Notizbuch und schien in Gedanken versunken.
72
Adolf Hitler: Vom unbekannten Sol-
daten des Ersten Weltkriegs stieg er
auf zum unumschränkten Herrscher
fast ganz Kontinentaleuropas und
endete — gescheitert — im Selbst-
mord.
73
Ein langer magerer Mann von schätzungsweise vierzig Jah-
ren, ganz Soldat in brauner Uniform, kam herein. Hitler
nötigte ihn, an seiner Seite Platz zu nehmen. Ich wurde nicht
vorgestellt, hörte aber wohl den Namen, mit dem Hitler ihn
ansprach: von Heydt.
Ohne Einleitung fragte Hitler ihn, wieviel nach seiner Mei-
nung nötig war, um die Bewegung intensiv in ganz Deutsch-
land propagieren zu können:
«Wir müssen an den Norden und ans Rheinland denken.
Wir müssen bedenken, dass wir mit der Möglichkeit einer
Unterstützung für die Arbeitslosen, die jetzt noch den Ge-
werkschaften angeschlossen sind, viel erreichen können, und
wir dürfen nicht vergessen, wieviel nötig sein kann, um den
Plan der Sturmabteilungen gründlich auszuführen. Bewaff-
nung kostet viel Geld, und die Schmuggler stellen hohe For-
derungen.
Hundert Millionen Mark
Von Heydt nahm einen langen Bleistift vom Tisch und
begann, auf der Rückseite eines Pappkartons zu rechnen.
Hitler lehnte mit dem Arm auf seinem Stuhl und folgte seiner
Berechnung. Dann übernahm er das Kartonblatt von von
Heydt, dankte ihm in einem Ton, der deutlich die Anweisung
enthielt, uns allein zu lassen:
«Sehen Sie mal her. Unter unseren Umständen einen Vor-
anschlag aufzustellen, ist nicht leicht. An erster Stelle möch-
te ich gern wissen, wie weit zu gehen Ihre Auftraggeber bereit
sind. Ferner ist die Frage, ob sie, wenn ihre Unterstützung
aufgebraucht ist, bereit wären, uns weiter beizuspringen.
Von Heydt hat hier eine Kostenaufstellung gemacht. In der
Hauptsache kann ich dem zustimmen, ich möchte aber vor-
her wissen, wie Sie zu diesen Punkten stehen. Dann kommt
noch dazu, dass wir unsere Berechnung nur nach den beste-
henden Plänen gemacht haben. Danach kommen aber noch
verschiedene, die erst im Werden sind, die erst ausgearbeitet
werden, sobald die ersten geglückt sind.
74
Ich denke an die Ausbildung in unserer geplanten Segelflug-
Abteilung, ich denke auch an die Beschaffung von Unifor-
men für Arbeitslose — die Uniformverbote sind doch nur von
zeitlicher Art - und an weitere Pläne.»
Ich musste die Antwort hierauf natürlich schuldig bleiben
und machte nochmal deutlich, dass diese erste Unterhaltung
nur einen Kontakt herstellen sollte. Von seinen Vorstellungen
über die Höhe der finanziellen Unterstützung würde es
abhängen, ob meine Auftraggeber wirklich zur Beschaffung
der Geldmittel bereit sein würden, und erst dann könnte ein
Höchstbetrag genannt werden.
Das schien Hitler nicht zu gefallen, oder er fand es vielleicht
zu verwickelt, denn mit verstörtem Tonfall fragte er mich, ob
ich persönlich denn keine Vorstellung über den Betrag hätte,
den man ihm zur Verfügung stellen wollte.
Auch hierauf musste ich die Antwort schuldig bleiben. Ich
erwartete nun, dass er fragen würde, warum ihm eigentlich
von amerikanischer Seite finanzielle Hilfe angeboten wurde,
aber er fragte etwas ganz anderes:
«Wann könnte ich das Geld bekommen?»
Ich konnte ihm hierauf nur antworten, dass nach meiner
Vermutung sofort nach meinem telegrafischen Bericht in
New York wohl Massregeln ergriffen würden, um das Geld
schleunigst nach Deutschland zu überweisen, sofern man sich
über den Betrag einig werden würde.
Er fiel mir wieder ins Wort:
«Nein, nicht nach Deutschland, das ist viel zu gefährlich. Ich
traue keiner einzigen deutschen Bank. Das Geld muss bei
einer Bank im Ausland eingezahlt werden, wo ich dann dar-
über verfügen kann.»
Wieder sah er die Berechnung auf dem Blatt an, und dann rief
er mir zu, als ob er mir einen strengen Befehl geben sollte:
«Hundert Millionen Mark!»
Ich gab mein Erstaunen über seinen grossen Hunger nicht zu
erkennen, versprach ihm, nach New York zu kabeln und ihm
baldigst die Antwort meiner Auftraggeber mitzuteilen. Davon
wollte er nichts hören:
«Sobald Sie Bericht aus Amerika haben, schreiben Sie nur
an von Heydt. Seine Anschrift ist Lützow-Ufer 18, Berlin.
75
Der setzt sich dann mit Ihnen in Verbindung wegen der wei-
teren Regelung.»
Hitler stand auf, streckte mir die Hand entgegen, ein deutli-
cher Wink, zu gehen.
Hitler schimpfte auf Banken und Kommunisten
Unterwegs zu meinem Hotel rechnete ich aus, dass hundert
Millionen Mark ungefähr vierundzwanzig Millionen Dollar
entsprachen. Ich zweifelte an der Bereitwilligkeit Carters und
der anderen, einen derartigen Betrag a fonds perdu in eine
politische Bewegung in Europa zu stecken. Schliesslich über-
legte ich, dass man das in New York auszumachen hatte und
kabelte im Geheimcode eine kurze Zusammenfassung meines
Gesprächs mit Hitler.
Am Abend des folgenden Tages ging ich zu einer Versamm-
lung der Nationalsozialistischen Partei. Ich hatte am Morgen
eine Einladung dazu erhalten. Erst sprach Hitler, und nach
ihm ein gewisser Falkenhayn.
Genau wie bei unserem Gespräch fiel mir auch jetzt wieder
der Mangel an Beweisführung auf. Nirgends ein Schimmer
von Beweisführung. Kurze, kräftige Sätze, abgehackt und
hinausgeschrien, demagogische politische Taktik, fortlau-
fende Aufpeitschung. Ich bekam Mitleid mit den anwesenden
Journalisten, die einen Bericht für ihre Zeitung schreiben
mussten. Über eine derartige Rede, so schien es mir, ist kein
Bericht zu machen.
Hitler sprach nicht über die Bewegung, auch nicht über ein
Programm oder über Verbesserungen, die er mit seinem
Gefolge einführen wollte. Er schalt auf die Regierungen seit
1918, auf die grossen Banken, auf die Kommunisten, auf die
Sozialdemokraten, auf diu Juden und auf die grossen Waren-
häuser. Seine Rede lief über von Worten wie Verräter, Diebe,
Mörder, Gewissenlose, Volksverderber, Beschmutzer des
deutschen Geistes. Er nannte keine Tatsachen, blieb unbe-
stimmt und allgemein, aber er hatte Erfolg damit.
76
Später hörte ich, dass an diesem Abend ungefähr 130 neue
Mitglieder den Nationalsozialisten beigetreten waren. Fal-
kenhayns Rede machte mir den Eindruck, dass sie dazu
bestimmt war, die Zuhörer nach den aufhetzenden Worten
Hitlers zu beruhigen. Langweilig und halb unverständlich
wollte Falkenhayn beweisen, dass Sowjetrussland eine Gefahr
für die Welt war, dass in der UdSSR von Sozialismus keine
Rede sein konnte und dass die Hitler-Bewegung die erste
Partei war, die den wirklichen Sozialismus ins Volk brachte.
Sein Erfolg war mässig.
10 Millionen Dollar wurden zur Verfügung gestellt
Schon am dritten Tag bekam ich Antwort von Carter. Eine
kurze Antwort im Geheimcode. Es wurden 10 Millionen zur
Verfügung gestellt, ich brauchte nur noch zu kabeln, auf
welche Bank in Europa ich diesen Betrag zu meiner Verfü-
gung wünschte. Carter dachte darüber offenbar genau wie
ich, 24 Millionen Dollar waren wohl etwas zu viel, um sie auf
einmal in den Wind zu streuen. Ich schrieb sofort an von
Heydt, und am folgenden Tag rief er mich aus Berlin an.
Von Heydt kam noch am selben Abend nach München, in
Gesellschaft eines unscheinbaren kleinen Mannes, den er mir
mit dem Namen Frey vorstellte. Ich empfing die Herren in
meinem Zimmer und teilte ihnen mit, dass New York bereit
war, auf meinen Namen 10 Millionen Dollar auf einer
europäischen Bank zur Verfügung zu stellen. Ich sollte hier-
über zu Hitlers Gebrauch disponieren. Es musste eine Rege-
lung getroffen werden über die Auszahlung und die Überwei-
sung des Geldes.
Beide nahmen alles zur Kenntnis, ohne das geringste Erstau-
nen zu zeigen, und sagten, nichts beschliessen zu können,
ohne mit dem Führer beraten zu haben. Ich begriff tatsächlich
nicht, wen sie meinten, aber als ich mehrmals den Namen
Hitler nannte, berichtigte mich der kleine Frey frech: «Sie
meinen den Führer.»
77
Später habe ich noch öfter bemerkt, dass in den Kreisen der
Nationalsozialisten niemals der Name Hitler ausgesprochen
wurde, sondern dass man stets vom Führer sprach. Mir gleich,
dann eben der Führer.
Ich wartete in München auf eine Nachricht von von Heydt,
und zwei Tage später kündigte er mir seinen Besuch an. Er
kam wieder mit Frey in mein Hotel. Folgende Regelung
wurde mir vorgeschlagen. Ich sollte nach New York kabeln,
die zehn Millionen Dollar bei den Bankiers Mendelssohn &
Co. in Amsterdam zu meiner Verfügung bereitzustellen.
Dann sollte ich nach Amsterdam fahren und besagte Bankiers
ersuchen, mir zehn Schecks zu einer Million Dollar anzustel-
len, ausgeschrieben auf den Mark-Gegenwert und verteilt auf
zehn Städte in Deutschland. Die Schecks sollte ich dann auf
zehn verschiedene Namen überschreiben und an von Heydt,
der mit mir nach Amsterdam fahren wollte, aushändigen.
Mit Ehrerbietung und Untertänigkeit
Von Holland aus konnte ich dann nach Amerika zurückkeh-
ren. Ich hatte das Gefühl, dass man mir diese Prozedur
vorschlug, um mich so schnell wie möglich aus Deutschland
verschwinden zu lassen. Ich hatte keine Bedenken gegen die
Regelung, und die Sache lief so, wie von Heyd vorgeschlagen
hatte. In Amsterdam fielen mir zwei eigenartige Umstände
auf. In der Geschäftsstelle von Mendelssohn & Co. wurde ich
mit ungewöhnlicher Zuvorkommenheit empfangen, und von
Heydt, der dicht neben mir am Schalter stand, wo ich um eine
Unterredung mit dem Direktor bat, wurde von niederen und
hohen Angestellten behandelt, als sei er der beste Kunde der
Bank.
Nachdem die Transaktion vollzogen war und von Heydt die
zehn Schecks in seiner Brieftasche hatte, bat er mich, ihn zum
deutschen Konsulat zu begleiten. Auch dort wurden wir mit
einer Ehrerbietung und einer Untertänigkeit empfangen, die
deutlich den grossen Einfluss von Heydts bewiesen.
78
Über Southampton reiste ich mit der «Olympic» zurück nach
New York. Im Büro der Guarantee Trust Company erstattete
ich Carter Bericht. Er liess mich aber nicht aussprechen, son-
dern fragte, ob ich nicht in zwei Tagen noch einmal kommen
könnte, um in einer Plenarsitzung meinen Bericht vorzutragen.
Es waren dieselben Herren wie im Juli anwesend, aber ausser
Glean, der für die Royal Dutch auftrat, war noch ein Englän-
der zugegen, Angell, einer der leitenden Angestellten der Asia-
tic Petroleum Company.
Carter war der Meinung, dass Hitler schon ein Mann war, der
sich einiges zutrauen durfte. Zwar fanden alle, dass vierund-
zwanzig Millionen Dollar ein ziemlich anspruchsvoller Betrag
war, aber ich bekam den Eindruck, dass gerade die Höhe des
Betrages Vertrauen in die Entschlussfähigkeit des Führers
weckte.
Rockefeiler erkundigte sich mit aussergewöhnlich grossem
Interesse nach den Auslassungen Hitlers über die Kommunis-
ten, und als ich ihm einige Sätze aus der Rede, die ich in
München gehört hatte, zitierte, sagte er, dass es ihn nicht
wundere, dass Hitler vierundzwanzig Millionen Dollar ver-
langt hatte. Ob ich auch hätte ermitteln können, wie sich
Hitler die Bewaffnung der Nationalsozialisten vorstellte, ob er
es vorzöge, seine Aktion auf der Strasse durchzuführen, oder
ob er sie auf parlamentarischem Wege durchsetzen wolle.
Hierauf konnte ich nur sehr unbestimmt antworten, gab aber
meinen persönlichen Eindruck wieder, dass Hitler, laut seinen
ÄAusserungen, alle Mittel anwenden würde, da dies seine Le-
bensaufgabe sei und er gewinnen oder mit ihr untergehen wolle.
Carter fragte mich ferner, wie Hitler zur Monarchie stehe,
und ob ich den Eindruck bekommen hätte, dass es ihm letztlich
nur darum ginge, in Deutschland wieder den Kaiser auf den
Thron zu bringen. Ich antwortete mit den Worten, die ich be-
reits von Hitler zitiert habe.
79
Hitler übt Rednerposen ein. An Hand dieser
Bilder wandelte er dann jede einzelne Pose
so lange ab, bis sie wirkte.
8l
Amerika begann Hitler zu bewundern
Ich weiss nicht, ob in den Jahren 1929 und 1930 noch weitere
Beträge aus Amerika an Hitler gezahlt wurden. Falls es ge-
schehen ist, haben die Herren sich einer anderen Zwischen-
person bedient.
Tatsache ist, dass ich einige Wochen nach meiner Rückkehr
aus Europa in den Hearst-Zeitungen ein besonders grosses
Interesse für die neue Partei in Deutschland bemerkte. Sogar
in der «New York Times», der «Chicago Tribune», der «Sun-
day Times» und in anderen Blättern wurden regelmässig kurze
Berichte über Hitlers Reden veröffentlicht. Wo man früher
fast kein Interesse für die inneren Angelegenheiten Deutsch-
lands gezeigt hatte, wurde nun das Programm der Hitler-
Bewegung in langen Artikeln besprochen und oft bewundert.
Im Dezember 1929 kam sogar in einem Monatsblatt der
Harvard-Universität eine lange Studie über die nationalsozia-
listische Bewegung in Deutschland heraus, in der Hitler als
Retter dieses Landes in den Himmel gehoben und ihm erst-
mals der Titel des kommenden Mannes Europas verliehen
wurde.
1931
Ich hatte versprochen, mich nicht mehr über die internationa-
len Verhältnisse zu verbreiten. Dieses Versprechen war vorei-
lig. Ich muss hier noch einige Ereignisse, die sich am Londo-
ner und New Yorker Finanzmarkt abspielten, darlegen zum
besseren Verständnis dessen, was weiter folgen wird. Es ist
nicht romantisch, lieber Leser, aber beklagen Sie sich bei de-
nen, die Geschichte machen, nicht bei mir.
Im September 1931 gibt die Bank von England dieGolddek-
kung seiner Währung auf. Das will etwas bedeuten für ein
Land, das das Gold stets als Basis seines ganzen Geldwesens
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betrachtet hat. Mit der kurzen Unterbrechung von 1921 hatte
England seit den Tagen des grossen Penn das Geld als Eck-
pfeiler eines Geldsystems betrachtet.
Diese grundsätzliche Veränderung in England hatte auch für
Amerika grosse Folgen. Die Bedeutung der Federal-Reserve-
Banken wurde hierdurch bedeutend vermindert. Aber am
New Yorker Markt war das nicht die grösste der Sorgen, die
man sich machte. Amerika begriff vielmehr die Gefahr, die
auch für den Dollar entstehen konnte. Wie es mit dem Pfund
Sterling gegangen war, fürchtete man, so könnte es auch mit
dem Dollar gehen.
Den Glauben an die finanzielle Legende verloren
Die amerikanische Finanzwelt wusste, dass die Abschwä-
chung des Pfund Sterling hauptsächlich eine Folge der Taktik
Frankreichs war, London finanziell zu schwächen, um damit
Hilfe für Deutschland unmöglich zu machen. Die Lage New
Yorks im Jahr 1931 unterschied sich nicht so sehr von der
Londons 1929 und 1930, so dass man in Amerika fürchtete,
derselben Taktik Frankreichs ausgesetzt zu werden, wie sie
London mitgemacht hatte.
Die französischen Finanzsachverständigen haben seit 1926
bewiesen, dass sie geschickte Manager sind, Poincare ist das
grösste Finanzgenie dieser Zeit. Früher sahen amerikanische
und englische Finanzleute und Sachverständige mit einer
gewissen Verachtung auf ihre französischen Kollegen herab.
Die Jahre 1926 und 1931 und alles, was dazwischen geschah,
haben uns gelehrt, dass wir auf finanziellem Gebiet in Paris
noch etwas lernen können.
New York war in Spannung. Die Spannung wurde zur
Besorgtheit — dasselbe, was in früheren Jahren in London
geschehen war -, als enorme Goldverschiffungen von New
York nach Europa anliefen, und es schien, dass die Verschif-
fungen zum grossen Teil für Frankreich bestimmt waren.
Aber ganz richtig ist das so nicht. Anfangs sahen wir die
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Goldverschiffungen gerne, denn wir hatten schon lange unse-
ren Glauben an die finanzielle Legende verloren, dass grosse
Goldvorräte tatsächlich Wohlstand für das Land bedeuten.
Das französische Volk glaubt die Fabel noch. Aber als gegen
Ende September und Anfang Oktober 1931 innerhalb von
drei Wochen Gold im Wert zwischen 650 und 700 Millionen
Dollar nach Europa verladen worden war, fing die Ge-
schichte an, uns zu beunruhigen. Es ging hier vorerst nur um
sogenannte private Verschiffungen. Die französischen Regie-
rungsvorräte an Gold standen noch bei den Federal-Reserve-
Banken. Gegen Ende Oktober wurden sie auf 800 Millionen
Dollar geschätzt.
Aber wenn auch die einmal angefordert werden würden, was
dann? Natürlich waren wir imstande, den Betrag abzugeben,
aber das musste in den Staaten eine Panik hervorrufen, und
die Flucht aus dem Dollar würde zur Tatsache geworden sein.
Also, Frankreich hatte im Grunde den Schlüssel zur Situation
des Dollars in der Hand.
Kindlich unbeholfen und naiv
Wir gehen wieder einige Wochen zurück. Hoover hatte in
jenen Tagen einem Redakteur der «Chicago Tribune» ein
Interview gegeben. Unbewusst spielten sowohl Hoover wie
auch der Redakteur die Karten Frankreichs. Einsicht in
internationale Finanzangelegenheiten haben nur wenige füh-
rende Köpfe. Wussten Sie, dass Rockefeiler, ein Wanamaker,
ein Harding, Sohn des früheren Präsidenten, und, ich will es
ruhig sagen, Hoover selbst auf diesem Gebiet kindlich unbe-
holfen und naiv sind? Ich kenne auch Spitzenleute aus euro-
päischen Ländern, die wenig genug von internationaler
Finanz und Wirtschaft ahnen. Das ist also keine spezifisch
amerikanische Erscheinung.
Hoover hatte also dem Redakteur erzählt, dass binnen Kur-
zem mit einschneidenden Vorschlägen in Hinsicht auf die
Reparationszahlungen Deutschlands und die Regelung der
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Kriegsschulden zwischen allen Staaten zu rechnen war. Aus
den Mitteilungen dieses Redakteurs konnte man sogar die
Möglichkeit herauslesen, dass Hoover den Vorschlag machen
würde, die Reperationszahlungen ganz zu streichen.
In Amerika waren die meisten von diesen Vorschlägen sehr
angetan, aber Frankreich war auf dem Quirive. Ich weiss
nicht, ob Hoover im Oktober 1931 Laval aus eigenem Ent-
schluss nach Washington eingeladen hat, oder ob Laval sich
einladen liess. In Finanzkreisen der Wall Street behauptet
man, das letztere sei der Fall gewesen. Laval sollte also nach
Washington kommen.
Aber gänzlich unerwartet kamen zwei französische Fachleute
bereits am 15. Oktober in New York an, am selben Tag, an
dem Laval sich nach den Staaten einschiffte. Die französi-
schen Fachleute waren Farnier, der erste Abgeordnete der
Bank von Frankreich, und Lacour-Gayet, der frühere Finanz-
attache& der französischen Gesandtschaft in Washington. Sie
setzten sich umgehend mit den Spitzenleuten der Federal-
Reserve-Banken in Verbindung, die sogleich zwei Vertreter
des Finanzdepartments hinzuzogen.
Noch heute wird viel darüber gerätselt, was in dieser berüch-
tigten Konferenz besprochen worden ist. Ich weiss durch
Carter, was in der Hauptsache behandelt wurde. Über Details
hat er sich nie auslassen wollen. Ich habe aber herausbekom-
men, dass die Besprechungen nicht eben friedlich waren.
Die Franzosen waren nach New York gekommen, um mit den
Federal-Reserve-Banken zu beraten, was in New York vor-
ging. Sie behaupteten, dass die französische Regierung einige
Millionen am Schwund des Pfund Sterling und durch die
Aufgabe des Goldstandards in London verloren hätte. Die
schwache Stellung des Dollars hatte in Paris Unruhe verur-
sacht, und man wollte der Gefahr zuvorkommen, dass Frank-
reich am Dollar womöglich ebenso grosse oder noch grössere
Verluste erleiden würde wie am Pfund Sterling.
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Die Franzosen stellten Bedingungen
Darum wollten die französischen Vertreter wissen, was getan
wurde, um den Dollar zu festigen. Natürlich kamen die
enormen Goldverladungen nach Europa zur Sprache und
damit die grossen Vorräte für französische Rechnung bei den
Federal-Reserve-Banken. Die Franzosen erklärten sich bereit,
einen Betrag von gut zweihundert Millionen Dollar, der für
französische Rechnung bei amerikanischen Privatbanken
ausstand, auf die Federal-Reserve-Banken zu überschreiben,
wodurch ihre Stellung gestärkt werden würde.
Aber die Franzosen stellten Bedingungen. An erster Stelle
sollten die Federal-Reserve-Banken einen Mindest-Dollar-
kurs für die französischen Aussenstände in Amerika garantie-
ren; zweitens sollte der Zinsfuss für diese Beträge auf vierein-
halb Prozent erhöht werden, und drittens sollte ein Mini-
mumbetrag bestimmt werden, den Frankreich auf Dauer in
den Staaten stehenlassen wollte. Als die Amerikaner nicht
sogleich bereit waren, auf diese Bedingungen einzugehen,
teilten die Franzosen «en passant» noch mit — wobei dies für
sie im Grunde die Hauptsache war -, dass ein Übereinkom-
men, das sie, Farnier und Lacour-Gayet, mit den Federal-
Reserve-Banken treffen würden, die Grundlage einer allge-
meinen Übereinkunft sein sollte, die Laval mit Hoover einige
Tage später in Washington abzuschliessen gedachte. Hier kam
die Katze aus dem Sack.
Es war offensichtlich, dass Hoover durch Laval von seinen
Plänen bezüglich der Reparationszahlungen und der Schul-
denregelung abgebracht werden sollte und dass Laval die
Stützung des New Yorker Geldmarktes durch die Geldreser-
ven der französischen Regierung als Druckmittel einsetzen
würde, um den Präsidenten zur Aufgabe seiner Pläne zu zwin-
gen.
Niemand kann sagen, was das Ergebnis dieser Besprechungen
sowohl in New York wie auch in Washington gewesen ist.
Die New Yorker Bankwelt widersetzte sich hartnäckig dem
Gedanken, dass die Staaten sich für einen Betrag von 800
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Millionen Dollar — die in Amerika ausstehenden französi-
schen Beträge - an die französischen Ansprüche auf interna-
tionalem Gebiet verkauft haben sollten.
Dennoch ist es Tatsache, dass Hoover Laval das Versprechen
gab, in Sachen der Reparationsfragen oder bezüglich der
Schuldenregelung nichts zu unternehmen, ohne vorher die
französische Regierung zu Rate zu ziehen. Als dies in der Wall
Street bekannt wurde, verlor Hoover hier mit einem Schlag
sein Ansehen. Das hat noch bei den Präsidentschaftswahlen
nachgewirkt, und viele Leute behaupten, dass es diesem
Umstand zuzuschreiben ist, dass Hoover nicht wiedergewählt
wurde.
Ein Brief Hitlers aus Berlin
Man vergisst aber auch leicht, dass Hoover zwischen zwei
Feuern stand. Auf der einen Seite die amerikanische Bankwelt
mit den Federal-Reserve-Banken an der Spitze, die den Stand-
punkt einnahm, dass Amerika die französischen Bankeinlagen
eher entbehren könnte, als dass diese von Frankreich dazu
missbraucht würden, einen moralischen Einfluss auf die inter-
nationale Politik der Regierung der Vereinigten Staaten aus-
zuüben; auf der anderen Seite stand das Finanzdepartment,
dessen Leiter auf das Vorbild England hinwiesen und die alles
tun wollten, um einer Panik wegen des schwachen Dollar-
stands zuvorzukommen.
Im Oktober 1931 war die Lage in der Wall Street gedrückt
und die Stimmung düster. Ende des Monats bekam ich
folgenden Brief Hitlers aus Berlin: "Unsere Bewegung wächst
über ganz Deutschland mit einer Geschwindigkeit, die hohe
Forderungen an die finanzielle Organisation stellt. Ich habe
den Betrag, der mir durch Sie vermittelt wurde (sic!) zum
Ausbau der Partei verbraucht und sehe jetzt, dass ich in
absehbarer Zeit festsitzen werde, wenn keine neuen Ein-
künfte gefunden werden. Ich verfüge nicht wie etwa unsere
Feinde, die Kommunisten und die Sozialdemokraten, über die
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grossen finanziellen Quellen von Regierungen, sondern bin
ausschliesslich auf die Beiträge aus der Partei angewiesen.
Von dem Betrag, den ich erhalten habe, ist nichts mehr übrig.
Im kommenden Monat muss ich die letzte grosse Aktion
beginnen, die uns in Deutschland an die Macht bringen kann.
Dafür ist viel Geld nötig. Ich bitte Sie, mir eingehend mitzu-
teilen, mit wieviel ich von Ihrer Seite rechnen kann.»
An diesem Brief fielen mir zwei Dinge auf. Es war das erste
Mal, dass Hitler mir gegenüber das Wort Partei gebrauchte,
und sein Ton war mehr der eines Fordernden als der eines
Bittenden. Der Brief war wohl in Berlin datiert, aber erreichte
mich in einem Umschlag mit amerikanischem Postwertzei-
chen, gestempelt in New York. Hitler hatte also schon einen
Vertrauensmann in den Staaten, eigens in New York.
Am folgenden Tag war ich bei Carter und gab ihm den Brief.
Carter war der Führer der Oppositionspartei gegen die — wie
man sie nannte — «Alte-Weiber-Haltung» der Regierung
bezüglich der französischen Forderungen. Die Berichte über
die veränderte Haltung Hoovers hatten ihn derartig gereizt,
dass er bei jeder Gelegenheit jedem gegenüber, der es nur
hören wollte, seine Wut gegen Frankreich laut kundtat.
Nägel mit Köpfen
Carter ist ein jähzorniger Mann. Er las Hitlers Brief und
begann zu lachen. Dann fluchte er und schalt sich selbst einen
grossen Stümper. Zu mir sagte er:
«Was für Esel sind wir doch schliesslich, seit 1929 haben wir
nicht an diesen Mann Hitler gedacht. Die ganze Zeit hatten
wir das Mittel in der Hand, um Frankreich kleinzukriegen,
und wir haben es nicht gesehen. Warten Sie, heute Mittag
noch müssen wir hier zusammenkommen, und ich werde
versuchen, Montagu Norman von der Bank von England,
der gerade in New York ist, zu erreichen. Wenn er kommen
will, können wir Nägel mit Köpfen machen. Sie kommen
natürlich auch!»
Die Versammlung im Büro des Guarantee Trust war vollzäh-
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lig. Ich kann das nur durch die Tatsache erklären, dass der
gespannte Zustand auf dem Finanzmarkt die Anwesenheit
der führenden Leute in New York nötig machte und dass
Carter sie also alle leicht erreichen konnte. Die Meinungen
waren geteilt. Rockefeiler, Carter und McDean waren die
Hitlerischen, wenn ich so sagen darf, die anderen schwank-
ten. Montagu Norman musste erst darüber in Kenntnis
gesetzt werden, was sich 1929 abgespielt hatte. Er fand einen
Betrag von zehn Millionen Dollar ziemlich hoch für die
Finanzierung einer politischen Bewegung, eine Meinung, die
die anderen nicht verstanden, um so weniger, als doch bekannt
ist, dass die politischen Parteien Englands hohe Beträge für
ihre Propaganda verbrauchen.
Glean von der Royal Dutch teilte die Meinung Montagu
Normans. Er sagte weiter, dass er in den Veröffentlichungen
über die Aktionen Hitlers nur wenig von Aggressivität gegen-
über FranTrefcFFEätte feststellen können. Er habe den Ein-
druck, dass Hitler ein grosser Schreihals sei, der aber nie zu
Taten kommen würde. Auch fiel ihm auf, dass Hitler seine
«Bewegung» offenbar in eine «Partei» verwandelt hatte, und
dass damit dessen parlamentarische Absichten deutlich wür-
den. Glean beschloss seine Auslassungen, indem er sagte, dass
genug geschwätzt worden wäre, in Deutschland mehr als
anderswo, und dass auch ein Mann wie Hitler, einmal mit der
Mehrheit seiner Anhänger im Reichstag, nur dabei mittun
würde, ohne einen Pfifferling an den bestehenden Zuständen
zu verändern.
Carter und Rockefeller bestritten diese Meinung und sagten,
dass Hitler, selbst wenn er die Mehrheit im Parlament erhal-
ten würde, sich doch nicht von seinem Programm abbringen
lassen würde, das ihn schliesslich gegenüber dem deutschen
Volk band, und dass er folglich wahrmachen müsste, was er in
seinen Reden und Schriften stets als das einzige Mittel ange-
geben hatte, um aus den Schwierigkeiten herauszukommen.
Trotz seiner parlamentarischen Tätigkeit müsste er mit seinen
Leuten doch auf die Strasse gehen, wollte er seine grosse An-
hängerschaft in Deutschland nicht verlieren.
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Überall das gleiche Bild
Endlich kam man zu dem Beschluss, dass Hitler grundsätzlich
weitere finanzielle Hilfe gewährt werden sollte, aber dass es
vor der Festlegung eines Betrages nötig sei, dass sich jemand
über den Zustand in Deutschland unterrichtete und die
Hitler-Partei aus der unmittelbaren Nähe studierte. Ich wurde
gefragt, ob ich bereit wäre, diese Untersuchung anzustellen
und einen Betrag an Carter zu telegrafieren, der nach meinem
Befund ausfallen sollte und der über denselben Weg wie 1929
nach Europa gehen sollte.
Ich konnte mich nicht sofort von meinen Geschäften freima-
chen und reiste deshalb erst zehn Tage später nach Europa.
Seit 1929 hatte sich in Deutschland viel verändert. Die
nationalsozialistische Bewegung, deren «Führer» mich 1929
in einem Münchener Bräukeller empfangen hatte, war nun
an die Oberfläche gekommen und hatte in derselben Stadt ihr
Hauptquartier in einem der schönsten Gebäude im besten
Stadtviertel. In anderen Städten wie Berlin, Hamburg, Frank-
furt. Düsseldorf, Köln besassen die Nationalsozialisten eben-
falls cm eigenes Haus, vor dem, wie vor einer Kaserne, Tag
und Nacht zwei Wachen in Uniform auf Posten standen. Ich
sah zahlreiche Vorbeigehende die Wachen mit Armheben
grüssen, was viel Ähnlichkeit mit dem faschistischen Gruss
hatte. Dabei riefen sie einander «Heil Hitler» zu.
Es war wahrlich kein langes Studium notig, um zu sehen, dass
Hitlers Anhang seit 1929 enorm gewachsen war. Meine
Reise durch Deutschland konnte ich abkürzen, denn überall
sah ich dasselbe Bild. An Sonnabendnachmittagen und an
Sonntagen trug in den meisten Städten die Mehrheit der
Jugend Uniform und zog in Formationen hinaus, die sich in
nichts von militärischen Gruppen unterschieden. Es gab wohl
Unterschiede in den Uniformen, aber Braun und Schwarz
überwog doch.
Hakenkreuze, die Wahrzeichen der Hitler-Partei, sah man
überall. Selbst Frauen trugen Hakenkreuze auf Taschen
gestickt. Die Verkäuferin in dem Zigarrenladen in Berlin, wo
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ich regelmässig meine Einkäufe machte, trug ein grosses Ha-
kenkreuz an einer dünnen Halskette.
In Hamburg hatte ich ein Gespräch mit einem Bankdirektor,
den ich noch von früher kannte. Er war sehr eingenommen
von Hitler, er bekannte, dass er früher einmal mehr Vertrauen
zur Deutschnationalen Partei gehabt hatte, doch zweifelte er
jetzt am Erfolg dieser Bewegung, weil da die Monarchisten
die Herren waren, aber das deutsche Volk den Verrat der
kaiserlichen Familie 1918 noch immer nicht vergessen hatte.
Es geht um den starken Mann
Es fiel mir schwer, seine Meinung ernst zu nehmen, weil er
Jude war. Ich verlangte Aufklärung und fragte ihn, wie es
möglich sei, dass er als Jude Sympathie für die Hitler-Bewe-
gung haben konnte. Er lachte.
«Hitler ist ein starker Mann und den hat Deutschland nötig.
Es muss ein für allemal Schluss sein mit Schiebungen und
Kompromissen. Das deutsche Volk ist nicht reif für die Demo-
kratie. Als noch ein Kaiser ganz schlicht das Land regierte,
und er allein haftbar für den Gang der Geschäfte war, wurde
nie über ihn gemurrt. Jeder erfüllte seine Aufgabe und begriff
seine Pflicht. Die Deutschen sind von anderem Schlag als die
Engländer und die Amerikaner.
In Deutschland muss einer an der Spitze sein, zu dem das Volk
aufsehen kann, dann tun sie, was befohlen wird, weil es in der
letzten Instanz doch um den starken Mann geht, der obenan
steht. Für einen Ebert haben sie im Grunde nie etwas anderes
als Spott übrig gehabt, sogar die Sozialdemokraten nient.
Und was Hindenburg angeht, so bringen ihm die Leute viel
Ehrerbietung entgegen, aber sie bedauern, dass er nicht im
wahrsten Sinne des Wortes als Regierender handeln kann. Ab
1918 haben wir bürgerliche Kanzler gehabt, die durch die
Politik zur höchsten Sprosse der Leiter hinaufgeklettert sind.
Vor denen hat man keinen Respekt. Ein Fürst von Geblüt in
Opposition gegen den Kaiser ist ein guter Reichskanzler.»
91
Ich merkte an, dass Hitler doch auch niederer Abkunft ist.
Sicher, aber er ist ganz etwas anderes. Hitler baut sich selbst
auf, kriecht nicht in eine politische Partei, um sein Ziel zu
erreichen, sondern stampft eine eigene Partei aus dem Boden.
«Sie werden sehen, dass Hitler kommt. Es kann noch ein
Jahr dauern, aber dann ist er ‚der‘ Mann in Deutschland. Er
hat im Schützengraben angefangen und wird als Diktator
enden.»
Wieder stellte ich meine Frage, wie mein Geschäftspartner,
selbst Jude, Anhänger der Hitler-Partei sein könnte. Er be-
gnügte sich mit einer Handbewegung.
«Mit Juden meint Hitler die galizischen Juden, die nach dem
Kriege Deutschland verpesteten. Die Juden vom alteingeses-
senen Stamm erkennt er als ‚ebenbürtig‘ mit den andern
Deutschen an und wird, wenn seine Zeit kommt, uns — wie
gesagt — nicht zur Last fallen. Auch darf man nicht verges-
sen, dass in der Sozialdemokratischen und der Kommunisti-
schen Partei der Ton von Juden angegeben wird. Die wird er
wohl schnappen, aber nicht, weil sie Juden sind, sondern
weil sie Kommunisten oder Sozialdemokraten sind.»
Ich stellte noch eine Frage, dass Hitler doch aber auch gegen
das jüdische Bankkapital eingestellt sei, ich könne wohl sagen,
gegen das Bankwesen im Allgemeinen. Mein Gewährsmann
fand mich sehr naiv.
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«Hitlers Programm ist nicht in allen Punkten zur Verwirkli-
chung geeignet», sagte er, «und das weiss Hitler auch sehr
gut. Aber um die Masse für seine Bewegung zu gewinnen,
muss er auch undurchführbare Wunschbilder in den Vorder-
grund stellen, gerade dieser Punkt ist wohl der kleinste, über
den wir uns zu beunruhigen brauchen. Wenn Hitler einmal
an die Macht kommt, dann braucht er nicht mehr nach der
Sympathie der Masse zu sehen, dann ist er stark genug, um
seinen eigenen Willen durchzusetzen.»
Scharf bewacht von seinen uniformierten Abteilungen der SA und SS
begibt sich Hitler zu einem seiner Parteitage.
Zwei Tage später sprach ich mit einem Grossindustriellen in
Berlin. Auch er war Anhänger des Nationalsozialismus. Wei-
ter las ich alle Zeitungen, und als ich eine allgemeine Über-
sicht über die politischen Strömungen gewonnen hatte,
musste ich zur Einsicht kommen, dass die Nationalsozialisti-
sche Partei in Deutschland die grösste Aktivität an den Tag
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legte und ganz sicher festen Fuss in allen Schichten der
Bevölkerung bekommen hatte und dass die Gegenwehr der
Kommunisten, Sozialdemokraten und der anderen Parteien
lau und entschieden ungenügend war.
Ich kam mehr und mehr zur Überzeugung, dass Hitler nicht
experimentierte, sondern ein klar umschriebenes Ziel in
Übereinstimmung mit der Mehrheit des deutschen Volkes
erreichen wollte. Es wurde nun Zeit für mich, mit Hitler
Kontakt aufzunehmen, und ich schrieb vom Hotel Adlon, wo
ich mich aufhielt, an die Anschrift in Berlin, die ich von ihm
hatte. Am folgenden Tag wurde ich ans Telefon gerufen, als
ich gerade in der Hotelhalle Zeitungen kaufte. Eine Stimme,
vermutlich die einer Frau, fragte mich, ob ich am Abend in
meinem Hotel zu sprechen wäre und bezog sich auf mein
Schreiben, das ich an den «Führer» gerichtet hatte.
Auf meinem Zimmer empfing ich von Heydt und einen mir
Unbekannten. Er wurde mir als Lütgebrune vorgestellt. Nach
einer kurzen Mitteilung durch von Heydt ergriff Lütgebrune
das Wort. Es war, als ob er eine vorab verfasste Rede vortrug,
von Zeit zu Zeit blickte er auf ein Bündel Notizen:
«Unsere Aktion bei den Arbeitslosen hat über Erwarten
eingeschlagen, kostet aber viel Geld. Unsere Organisation ist
militärisch und eben deshalb nicht billig. Die Häuser in den
verschiedenen Städten sind als Kasernen eingerichtet, unsere
Männer schlafen dort, essen dort, alles auf Kosten der Partei.
Uniformen werden von uns geliefert. Solche, die bezahlen
können, kaufen die Uniformen, aber die Arbeitslosen dürfen
durch die Kosten nicht abgeschreckt werden.
So sind wir verpflichtet, den arbeitslosen Mitgliedern Uni-
form und Ausrüstung gratis zu liefern. Unsere Transport-
mittel sind zum Teil Eigentum von Parteimitgliedern, aber
wir haben Lastautos und andere Fahrzeuge auf eigene Kos-
ten anschaffen müssen, vor allem in den Landesteilen, wo
wir noch nicht stark genug sind. Es gibt Parteimitglieder,
die ihre Lastwagen nicht an die Bewegung ausleihen kön-
nen, weil sie befürchten müssen, dass ihre Kunden ausblei-
ben.
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Dann sind da noch die Waffen. Wir müssen unsere Waffen
von Schmugglern kaufen, und die stellen hohe Forderungen.
An den Grenzen Österreichs, Hollands und Belgiens haben
wir unsere Einkaufsposten, aber oft werden die Waffen
durch die Behörden beschlagnahmt. Dabei gehen Tausende
von Mark verloren, und wir müssen wieder neu beginnen.»
Das Wiedersehen machte Hitler Freude
«Zu unmittelbaren Verbindungen mit den Waffenfabriken
sind wir noch nicht gekommen. Nur mit der F.-N.-Fabrik in
Belgien haben wir jetzt einen Vertrag, aber die Menge, die
man uns garantiert hat, ist zu klein. Unsere Sturmabteilun-
gen sind unvollständig ausgerüstet. Maschinengewehre kön-
nen wir noch nicht kaufen, Revolver und Karabiner sind
nicht ausreichend vorhanden, um auf die Strasse gehen zu
können. Dabei ist der Zustrom von Arbeitslosen in manchen
Städten gewaltig, und jeder neue Mann kostet uns Geld.»
So redete Lütgebrune noch eine ganze Zeit weiter. Von Heydt
ergriff nun wieder das Wort und teilte mir mit, dass der
«Führer» mich am folgenden Tag morgens um elf Uhr im
Haus Fasanenstrasse 28 empfangen würde. Ich bräuchte dem
Dienstmädchen nur meinen Namen zu sagen.
Die Nummer 28 in der Fasanenstrasse ist ein gewöhnliches
Herrenhaus. Von aussen konnte ich nicht sehen, dass hier der
Führer seine Unterkunft hatte, keine braunen Uniformen,
keine Bediensteten. Ein Besuch bei einem gewöhnlichen Bür-
ger. Hitler war in den zwei Jahren, die ich ihn nicht gesehen
hatte, gealtert. Ich fand ihn aber weniger nervös, würdiger,
auch besser versorgt, äusserlich und in der Kleidung, ich
würde sagen, dass er selbstbewusster geworden war.
Das Wiedersehen mit mir schien ihm Freude zu machen, denn
er fragte mit Interesse nach vielen Kleinigkeiten, die mich
persönlich betrafen. Dann, ohne Einleitung, das war noch
immer seine Gewohnheit, kam er zur Sache selbst:
«Ich habe nicht viel Zeit, Lütgebrune hat Sie bereits in allem
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auf den neuesten Stand gebracht. Was sagt man nun in
Amerika? Gebt uns noch ein Jahr, und wir haben die Macht
in Händen. Lesen Sie die Berichte aus dem Reichstag? Wie
findet man bei Ihnen unser Auftreten? Wenn einer unserer
Abgeordneten aufsteht, dann lauschen sie allemal, und die
rauhe Bande zittert und bebt.
Wir kriegen die Schuldigen schon. Sie haben das deutsche
Volk verkauft und verraten, aber dafür werden wir sie bestra-
fen. Wir haben einen Mobilmachungsplan, der klappt wie am
Schnürchen. Einer meiner besten Mitarbeiter ist Göring, den
habe ich damit beauftragt.
Unsere Mannschaften können in zwei Stunden im ganzen
Land bereit sein, auf die Strasse zu gehen. Als erstes haben wir
die Sturmabteilungen, deren Aufgabe es ist, die Gebäude zu
besetzen, die politischen Leiter gefangenzunehmen, dazu die
Regierungsmitglieder, die nicht mit uns gehen wollen. Dann
kommen unsere anderen Leute, die die Gebäude auf Dauer
besetzen, und dann wird unsere Organisation ausgebaut.
Wenn Blut fliessen muss, dann soll Blut fliessen. Eine Revolu-
tion macht man nicht mit einem Taschentuch. Ob das
Taschentuch rot oder weiss ist, tut nichts zur Sache. Nur mit
Gewalt kann man Verrätern Mores lehren.»
«Die Verträge von Versailles erkennen wir nicht an»
Hier musste ich nun doch fragen, wie das Verhältnis zum
Ausland werden sollte. Hitler stand auf und lief mit grossen
Schritten durch das Zimmer:
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«Das Ausland teilen wir in zwei Lager, unsere Feinde und
unsere Konkurrenten. Unsere Feinde sind Frankreich, Polen
und Russland, unsere Konkurrenten sind England, Ame-
rika, Spanien, die skandinavischen Länder und Holland.
Mit dem Rest der Welt haben wir keine Abrechnung zu ma-
chen.
Die Bevölkerung von Elsass-Lothringen muss zum Aufstand
kommen, dasselbe gilt für Schlesien. Das ist unsere erste
Aufgabe, sobald wir an der Macht sind. Will Frankreich es
auf einen Krieg ankommen lassen, dann nur Krieg. Die
Verträge von Versailles und andere erkennen wir nicht an.
Ich will Deutschland und das deutsche Volk frei sehen.
Wir dürfen uns nicht bewaffnen. Dann werden wir es heim-
lich tun. Alle deutschen Regierungen haben sich von Frank-
reich in die Karten sehen lassen, das tun wir nicht. Unsere
Abteilungen sind keine Regimenter. Unsere Waffen sind kein
Kriegsmaterial.
In zwei Jahren bilde ich ein deutsches Heer, das stark genug
ist, um Frankreich zu überfallen. Ich werde die chemische
Industrie für Kriegszwecke ausbauen. Mit unseren Konkur-
renten ist die Sache noch einfacher. Ohne Deutschland kön-
nen sie nicht arbeiten und leben. Ich werde Forderungen
stellen. Überall dort, wo deutsche Erzeugnisse durch hohe
Einfuhrzölle abgewehrt werden, werde ich zeigen, dass sie
Deutschland nötig haben.
Die Landwirtschaft muss zu ungekannter Produktion hoch-
gebracht werden. Das deutsche Volk muss seine Ernährung
im eigenen Lande finden können. Und schaffen wir es nicht
alleine gegen Frankreich, dann ziehe ich noch Russland
hinzu.
Die Sowjets können unsere Industrieerzeugnisse noch nicht
missen. Wir geben Kredit, und wenn ich Frankreich nicht
kleinkriege, dann werden nur die Sowjets dabei helfen.»
Alle Juden verschwinden
Ich muss hier eine kurze Bemerkung einflechten. In mein
Hotel zurückgekehrt, habe ich dieses Gespräch wörtlich auf-
geschrieben, meine Notizen liegen vor mir. Ich bin daher nicht
verantwortlich für das Unzusammenhängende und für das
Unbegreifliche dabei.
Hitler fährt fort:
«Stalin hat einen Plan gemacht, der wird gelingen, weil das
russische Volk dafür gewonnen ist. Auch ich werde einen
Plan machen und mich strikt daran halten. Und was die
Russen können, können die Deutschen doppelt so schnell,
doppelt so stark.
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98
Nach einem Jahr meiner Regierung wird es in Deutschland
keine Arbeitslosen mehr geben. Alle Juden verschwinden, alle
Kommunisten auch, alle Sozialdemokraten. Die Lager, in
die ich sie einsperren werde, sind jetzt schon angewiesen.
Die Reichswehr ist bis zum letzten Mann in unserer Hand.
Die Regierung erkennt das nicht. Ich gönne ihr die Ahnungs-
losigkeit, ich bin meiner Sache sicher. Göring, Goebbels,
Streicher und von Heydt sind mehrmals in Rom gewesen und
haben mit Mussolini, mit Rossi, mit Dumini und anderen
faschistischen Führern die ganze Organisation dort bespro-
chen.
Angepasst an unsere Zustände bauen auch wir unsere Orga-
nisation auf. Mussolini und Stalin, der erste mehr als der
zweite, sind die einzigen Führer in der Welt, für die ich
Ehrfurcht empfinde. Alle anderen sind ein Trupp alter Wei-
ber. Stalin ist Jude, leider.
Hat von Heydt Ihnen erzählt, wieviel wir nötig haben? Als
Ihr Brief kam, haben wir alles genau berechnet. Hat man in
Amerika wohl eine Idee davon, welche Schwierigkeiten wir
hier haben? Wenn nur alles den gewohnten politischen Weg
entlang ginge, dann wäre es leicht, es gibt nicht eine Stadt in.
Deutschland, wo ich nicht mit Freude empfangen wurde.
Politische Stimmenmehrheit erreiche ich sicher.
Aber das Volk muss Angst haben, dass für den Fall wenn
meine politische Aktion nicht gelingt, die Nationalsozialisti-
sche Partei nicht vor einer anderen Aktion zurückschrecken
wird, um mein Ziel zu erreichen. Die Angst bekommen wir
nur zustande durch das Zur-Schau-Stellen unserer Macht.
Die Schaustellung der Macht ist nur möglich mit Uniformen
und Waffen. Wenn von einer Gruppe Braunhemden ein paar
Kommunisten totgeprügelt werden, dann ist das für unsere
Partei von ebenso grossem propagandistischen Wert wie eine
Rede von mir selbst.»
Jetzt sind wir an der Reihe
100
«Mussolini hat eine neue Zeit im politischen Leben eingeläu-
tet, er war der erste, der nationale Politik mit etwas anderem
als grossen Worten und parlamentarischen Anträgen betrie-
ben hat. Kurzum, der ganze Apparat, um die Macht unserer
Partei nach aussen sichtbar zu machen und das Volk einzu-
schüchtern, kostet Geld.
Ich habe Ihnen damals geschrieben, weil die Zeit drängt und
jetzt der Augenblick gekommen ist, die weitere Sache richtig
anzufassen. An einigen Orten waren wir schon gezwungen,
Arbeitslose abzuweisen. Für die Bewegung ist das sehr zu
bedauern, denn mit Arbeitslosen kann man alles anfangen,
wenn wir ihnen nur Uniformen und Essen geben können.
Kennen Sie unsere Kasernen? Ich werde Sie hier in Berlin
einmal ein Haus besichtigen lassen. Ich brauche nichts von
den Gutsituierten, die sind zu ängstlich, um ihren kleinen
Besitz, wenn es darauf ankommt. Den gewöhnlichen Arbei-
ter, den Proletarier, den haben wir nötig.
Haben Sie auch mit Lütgebrune gesprochen? Das ist ein
Rechtsanwalt, aber ein Intellektueller der guten Art. Gegen
Intellektuelle habe ich im Allgemeinen eine tiefe Abneigung.
Sie kommen immer mit Wissenschaft und geschichtlichen
Lehren daher. Was haben sie mit ihrer Wissenschaft erreicht?
Nichts.
Jetzt sind wir an der Reihe, nun sollen einmal die Faust und
das Schwert sprechen. Arbeit und Kampf, das ist doch das
ganze Leben. Träumen und Spinnen hat noch nie etwas
zustande gebracht.
Haben Sie auch Verbindungen zur Reichsbank? Da wird es
auch Pfuscherei geben. Wenn ich mal an der Reihe bin, werde
ich dort auch Hausputz halten. Schacht scheint mir noch der
beste der ganzen Bande zu sein, aber er ist in der Wirklichkeit
des Lebens unzuverlässig geworden. Auf das viele Studieren
und die Träumereien müssen nun Taten folgen. Die Jugend
muss aufs Land an die Arbeit und gedrillt werden, um sich
sobald wie möglich bewähren zu können.»
Sie sollen mich auf Knien anerkennen
Ich wurde davon, wie er im Zimmer hin und her lief, nervös.
Es kann auch sein, dass seine scharfen Worte und der Mangel
an Folgerichtigkeit in seinem Sprechen mich ermüdeten. Aber
Hitler redete weiter:
«Wenn ich in Amerika leben würde, würde ich mich nicht mit
Politik befassen, denn dort ist das Volk wirklich frei, und
Amerikaner zu sein ist ein Vorrecht. Deutscher zu sein ist in
den letzten Jahren eine Schande geworden. Wir werden dafür
sorgen, dass es wieder eine Ehre sein wird.
Wissen Sie, dass man mir diesen Schandnamen nicht zugeste-
hen will? Ich bin in Österreich geboren und darum bin Ich
kein Deutscher. Lächerlich. Aber sic sollen mich auf ihren
Knien anerkennen, nicht als einen der Ihren, sondern als ihren
Führer.
Die Kommunisten beginnen ängstlich zu werden, die Ju-
den denken, dais die Reise nicht dahin gehen wird, die So-
zialdemokraten glauben noch, dass sie ihre Haut mit parla-
mentarischem Geschwätz und Anträgen retten können.
Wir haben hier in Berlin die besten Leute bei den Kommunis-
ten, die Führer klagen über ihre Not in Moskau und
bitten um Hilfe. Aber sie wissen nicht, dass Moskau nicht
helfen kann. Sie müssen sich selbst helfen, aber dazu sind sie
zu feige.
Die schwierigste Geschichte ist das Verhältnis zu den Kirchen.
Die lutherische macht mir keine Mühe, die anderen prote-
stantischen Kirchen werden auch wohl beizeiten beidrehen,
aber die Katholiken. Sie wissen ja, dass ich katholisch bin. Das
Zentrum ist eine tüchtige Partei und kann mit den bayrischen
Parteien als Stützen viel erreichen. Die Partei müssen wir
beachten, bis wir die Stärkeren sind. Aber es sitzen auch
Luder darin, das weiss ich wohl, aber vorläufig lasse ich sie
links liegen. In manchen Distrikten stellen sich die Bischöfe
gegen die Nationalsozialisten. Da sind Priester, die National-
sozialisten keine Absolution erteilen und die Kommunion
verweigern. Eine tüchtige Tracht Prügel würde das ändern
101
können, aber das ist hier keine gute Taktik, wir müssen war-
ten. Von Heydt hat also keinen Betrag genannt, Lüthgebrune
auch nicht. Das konnten sie auch nicht, die kennen den Betrag
nicht. Sehen Sie, wir haben alles genau ausgerechnet, und wir
lassen Ihren Auftraggebern die Wahl. Es gibt zwei Möglich-
keiten. Entweder gehen wir auf die Strasse, sobald unsere
Sturmabteilungen vollkommen organisiert sind. Das ist eine
Frage von drei Monaten, nachdem wir das Geld haben.
Oder wir arbeiten mit aufeinander folgenden Wahlen und
halten unsere Truppen in der Hinterhand, um einzugreifen,
falls nötig. Den ersten nennen wir den Revolutionsplan, den
zweiten nennen wir den Staatsumstellungsplan. Wie ich sage,
ist der erste eine Frage von drei Monaten, der zweite ist eine
Frage von drei Jahren. Wie denken Sie darüber?»
«Alles hängt vom Geld ab»
Ich konnte nicht mehr tun, als mit einem Schulterzucken
meine Unwissenheit erkennen zu lassen.
«Natürlich kennt ihr Amerikaner die Zustände hier nicht,
und es ist schwierig zu sagen, welcher der beste Weg ist, den
wir beschreiten müssen. Aber was meinen Sie denn, was Ihre
Auftraggeber sagen werden?»
Auch diesmal konnte ich keine Antwort geben. Hitler fuhr
fort:
102
«Sehen Sie mal her. Ich bin mir selbst mit meinen Mitarbei-
tern noch nicht einig, welchen Weg wir einschlagen müssen.
Göring ist für die Revolution, kurz und gut, die anderen sind
mehr für die Umstellung, und ich selbst bin mit beidem ein-
verstanden.
Die Revolution kann in ein paar Tagen die Macht in unsere
Hand spielen, die Umstellung verlangt lange Monde an Vor-
bereitung und viel Untergrundarbeit. Aber es gibt einen
Grund, warum wir noch keinen Beschluss gefasst haben,
und der ist, dass wir nicht wissen, auf wieviel Geld wir von
seifen Ihrer Auftraggeber rechnen können.
Wenn Sie 1929 freigebiger gewesen wären, würde jetzt alles
schon lange in Ordnung sein. Aber mit den zehn Millionen
Dollar haben wir noch nicht die Hälfte unseres Programms
durchführen können.
Ich werde Ihnen jetzt unsere Berechnung für die Sonderfälle
mitteilen. Revolution heisst, dass wir mit reichlichen Zahlun-
‚gen an Arbeitslose die Menschen an uns ziehen müssen und
in schnellem Tempo Waffen kaufen und unsere Sturmabtei-
Jungen organisieren müssen. Damit werden die Schmuggler
Missbrauch treiben und Preise verlangen, die unsere Ausga-
ben gewaltig steigern. Mit viel Geld wird es uns gelingen,
Maschinengewehre hereinzuschmuggeln, denn ohne Maschi-
nengewehre ist es zwecklos, damit anzufangen.
Die Umstellung dagegen kann dann vollzogen werden, wenn
wir verschiedene Wahlen durch Behinderung in Parlament,
Reichstag und Landtagen erzwungen haben. Die Masse wird
dann wahlmüde und lässt sich durch unsere forsche Propa
ganda leicht bluffen. Während wir unsere parlamentarische
Arbeit tun, bewaffnen wir unsere Männer und organisieren
die Sturmabteilungen.
Einzelne von Zeit zu Zeit sich wiederholende Demonstratio-
nen durch unsere Abteilungen gegen Kommunisten sind
dann zweckmässig, um dem Volk eine Vorstellung von unse-
gen. Bei der Wahl, die uns die wirkliche Mehrheit bringt, ist
das Ziel erreicht, eben dasselbe, was eine Revolution uns nach
einem Monat oder nach deren drei oder vier bringen könnte.
Für beide Wege bin ich zu haben. Alles hängt vom Geld ab.»
Hitler setzte sich wieder an den Tisch. Er nahm ein kleines
Notizbuch, sah zu mir und fuhr fort:
«Die Revolution kostet eine halbe Milliarde Mark. Die Um-
stellung kostet zweihundert Millionen Mark.»
Er wartete einen Augenblick: «Was werden Ihre Auftraggeber da-
rauf beschliessen?»
Ich konnte nicht antworten. Ich versprach, dass ich mich mit
New York in Verbindung setzen würde.
103
«Ihr Interesse geht mich nichts an»
Hitler nahm wieder das Wort, stand auf und begann wieder
zu wandern.
«Ihre Leute in Amerika haben doch sicher ein Interesse da-
ran, dass unsere Partei die Macht in Deutschland in die
Hände bekommt. Sonst wären Sie nicht hier und mir wären
1929 nicht die zehn Millionen Dollar überwiesen worden.
Ihr Interesse geht mich nichts an, und wenn Sie es gut
begreifen, müssen Sie einsehen, dass ich ohne finanzielle
Mittel nichts erreichen kann. DieJCommunisten bekommen
Geld aus Moskau, das weiss ich und das kann ich bewei-
sen. Die Sozialdemokraten werden von jüdischen Bankiers
und durch Grossbanken unterstützt und haben eine starke
Parteikasse. Die Deutschnationalen bekommen enorme Be-
träge von der Grossindustrie, und ihr Leiter Hugenberg ist
Besitzer verschiedener Zeitungen, die gute Gewinne bringen.
Die Zentrumspartei bekommt jeden notwendigen Betrag von
der katholischen Kirche und hat Milliarden zur Verfügung,
vor allem in Süddeutschland. Wenn ich damit die armseli-
‚gen vierzig Millionen Mark vergleiche, die ich 1929 von Ih-
ren Auftraggebern bekommen habe, dann verstehe ich noch
nicht, wie wir es gewagt haben, mit den beschränkten Mit-
teln unser grossartiges Programm anzufassen. Sie haben
doch sicher sowohl in Deutschland wie hier in Berlin gese-
hen, wie weit wir seit 1929 vorangekommen sind. Stehen Sie
denn nicht erstaunt vor diesem Ergebnis?»
Es dauerte fünf Tage
104
«Soll ich Ihnen mal was sagen? Die Reichswehr ist durch und
durch nationalsozialistisch, das wissen Sie schon, aber es gibt
keine Behörde, in der unsere Partei nicht starken Anhang
hätte. Besonders in der Reichsbahn und in der Reichspost
sind wir stark, und wenn unsere Revolutionsparole nach
einigen Monaten hinausgeht, dann können wir ohne viel
Mühe die Hand auf die Behörden legen.
Als ich 1929 mit Ihnen sprach, musste ich noch sagen, dass
der Norden und die Rheinstrecke noch lau waren. Das ist jetzt
gänzlich geändert. Selbst in Frankfurt am Main, wo die Juden
stark sind, haben wir unser eigenes Haus, und in Hamburg,
wo die Deutschnationalen und die Kommunisten einen gros-
sen Anhang haben, sind wir gut organisiert.
Auf zahlreichen Konsulaten im Ausland sitzen Parteigenos-
sen, und beim ersten Signal aus Berlin gehen sie radikal mit
uns. Besagt dies alles nichts?
Beweist das nicht, dass die ‚lumpigen‘ vierzig Millionen gut
verwendet sind? Aber alles muss flugs und gut gehen, und
unser Geld ist aufgebraucht. Sagen Sie Ihren Auftraggebern,
dass sie in ihrem eigenen Interesse so schnell wie möglich die
500 Millionen Mark senden müssen, dann sind wir in höch-
stens sechs Monaten klar.»
Die letzten Sätze hatte Hitler hinausgeschrien, als ob er vor
einer Volksversammlung stünde, und er schnauzte mich an,
als ob ich sein ärgster Gegner wäre. Ich hatte genug davon,
wiederholte, dass ich meinen Bericht nach New York geben
und eilig berichten würde, was ich dann auch noch am selben
Tag erledigte.
Es dauerte fünf Tage, bis ich Antwort aus New York hatte. In
den fünf Tagen hatte ich das Gefühl, nie alleine zu sein. Das
heisst mit Ausnahme der Stunden, die ich in meinen Hotelräu-
men verbrachte. Überall glaubte ich Männer zu sehen, die mir
folgten. Ich weiss noch nicht, ob es Wirklichkeit oder Einbil-
dung war, aber ich könnte verschiedene Begebenheiten erzäh-
len, die sicher Beweise für eine fortlaufende Kontrolle waren,
unter der ich in den fünf Tagen stand.
Aber ich will die detektivischen Fähigkeiten meiner Leser nicht
prüfen. Einen Fall jedoch muss ich erzählen.
105
Ich wurde beschattet und abgehört
Am zweiten Tag nach meiner Unterredung mit Hitler ging ich
auf dem Kurfürstendamm in Richtung Wilmersdorf. Dort
wohnte ein alter Freund meiner Familie in einer kleinen Villa.
Ich wollte ihn besuchen. Als ich über den Damm ging und in
die Strasse einbog, in der die Villa steht, sah ich deutlich, dass
mir ein Mann vorausging, den ich in den letzten zehn Minu-
ten mindestens drei- bis viermal hinter oder vor mir bemerkt
hatte.
Ich kam an die Villa und wollte eben den Knopf der elek-
trischen Klingel drücken, als ich ein Kärtchen an der Aussen-
seite des Zaunes bemerkte. Mit Bleistift stand daraufin Druck-
buchstaben geschrieben: «Abwesend». Ich klingelte nicht.
Am Abend rief ich von meinem Hotel aus im Haus meines
Freundes an, bekam aber keine Verbindung. Nach einigen
Minuten des Wartens teilte mir das Telefonfräulein mit, dass
niemand zu Hause sei. Dies alles war mir in Berlin noch sehr
natürlich und nicht ungewöhnlich vorgekommen.
Später, in New York - ich hatte am letzten Tag, den ich in
Berlin war, ein Briefchen an meinen Freund geschrieben und
gesagt, wie leid es mir getan hätte, dass er nicht zu erreichen
gewesen war —, bekam ich eine Antwort von ihm, in der er mir
mitteilte, nicht aus Berlin fortgewesen zu sein und meine
Bemerkung bezüglich seiner Abwesenheit nicht verstünde.
Auch ich begriff nichts von der Geschichte, bis ich zu Beginn
dieses Jahres hörte, dass unser alter Familienfreund in Berlin
ein bekannter Sozialdemokrat war. Er ist übrigens inzwischen
in die Schweiz geflüchtet.
Wir Amerikaner interessieren uns in der Regel nur mässig für
die politische Überzeugung unserer Freunde. Ich hatte vorher
nicht gewusst, dass er Sozialdemokrat war. Aber seit 1931 ist
mir alles klar und ich glaube, dass ich in den fünf Tagen
nicht nur beschattet wurde, sondern dass auch das Tele-
Ion in meinem Hotelzimmer abgehört wurde. Dabei darf
man nicht vergessen, dass Hitler 1931 noch nicht Reichs-
106
kanzler war,sondern lediglich Führer einer starken politischen
Partei.
Carter antwortete mir undeutlich. Ich drahtete also zurück:
«Wiederholung» und bekam dann ein langes Kabel.
Von den genannten Beträgen könne keine Rede sein.
«Wollen wir nicht und können wir nicht. Beweisen Sie dem
Mann, dass derartige Überweisungen nach Europa den Fi-
nanzmarkt zerrütten müssten. Erwarten langen Bericht, be-
vor Beschluss gefasst werden kann. Bleiben Sie dort und set-
zen Sie Ermittlungen fort. Überzeugen Sie den Mann, dass
seine Wünsche unmöglich sind. Vergessen Sie im Bericht
nicht eigene Einsicht in zukünftige Möglichkeiten.»
«Schwindler seid ihr alle»
Carter hatte keine hohe Meinung von Hitlers finanzpoliti-
schen Einsichten, wollte darum einen ins Kleinste gehenden
Bericht von mir vor der Beschlussfassung abwarten und
erwartete von mir, dass ich den Führer von der Unmöglichkeit
seiner Wünsche überzeugen und in meinem Bericht meine
eigene Meinung über die Aussichten seines Erfolges angeben
sollte.
Ich schrieb Hitler einen Brief und teilte ihm den Inhalt des
Telegramms mit. Zwei Tage darauf bekam ich in meinem
Hotel Besuch von zwei Herren, die ich noch nicht kannte.
Göring und Streicher. Der erste war ein elegant aussehender
Mann, forsch im Auftreten, sehr brutal. Der zweite machte
auf mich den Eindruck eines Duckmäusers.
Göring begann das Gespräch, indem er sein Erstaunen dar-
über ausdrückte, dass ich die Meinung des Führers nicht
teilte. Mir als Amerikaner müsste es freilich schwerfallen, die
deutschen Zustände zu begreifen, aber der Führer hätte mich
doch über den Plan und das Programm der Partei so gut
unterrichtet, dass ich jetzt darüber ausreichend informiert
sein müsste.
Ich bremste ihn sofort. Meine Einsicht oder meine Meinung
107
täten hier nichts zur Sache. Ich sollte ja kein Geld verschen-
ken, ich war nur Zwischenperson. Das schien er nicht zu glau-
ben und blieb dabei, mich persönlich anzusprechen, er ne-
gierte vollkommen die Tatsache, dass ich Auftraggeber hinter
mir hatte.
Streicher ergriff nun das Wort und schlug einen bittenden
Tonfall an. Ich konnte diesen Mann nicht ausstehen. Wie
unangenehm auch die Brutalität Görings war, sie war mir
hundertmal lieber. Wir kamen nicht voran. Ich machte zum
soundsovielten Mal klar, dass ich nichts an der Sache ändern
könnte, dass ich meinen Bericht noch am selben Tag nach
New York gesandt hatte und abwarten musste, was meine
Auftraggeber beschliessen werden.
Nun wurde Göring zornig und sagte mir buchstäblich:
«Das ist alles Schwindel. Wir haben Sie doch nicht gerufen.
Erst lassen Sie vor unseren Augen einen stattlichen Betrag
schimmern, und wenn wir angeben, was wir brauchen,
dann ist es zu hoch, und die Herren können nicht liefern.
Schwindler seid ihr alle.»
Entschuldigung von Göring
Seine Unverschämtheit machte mich böse, und ich wies
Goring die Tür. Er und Streicher gingen ohne Gruss. Ich
schrieb einen Brief an Hitler persönlich und ersuchte ihn,
fernerhin selbst mit mir zu verhandeln und keine Vertreter
mehr zu senden, vor allem nicht Göring. Ich erzählte kurz,
was vorgefallen war, und fügte noch hinzu, dass ich Göring
keinesfalls mehr zu sehen wünschte.
Was sich zwischen Hitler und Göring abgespielt hat, weiss ich
nicht, aber am folgenden Tag bekam ich einen Brief von
Göring, in dem er mir seine Entschuldigung anbot und die
Schuld für sein Auftreten auf die grosse Spannung schob,
unter der er als Parteileiter und zweiter Mann nach dem
Führer im Augenblick lebte.
Am folgenden Tag wurden mir wieder zwei Herren gemeldet.
108
Amerikaner machen in Europa oft einen grossen Fehler. Sie
empfangen jemand zu voreilig auf eine einfache Ankündi-
gung hin. In Amerika ist das ohne Bedeutung, dort wird alles
unbekümmerter erledigt. Unnötiges Gerede gibt es dort in der
Geschäftswelt selten.
Ich empfing die beiden Herren. Es war von Heydt und eine
neue Person. Vorgestellt als Gregor Strasser. Eine feinere Type
als Göring, aber hinter seiner grösseren Förmlichkeit ebenso
brutal.
Von Heydt sprach zuerst. Ich hörte kaum hin und fiel ihm ins
Wort. Alles Gerede mit Leitern der Partei hätte im Augen-
blick keinen Sinn. Es war auf New York zu warten. Wenn der
Herr Hitler mich in der Angelegenheit sprechen wollte, dann
würde ich gerne eine Unterredung annehmen und ihm den
Standpunkt meiner Auftraggeber deutlich machen.
Strasser stellte sich zwischen uns beide. Ob ich den Stand-
punkt denn teilte? Ich hatte in der ganzen Angelegenheit
keinen Standpunkt. Ich führte einen Auftrag aus. Die Ant-
wort war aber im Codestil gegeben. Und da ich sie Hitler
unverändert durchgegeben hatte, konnte es vielleicht mög-
lich sein, dass ich einige Punkte erhellen konnte. So musste
meine Mitteilung verstanden werden.
Strasser begann wieder über das Programm auszupacken. Ich
bekam den Eindruck, dass seine Aufgabe hauptsächlich das
Bearbeiten der Arbeitslosen war. Er schalt, ohne aber grob zu
sein, auf die Gewerkschaftsbonzen und die der Sozialdemo-
kratischen Partei. Er nannte hintereinander vierzig bis fünf-
zig Namen, und dann wies er todernst auf die Wand und
sagte immer genauso ruhig: «Das ist der Platz für die Kerls und
dann zehn Scharfschützen davor.»
Die gröbsten Worte, die er gebrauchte, waren Kanaille und
Hunde, aber er sagte sie ebenso ruhig wie alle anderen.
Ich habe genug von seinem Geschwätz und bitte die Herren,
mich jetzt allein zu lassen, weil ich noch eine Anzahl Briefe
schreiben will. Strasser gibt mir eine Karte, eine Einladungs-
karte, am folgenden Sonntag in Breitenbach einer nationalso-
zialistischen Parade beizuwohnen. 60
Der Heldenmut eurer Leiber
Ein überraschender Anblick! Auf einer Buschwiese, von knor-
rigen Baumstämmen umgeben, stehen im Viereck fünf Sturm-
abteilungen und lauschen dem Pastor, der einen Feldgottes-
dienst hält. Aus der Ansprache des protestantischen Pfarrers
habe ich die folgenden Sätze behalten. Sie haben mir einen
tieferen Einblick in den deutschen National-sozialismus gege-
ben als die vielen Worte Hitlers und seiner Führer:
110
«Ihr seid Streiter Gottes. Tag für Tag strömt das beste Blut,
weil ihr mit Heldenmut eure Leiber zu einem Bollwerk gegen
den Bolschewismus aufgerichtet habt, um zweitausend Jahre
christlicher Kultur vor dem Untergang zu retten. Ihr, die ihr
auf eure roten Fahnen der Volksgemeinschaft mit dem wei-
ssen Feld der Reinheit und der Treue mit dem Runenzeichen
des Sieges den bitteren Streit für deutsche Art und deutsches
Wesen geschrieben habt, ihr handelt gut für euer Gewissen
und für Gott.
Lasst euch nicht missleiten, lasst euch nicht unterdrücken.
Christus’ Geist ist ein Geist des Kampfes gegen Satan und
seine Hölle. Der Feind, der Christus durch seinen Kreuzestod
besiegen wollte, versucht sich gegenwärtig wieder aufzurich-
ten. Der Feind, der ewig rastlos ziehende Jude, hat beschlos-
sen, Rache zu nehmen. Er trachtet danach, die Heiligkeit der
Ehe zu vernichten, bewusst die Reinheit der Sitten und die
Volksseele zu vergiften. Und da muss die christliche Näch-
stenliebe, weil es um Sein oder Nichtsein des Christentums
selbst geht, zum Kampf aufrufen.
Kameraden, unser Kampf ist eine gerechtfertigte Notwehr.
Unser Nationalsozialismus ist die Rettung für Volk und
Vaterland. Hört nicht auf die Politiker, die unseren fanati-
schen Nationalismus als Verbrechen ausmalen, die jeden
Nationalismus verfluchen. Unser Nationalismus ist derselbe
wie der eines Pastors Wetterle, wie der eines Kardinals
Mercier von Mechelen, eines Kardinals Dubois von Paris,
die mit Tausenden ihrer Priester das französische Volk zur
Gregor Strasser musste sich nach
der Machtübernahme der Natio-
nalsozialisten selbst umbringen,
weil er in Rotterdam bei der
Geldübergabe an die National-
sozialisten zugegen war.
flammenden Vaterlandsliebe anfeuerten und es mit glühen-
der Begeisterung zum Standhalten bis zum Endsieg ermutig-
ten.
Was gut ist für Franzosen und Belgier, ist es für uns Deutsche
etwa weniger gut? Im Weltenbrand von 1914 stand der Feind
an den deutschen Grenzen. Heute sitzt der Feind mitten im
Land, verknechtet unser Volk und macht es zu Sklaven.
Im August 1914 zogen Millionen aus, gesegnet von der
Kirche und unter der Hut der Gebete der Kirche auf die
mörderischen Schlachtfelder, um Volk und Vaterland zu
retten.
111
Was damals erlaubt war, ja selbst unseren Priestern geboten
wurde, soll jetzt falsch, Irrtum und verboten sein?»
Der Segen Gottes ruht auf dem Kampf
«Kameraden, das sind Lügen. Und darum sage ich euch,
Nationalsozialist zu sein bedeutet, Streiter zu sein für ein
Volk, das bereit ist, seinen Gottesglauben, seine Sittenreinheit
und seine Ehre bis zum letzten Atemzug zu verteidigen. Ihr
seid eine Vorsehung Gottes, weil ihr das Untermenschentum
mit seinem tödlichen Vernichtungsgift bannen wollt. Der
Segen Gottes ruhe aufeurem Kampf. Und nun Mütze ab zum
Gebet.
Wir wollen, wie es die niederländischen Geusen taten, vor
dem letzten, entscheidenden Kampf die Hände falten und
singen, dass es tausendfältig über das Land schallen soll: Herr,
mach uns freil»
Das Dankgebet ist zu Ende, der Feldgottesdienst ist damit
beendet. Scharfe Kommandos klingen über das Feld, die brau-
nen Reihen formieren sich zum Abmarsch.
Zwei Gendarmen in grünen Uniformen sehen mit Interesse
auf die Sturmabteilung, die Polizei ist auf dem Posten. In ganz
Deutschland — vornehmlich in Preussen — hat sie strengen
Auftrag bekommen, allen Bewegungen der SA nachzugehen.
Innenminister Severing hat vorige Woche im Reichstag über
die gefährliche Putschvorbereitung der NSDAP gesprochen.
Drei Tage später bekam ich ein Telegramm aus New York.
Bericht erhalten. Sind bereit, zehn, höchstens fünfzehn Mil-
lionen Dollar zu liefern.
«Weise den Mann auf die Notwendigkeit der Aggressions-
drohung gegen das Ausland hin.»
Wieder schreibe ich an Hitler, um eine Unterredung zu
vereinbaren. Ich teile ihm mit, dass ich Antwort aus New
York erhalten habe und dass ich um den Vorzug bitte, ihn
persönlich hiermit bekannt machen zu dürfen.
Noch am selben Abend bekam ich Besuch von von Heydt,
112
wieder in Gesellschaft von Strasser. Der Führer ist überarbei-
tet, auf Vorschrift des Arztes muss er mindestens zwei Wo-
chen Ruhe halten. Sie haben Vollmachten, die sie mir zeigen,
sie können in seinem Namen verhandeln.
Mit Unlust teile ich dann den Inhalt des Telegramms aus New
York mit.
Fünfzehn Millionen Dollar das Maximum
«Fünfzehn Millionen Dollar» — er nimmt tatsächlich das
Maximum -, sagt von Heydt, «ist nicht viel für unsere ge-
waltige Aktion. Aber ich weiss, dass der Führer es annehmen
wird. Von Revolution kann nun keine Rede sein. So wie
Göring und andere es sich vorstellen, so leicht geht es nicht.
Ich würde selbst auch gern auf die Barrikaden gehen, ich habe
genug von den Zuständen. Aber wir wollen uns keine Wahn-
idee in den Kopf setzen. Wir würden abgeschossen werden,
bevor wir wissen, was eigentlich im Gange ist. Das würde für
uns Leiter unverantwortlich sein. Wir müssen Hitler nun
Vorschläge präsentieren, um uns besser zu organisieren und
unsere Leute gut zu üben.
Revolution jetzt würde Mangel an Soldatengeist und Kame-
radschaft sein. Sinnlose Opfer in Kauf nehmen ist ein kom-
munistischer Gedanke. Damit haben wir nichts zu tun. Die
SA jetzt auf die Barrikaden, das würde Vernichtung unserer
Bewegung bedeuten, das würde Blutvergiessen heissen, sogar
kostbares Blut für nichts. Auf unsere toten Leiber würde die
Fahne des Chaos und der Verzweiflung, die Fahne des Bol-
schewismus gepflanzt werden. Wir haben in unserer Partei
seit einigen Wochen einen Zulauf neuer Elemente festgestellt,
die noch mit Mühe zu handhaben sind. Sie kommen aus
anderen Parteien und von anderen Weltanschauungen, sie
müssen sich noch in unsere Welt einleben.»
Von Heydt scheint ebenso wie alle Leiter der nationalsoziali-
stischen Partei, die ich nun schon empfangen habe, von der
Manie angesteckt zu sein, überall, ob passend oder unpas-
113
send, das Programm und die Taktik der Partei zur Sprache
bringen zu müssen, als ob er auf einer Volksversammlung
wäre.
Strasser fragt mich, wann nach meiner Meinung die fünfzehn
Millionen Dollar in Deutschland ausbezahlt werden könnten.
Ich antworte ihm, dass dies eine Frage weniger Tage ist,
sobald ich weiss, ob Hitler mit dem angebotenen Betrag
einverstanden ist, aber dass ich, vor allem um die nötigen
Massregeln zur Überweisung des Betrages nach Europa zu
treffen, doch wohl eine Unterredung mit Hitler haben müss-
te. Von Heydt sagt mir, dass dies vorläufig unmöglich sei, weil
Hitler vollkommene Ruhe halten müsse. Auf seine Rückkehr
zu warten würde eine grosse Verzögerung bedeuten. Wenn
ich Wert darauflege, will er eine Versammlung mit allen Par-
teileitern anberaumen, morgen oder übermorgen, und da
kann ich mitteilen, was ich Hitler persönlich sagen wollte. Ich
bleibe bei meinem Standpunkt und sage zum Schluss, dass ich
nichts tun werde, ohne mit Hitler persönlich gesprochen zu
haben.
«Amerikaner kennen unsere Pläne nicht»
Am anderen Tag zu Mittag wurde ich vom Essen in meinem
Hotel weggerufen. In der Halle wartet ein Chauffeur mit
einem Brief an mich. Es ist ein eigenhändiges Schreiben
Hitlers, worin er mich ersucht, mit dem gesandten Auto zu
ihm zu kommen.
Eine Viertelstunde später sitze ich in seinem Zimmer in der
Fasanenstrasse. Ich kann keine Übermüdung oder Krankheit
an ihm sehen, spreche nicht über seine Gesundheit und führe
unmittelbar meinen Auftrag aus.
Hitler steht wieder auf, und während er im Zimmer umher-
geht, schreit er:
«Fünfzehn Millionen Dollar! Das sind ungefähr 60 Millio-
nen Mark. Wie lange dauert es, bis dieser Betrag hier ist?
Es ist viel und viel zuwenig, um die Dinge richtig anzu-
packen. Die Amerikaner kennen unsere Pläne nicht.»
114
Ich mache ihm klar, dass fünfzehn Millionen das Maximum
sind und dass er aus der Abschrift des Telegramms, die ich ihm
zugesandt habe, wohl gesehen hat, dass man über zehn,
maximal fünfzehn Millionen spricht. Zuerst hört er mir
andächtig zu. Ich benutze die Gelegenheit, hinzufügen, dass
im Kabel auch steht, dass ich ihn auf die Notwendigkeit eines
aggressiven Auftretens nach aussen hinweisen soll.
Amerika hat vermutlich den Eindruck, dass seine Tätigkeit im
übrigen Europa noch nicht genügend nachwirkt. Ich will nicht
weiterreden, vielleicht will er jetzt wissen, was meine Auftrag-
geber eigentlich damit bezwecken. Aber Hitler beginnt wieder
zu schreien:
«Denken die, dass ich mit den Menschen hier Wunder tun
kann? Habt ihr wohl eine Idee von der Gleichgültigkeit der
Deutschen? Das Tudenpack hat hier den Menschen einen
Geist von Schwindel, Geldverdienen, Internationalismus,
Pazifismus beigebracht. Dagegen müssen wir Tag für Tag
auftreten.
Erst müssen wir dem Volk Mut beibringen, und dann erst
können wir etwas beginnen. Es gibt keine Disziplin in
Deutschland. Wir müssen wieder von Grund auf anfangen.
Wartet nur, bis wir mit unserer Arbeit am deutschen Volk
erfolgreich sind, dann kommt das Ausland an die Reihe. Lest
doch unser Programm, wir werden keinen Daumenbreit
davon abweichen.
Lest die Punkte eins bis sieben. Punkt 1: Errichtung eines
geschlossenen Nationalstaates, der alle deutschen Stämme
umfasst. Die Erläuterung dazu lautet: Wir verzichten auf
keinen Deutschen in Sudetendeutschland, in Elsass-Lothrin-
gen, in Polen, in der Völkerbundkolonie Österreich und in
den Nachfolgestaaten des alten Österreich.
Lest das Vorwort von Punkt 2: Erzbergerische und Strese-
mannsche Liebedienerei gegenüber dem Ausland hat ein
Ende, und man wird dann auf einmal sehen, dass das Aus-
land vor einer kraftvollen Vertretung der deutschen Interessen
ganz anderen Respekt haben wird, und statt Fusstritten und
115
Ohrfeigen wird Achtung und Rücksichtnahme auf deutsche
Wünsche auf dem Gebiet der auswärtigen Politik und des
Internationalen die Folge unseres Auftretens sein.
Juden werden des Landes verwiesen
Was sagt Punkt 3: Das Ausscheiden der Juden und aller
Nichtdeutschen aus allen verantwortlichen Stellen des öffent-
lichen Lebens.
Und Punkt 4: Die Einwanderung von Ostjuden und anderen
minderwertigen Ausländern wird nicht mehr’ zugelassen.
Lästige Ausländer und Juden können des Landes verwiesen
werden.
Lest doch mal Punkt 6: Wer nicht Deutscher ist, kann nur
als Gast im deutschen Staat leben und steht unter Fremden-
recht.
Und Punkt 7: Die Rechte und Interessen der Deutschen gehen
vor Interessen und Rechten der Angehörigen fremder Völker.
Und obenan stellen wir doch unser Ziel: die Wiedergeburt
Deutschlands im deutschen Verständnis deutscher Freiheit.
Was wollen Sie noch mehr? An diesem Programm halten wir
fest, und wir werden es bis zum letzten Buchstaben durchfüh-
ren. Ich weiss wohl, dass ich uns damit Frankreich, Polen,
die Tschechoslowakei, vielleicht auch Russland, Italien und
Ungarn an den Hals hole, aber das hat vorläufig keine
Bedeutung. Daran können wir erst denken, wenn unser Volk
bereit ist, die Folgen einer deutschen Politik im Interesse des
deutschen Volkes ohne jeden Vorbehalt auf sich zu nehmen.
Unser Volk ist entartet, und die fremden Flecken müssen erst
hinaus.»
Hitler setzt sich wieder und denkt kurz nach. Jetzt spricht er
ruhiger:
116
«Gut, die fünfzehn Millionen Dollar nehme ich. Unserem
Programm werden wir weiter folgen, nur die Taktik
muss geändert werden. Ich werde den langsamen Weg wäh-
len, den Weg der Umstellung, aber wir werden kommen. Es
muss schon beim Reichspräsidenten Hindenburg anfangen.
Wenn ich die aristokratische Clique, die um ihn herum-
scharwenzelt, aus dem Wege geräumt habe, dann habe ich
freie Bahn.
Aber sein Sohn hält nichts von mir, und er hetzt seinen Vater
gegen mich auf. Der Reichspräsident ist ein alter Mann und
lässt sich von anderen führen. Gut, dann nur mit den fünf-
zehn Millionen. Von Heydt wird dann mit Ihnen besprechen,
wie ich den Betrag entgegennehmen will.»
«Was ich erreicht habe, bürgt für mich»
Ich machte ihm noch deutlich, dass meine Auftraggeber die
fünfzehn Millionen nicht auf einer Überweisung schicken
würden, sondern dass sie erst zehn Millionen und später noch
fünf Millionen überweisen könnten und dass sie noch auf
meine Mitteilung warteten, bevor sie tätig würden. Ich wies
Hitler noch auf die Bedeutung der Bedingung hin, die im
Telegramm Carters angegeben war: das forsche Auftreten
nach aussen hin.
Diesmal begann er nicht, in seinen abgerissenen Sätzen zu
maulen und sein Programm zu schmettern, sondern sprach
bestimmt und ruhig:
«Überlassen Sie dies nur ruhig mir. Was ich bereits erreicht
habe, bürgt für das, was ich erreichen kann»
Hiermit war das Gespräch beendet, was ich sehr angenehm
fand, denn ein Gespräch mit Hitler ist etwas Ermüdendes. Er
schreit und rast in einem fort. Offenbar packt ihn immer die
Gewohnheit, wie in Volksversammlungen zu sprechen, so
dass er ein normales, ruhiges Gespräch nicht mehr führen
kann. Am selben Tag noch drahtete ich einen breit angelegten
Bericht über mein Gespräch mit Hitler nach New York und
verwies auf seine Programmpunkte, die die ausländische
Politik betrafen und auf sein festes Versprechen, keinen
Daumenbreit davon abzuweichen. Ich glaubte nicht, dass dies
ausreichen würde, um Carter in Bezug auf die aggressive
Haltung der Nationalsozialisten gegenüber dem Ausland zu
beruhigen, und meinte, dass die Sache hiermit gestorben sei.
117
Italienische Kultur mit deutschem Geist
Aber drei Tage später bekam ich von Carter eine Antwort, die
diametral gegen meine Meinung stand. Fünfzehn Millionen
Dollar sollten auf meine Anforderung hin bei der europäi-
schen Bank, die ich benennen würde, eingezahlt werden.
Unverzüglich schrieb ich diese Antwort an Hitler.
Von Heydt suchte mich auf und bat mich, sofort den Betrag
auf folgende Weise nach Europa überweisen zu lassen: fünf
Millionen auf meinen Namen bei Mendelssohn & Co,
Amsterdam, fünf Millionen bei der Rotterdamschen Bank-
vereinigung, Rotterdam, und fünf Millionen bei der Banca
Italiana in Rom.
Mit von Heydt, Gregor Strasser und Göring reiste ich in die
drei Städte, um die Beträge abzuheben. Es musste eine grosse
Zahl Schecks ausgeschrieben werden auf grosse und kleine
Orte in Deutschland und auf zahllose Namen. Die NS-Führer
hatten lange Namenslisten bei sich.
In Rom, im Hauptgebäude der Bank, wurden die Herren
durch Jen Hauptkommissar empfangen, und als wir fünf
Minuten in seinem Büro waren, kamen zwei — an ihren
Uniformen zu erkennen - hochgestellte Faschisten ins Büro.
Vorgestellt als Rossi und Balbo. Göring nahm das Wort, er
sprach italienisch mit den Herren. Was gesprochen wurde,
konnte ich nicht verstehen.
Wir wurden zum Essen in Balbos Haus eingeladen. Ich war
der einzige, der nicht in Uniform war. Die NS-Führer hatten
ihre braunen, die Faschisten ihre schwarzen Uniformen an.
Nach dem Essen wurde in einem grossen Saal mit geöffneten
Türen zu einem prächtigen Garten getanzt. Die braunen
Uniformen waren bei den Damen sehr beliebt.
Ein alter Italiener, auch im schwarzen Hemd mit zahlreichen
Dekorationen, sass neben mir, um nach den Tänzern zu se-
hen. Er begann ein Gespräch in Deutsch. Italien hätte nie
seine Bundesgenossenschaft mit Deutschland aufgeben sollen,
dann ständen wir jetzt viel stärker Frankreich gegenüber.
Aber unsere Freunde in Deutschland sind auf dem besten
118
Wege, und wenn die Revolution dort Tatsache werden soll-
te, kommen die alten guten Tage von früher zurück. Es ist
keine schönere Kombination möglich als die italienische Kul-
tur mit dem deutschen Geist. Sie wird die Welt erneuern und
erobern.
Hitler ist kein Phantast
Schon am Tag nach meiner Rückkehr aus Europa berief
Carter wieder eine vollzählige Versammlung ein. Rockefeller
erkundigte sich sofort, ob ich meine, dass Hitler einen offenen
Kampf mit Hindenburg wagen würde. Ich gab meiner Mei-
nung Ausdruck, dass ich Hitler zu allem fähig fand, wenn es
zur Erreichung seines Zieles beitragen konnte, aber dass er
kein Phantast und sich der Schwierigkeiten bewusst sei, mit
denen er zu kämpfen hatte. Er würde auch nicht leichtsinnig
experimentieren, wenn er vorher nicht sicher sein konnte, das
Ziel zu erreichen.
Ich musste wörtlich erzählen, was in den Gesprächen, die ich
mit Hitler gehabt hatte, gesagt worden war. Auch fragte man
genau nach meinen Eindrücken von den Zuständen in
Deutschland. Als ich die Meinung des hamburgischen Ban-
kiers wiedergab, wollte Glean wissen, ob bei den besitzenden
Klassen in Deutschland nicht Furcht vor der Finanzpolitik
des Hitlerprogramms bestand, besonders vor der Brechung
der Zinsknechtschaft, wie Hitler es nenne.
Ich antwortete mit der Wiederholung der Worte des Berliner
Industriellen und der Meinung des hamburgischen Bankiers,
dass in jedem politischen Programm Punkte gefunden werden
könnten, die die Masse anziehen müssen, aber in der Praxis
nie durchgeführt werden. Ich äusserte die Annahme, dass die
deutschen besitzenden Klassen darum diesen Teil des Hitler-
programms nicht ernst nähmen.
Während des Gesprächs über Hitlers Wünsche bemerkte
Carter, dass Beträge, wie ich sie gekabelt hatte, doch absurd
seien und deutlich bewiesen, wie wenig Einblick Hitler in die
119
internationalen Finanzverhältnisse hätte. Ich sagte, dass dies
nicht nur bezüglich der finanziellen Verhältnisse der Fall sei,
sondern dass ich ebenso erstaunt gewesen wäre über seine
Unkenntnis in Bezug auf die internationale Politik.
Aber niemand interessierte sich hierfür, eine allgemeine
Erscheinung in Amerika. Carter fragte mich noch, was
ich von Hitlers Mitarbeitern hielte. Ich erzählte den Zwi-
schenfall mit Goring. Das schien ihm besonders zu gefallen,
und er sagte rundheraus, dass seiner Meinung nach so je-
mand ein geeigneter Mitarbeiter für einen Führer wie Hitler
wäre.
Meine dritte Reise zu Hitler
Reichlich ein Jahr später, im September, nachdem die natio-
nalsozialistische Partei in Deutschland am 14. September
107 Abgeordnete in den Reichstag bekommen hatte, erhielt
ich einen kurzen Brief von Carter, in dem er mich an die zwei
Reisen nach Deutschland und die Gespräche, die ich mit
Hitler geführt hatte, erinnerte. Er fragte mich, ob ich bereit
wäre, wieder nach Deutschland zu reisen und mit dem Führer
eine weitere Unterredung führen könnte.
Eine Woche lang überlegte ich, was ich hierauf antworten
sollte. Ich hatte nach meiner letzten Reise nach Deutschland
von von Heydt, von Strasser und von Göring regelmässig
Briefe mit umfangreichen Buchsendungen, Broschüren und
Zeitungen empfangen. Der Nationalsozialismus war mir
jetzt sehr gut bekannt, und die Person Hitlers hatte durch
meine Begegnungen mit ihm nicht mehr viel Mysteriöses für
mich, wie etwa für die anderen aus unseren Kreisen.
Ein weiterer Kontakt mit diesen Menschen in Europa war für
mich keine angenehme Aussicht. Weder von den Personen
noch von ihren Buchveröffentlichungen, noch von ihrer
Propaganda ging viel aus, was mich anzog. Vielleicht hat
meine deutsche Herkunft im Getriebe des amerikanischen
Lebens für mich ihre Bedeutung verloren. Mein Grossvater
120
kam vor neunzig Jahren nach Amerika, mein Vater wurde
hier geboren, meine Mutter ist gebürtige Amerikanerin.
Darum konnte ich vielleicht die mir aufgezwungene Vorstel-
lung von der Überlegenheit des deutschen Volkes, die für
Hitler der Schlüssel seines gesamten Programms ist, nicht
nachvollziehen. Und so blieb seine Arbeit und sein Ziel mir
auch vollkommen fremd.
Ferner war ich mir persönlich darüber klargeworden, dass
meine Freunde auf dem falschen Weg waren und dass Hitlers
Aggressivität in der Aussenpolitik Frankreich vielleicht fle-
xibler und anpassungsbereiter machen konnte, zugleich aber
auch eine Gefahr für die Welt darstellte. Man weiss wohl, wo
so jemand als Diktator beginnt, aber was das Ende sein wird,
das ist niemandem bekannt.
Ich hatte mit Glean im Lauf des Jahres meine Ansichten
besprochen, und er wollte mich beruhigen mit dem Hinweis,
dass Mussolini, auch unumstrittener Diktator eines grossen
Landes, inzwischen sehr abgekühlt sei. Er hatte zwar durch
seinen grossen Mund und seine Drohungen die Welt, beson-
ders Frankreich, einige Augenblicke in Angst gehalten — was
nach Glean sehr gut war -, aber war, wenn es darauf ankam,
doch wieder artig in sein Nest gekrochen. Glean zufolge
würde es mit Hitler nicht anders gehen.
Natürlich war es nicht Hitlers Absicht, einen Krieg zwischen
Deutschland und Frankreich hervorzurufen, sondern nur die
Kriegsgefahr akut zu halten, so dass Frankreich im Hinblick
auf die mögliche Unterstützung in internationalen Finanzan-
gelegenheiten anpassungsbereiter und flexibler würde.
1933
Im Schlafwagen nach Berlin finde ich eine Nummer einer
deutschen Tageszeitung. Auf der ersten Seite der Leitartikel:
«Aus dem Stadtkern strömen die Menschen in Massen zur
121
Jahrhunderthalle und zur Versammlung auf den Messehof,
an die umliegenden Aussenplätze und Gebäude. In den Stras-
sen der Umgebung sind die Omnibusse, die Lastwagen, die
Privatwagen und die Motorräder geparkt. Links an den
Fahrzeugen entlang sausen die vollgestopften Strassenbahn-
wagen, und seit drei Uhr warten ungeduldige Frauen und
Männer mit Falthockern und Proviantpäckchen vor dem
Eingang der Gebäude.
Um fünf Uhr sind die Oderbrücken, die zum Messegelände
führen, schwarz von Menschen und Fahrzeugen. Der Fahr-
plan wird genau eingehalten, und doch gibt es Aufenthalte.
Und stets wieder klingen die Heilrufe, wenn Transporte mit
Parteigenossen und SA-Männern singend und mit entfalteten
Fahnen auf die Sammelplätze kommen. Die Polizei läuft mit
Brotbeutel und Feldflaschen herum. Man sagt, dass ihre
Überfallwagen mit Maschinengewehren und Tränengasbom-
ben ausgerüstet sind. Auf den Bahnhöfen laufen einer nach
dem anderen die Sonderzüge ein.
Freude, Begeisterung, Fröhlichkeit auf allen Gesichtern.
Männer und Frauen, Arbeiter, Bauern und Bürger, Beamte
und Angestellte, Studenten und Arbeitslose, alle werden in
das Gejubel mit einbezogen, das die innerliche Spannung der
gewaltigen Wahlparade erzeugt. Unvergesslicher Tag! Hitler
spricht!
Zum ersten Mal marschiert die vollständige SA der Provinz.
Es gibt Sturmabteilungen, die zehn Stunden und länger auf
offenen Lastwagen sassen, bevor sie am Bestimmungsort
ankamen. Die SA-Kolonnen werden mit Blumen überschüt-
tet. Es wird ein Triumphzug. Immer wieder gehen die Arme
grüssend in die Höhe. «Heil, SA! Heil!... » Die Trommeln
tönen, die Hörner schallen.
In das riesige Betongebäude der Jahrhunderthalle, das mäch-
tige Denkmal, das für alle Zeit das Volk von Preussen an die
grossen Zeiten von 1813 erinnert, wogt eine tausendköpfige
Menge. Lange Transparente sind an der Brustwehr und an
den Bogen des zweitgrössten Kuppelbaues der Welt aufge-
hängt. Da steht: «Wir kämpfen nicht um Mandate, wir
122
kämpfen für unsere Weltanschauung. Der Marxismus muss
zerstört werden, damit der Sozialismus leben kann. Für ein
feiges Volk ist kein Platz auf dieser Welt. »
«Achtung! Achtung!» klingt es aus den Lautsprechern.
«Achtung! Jeder auf seinen Platz! Die SA marschiert ein!»
Das Heer vom Hakenkreuz
Und sie rücken ein. Das Riesengebäude zittert. Ein Jubel und
ein Orkan bricht los. Zwanzigtausend Menschen stehen von
ihren Plätzen auf. Unter Jubelrufen ziehen die Standarten
und Fahnen ein. Da ist eine schwarz umflort. Eine Mutter
schreit. Ein unbekannter SA-Mann ist den Heldentod für sein
Volk gestorben.
Die Sturmabteilungen marschieren auf. Draussen hört man
sie schon singen: «Wir sind das Heer vom Hakenkreuz !» Die
Begeisterung steigt auf die Spitze.
Immer neue Kolonnen, Männer, die nichts anders kennen als
Hingabe und Kampf. Der Boden dröhnt unter dem Marsch-
tritt, unter der Kraft und Disziplin der braunen Bataillone.
«Achtung! Achtung! Soeben ist Hitler angekommen! Ach-
tung! Achtung!» Die Begeisterung rast. «Heil, heil!» Er
kommt! Tausende Augen suchen den Führer! Da ist er!
Der Frontsoldat Hitler spricht
Forsche Kommandos. Ein Jubelruf «Adolf Hitler!» Dann wird
es still. Der Gauleiter ist vor das Mikrofon gekommen.
«Meine lieben deutschen Volksgenossen!» beginnt er. Nach
einigen markigen Sätzen schliesst er: «Der Führer hat das
Wort!» Wieder erschallt ein gewaltiges Jubeln. Dann lauschen
die Massen. Adolf Hitler spricht. Erst langsam, gemessen und
kühl. Der erste Beifall. Hitler winkt zu schweigen.
Er spricht weiter, mit mehr Überzeugung, unwiderlegbar. Er
wird heftig und fordernd. Die Nicht-Nationalsozialisten sind
123
getroffen. Was dieser Frontsoldat, Unteroffizier Adolf Hit-
ler, dieser Mann aus dem Volk sagt, das ist alles so einfach,
so gewohnt und recht nach Brauch und Sitte, und es ist alles
so wahr, dass die immer auf ihre Entwicklung Stolzen und die
Besserwisser und Vernunftmenschen mit ihren ewigen sachli-
chen Einwänden schweigen. Mit Spannung folgen sie dem
Sprecher. Sie geben sich Mühe, diesen Mann, den zu sehen
sie aus Neugier kamen, zu verstehen und zu begreifen. Aber
sie spenden ihm Beifall. Hitler winkt zu schweigen.
«Wer zu den Unseren gehört, weiss, dass nicht alle fünf oder
zehn Jahre, aber vielleicht einmal in hundert Jahren ein
Umschwung in der Geschichte unseres Volkes erreicht
wird... .!» Und nun schreit er laut: «Programme sind wert-
los... .!» Sie, die am Rande stehen, die Entzauberten, die
schon so häufig verraten wurden, horchen nun scharf hin.
«Als Volk wurden wir vor dreizehn Jahren zerbrochen, und
auf das zerbrochene Volk folgte das zerbrochene Wirt-
schaftsleben. Einst, vor hundert Jahren, haben nicht die dem
deutschen Volke neuen Segen und neues Glück gebracht, die
nur an das Wirtschaftsleben dachten, sondern die, die Gut
und Blut einsetzten für die Ehre des deutschen Volkes. Es
kann nicht anders sein, das deutsche Wirtschaftsleben ist
nicht gebrochen, aber das deutsche Volk ist gebrochen .. .!»
Ein geknechtetes Volk erwacht
Der Frontsoldat Hitler spricht nicht über Programme, son-
dern von Hingabe, Arbeit und Opfern. Jetzt klingt seine
Stimme wie ein Trommeln. Jetzt spricht er über Deutschland,
und wie. Die Herzen entflammen. Das ist ein Zeugnis, ein
Wille und ein felsenfester Glaube! Hitler liebt Deutschland.
Er lebt und kämpft nur für Deutschland und immer nur
Deutschland!
Die Augen glänzen. Die Gesichter sind fest überzeugt. Die
Zweifler werden mutig. Die Ungläubigen beginnen wieder zu
hoffen. Er zieht die Lauen und die Gleichgültigen mit, und die
124
alten Kämpfer werden zu neuen Taten angefeuert. Hitler
zieht alle mit seinem glühenden Freiheitswillen in den Bann
seiner Meisterschaft. Ein geknechtetes Volk erwacht. Klas-
sengrenzen fallen. Keine klassenbewussten Arbeiter und
unzufriedenen Bürger, nein, zwanzigtausend deutsche Volks-
genossen glauben und jubeln, glauben dem Führer und jubeln
ihm zu!»
Dies alles lese ich im Schlafwagen nach Berlin. Auch noch,
dass von Pfeffer durch den Führer abgesetzt ist, dass von
Heydt aus der Partei ausgetreten ist, dass Strasser kaltgestellt
worden ist, weil sein Bruder in den Sturmabteilungen zur
Meuterei aufgerufen hat.
Ich bin beinahe froh, dass ich zum dritten Mal den Auftrag zu
einer Unterredung mit Hitler auf mich genommen habe. Hier
in diesem Land geschehen Dinge, die uns nur aus der
Geschichte bekannt sind. Dabeizusein, mitten drin zu stehen,
mit dem Führer sprechen zu können und seine tiefsten und
geheimsten Beweggründe vernehmen zu können, das ist wahr-
lich nur wenigen vorbehalten.
In Berlin herrscht eine eigenartige Stimmung. Ob das die
Stille vor einem gewaltigen Sturm ist? Ich weiss es nicht.
Niemand spricht über Politik. Ich besuche den alten Freund
in Wilmersdorf. Sein Haus ist verlassen. Diesmal sehe ich
wohl, dass er wirklich abwesend ist.
Ich habe ein Gespräch mit dem Direktor eines grossen Waren-
hauses. Über die Situation lässt er sich nicht aus. Er sagt nur
auf meine vielen Fragen, dass mühselige läge kommen wer-
den, aber mehr bekomme ich mehr heraus.
An manchen Punkten Berlins ist das Stadtbild ungewöhnlich.
Schupos mit Gewehren und Maschinengewehren. In rasen-
dem Tempo fahren offene Lastwagen, mit Reichswehrsolda-
ten bemannt, durch stille Strassen. Motorbrigaden fliegen
über den Kurfürstendamm, und im Bereich der Regierungs-
gebäude dicht bei meinem Hotel sieht man überall bewaff-
nete Truppen. Wenig braune Uniformen, für mich eine unbe-
greifliche Erscheinung.
Hitler ist doch in die Regierung aufgenommen, die wenigen
125
Zeitungen, die das Thema anzusprechen wagen, nennen sei-
nen Namen als den des Reichskanzlers der Zukunft, einer
sehr nahen Zukunft. Ich hatte in Berlin mehr Zurschaustel-
lung der Macht der Hitlerpartei erwartet. Aus den Zeitungs-
berichten wurde ich nicht schlau.
Reichswehr nicht gegen Hitlers Truppen
In einem Gespräch mit einem Attach& der amerikanischen
Gesandtschaft wurde mir aber vieles deutlich. Er erzählt mir,
wie Hitler die Presse schon an die Leine gelegt hat, obwohl er
noch nicht Reichskanzler ist; aass seine Sturmabteilungen in
der Umgebung von Berlin mobil aufgestellt sind, um beim
ersten Alarm in die Stadt einzufallen; dass das Erscheinen der
Reichswehr staatliche Machtdemonstration, aber ohne
Bedeutung ist, weil die Regierung, wenn es darauf ankommt,
die Reichswehr nicht gegen Hitlers Iruppcen einsetzen darf,
weil sie unzuverlässig ist und viele nationalsozialistische
Elemente enthält; dass Hitler seinen Sturmabteilungen und
SA-Abteilungen eine neue Gruppe Kämpfer hinzugefügt hat,
der er selber den Namen Mord-Trupps gegeben hat.
Niemand in den politischen Parteien protestiert gegen diese
brutale Benennung, die ein Hinweis auf Hitlers Gesinnung
ist. Die Sozialdemokraten sind zermürbt, denn sie sehen ein,
dass ihre parlamentarische Arbeit von Jahren zu nichts
geführt hat. Die Kommunisten sind auch schon ängstlich,
obwohl sie es doch gewesen sind, die immer am lautesten
geschrien haben. Gestern wurde ihr Karl-Liebknecht-Haus
überrumpelt und vom Dach bis zum Keller durchsucht.
Amtlich hiess es, durch Polizei und Reichswehr, aber mein
Gewährsmann behauptet, dass die Mord-Trupps Hitlers
einen grossen Anteil an der Verwüstung des Karl-Liebknecht-
Hauses gehabt haben. Fs smd schon zahlreiche kommunisti-
sche Leiter gefangengenommen, die «Rote Fahne» ist verbo-
ten — zwar nur vorübergehend, aber sie wird vor den Wahlen
doch nicht mehr erscheinen.
126
Die Ernennung von Hjalmar Schacht zum Präsidenten der Reichsbank. Ein
Beweis, wer die wirkliche Macht hinter Hitler war. Die Ernennungsurkunde
ist von Hitler und von Max Warburg unterzeichnet, dem Bruder Paul War-
burgs.
Die Sozialdemokraten sind lau in ihren Manifesten und
Zeitungen. Alle fühlen, dass sie dem Nationalsozialismus
nicht gewachsen sind. Das deutsche Volk will Imponierendes
sehen, nur vor Kraftprotzen hat es Respekt. Die Deutschen
sind grosse Kinder. Naive. Ein grosser Gedanke allein reisst
sie nicht mit.
Fürs erste bekam ich eine gedrängte Übersicht über die
politischen Zustände. Mein Gewährsmann wagt sich sogar
an Voraussagen. Hitler ist nicht mehr zu bremsen, sagt er. Sie
werden es sehen. In der nächsten Woche wird er Reichskanz-
ler. Dagegen kann ein von Papen nicht an. Ein von Schleicher
hat es versucht, sogar mit Unterstützung des jungen Hinden-
burg, aber es ist ihm nicht geglückt.
Hitler kann, wenn er will, Reichspräsident werden. Vorläufig
wird er es mit der Kanzlerschaft genug sein lassen, aber
Hindenburg ist alt, und jeden Tag kann etwas passieren.
Dann ist Hitler allein Diktator ohne den Schein eines verfas-
sungsmässigen Staatsoberhauptes hinter sich. Bei dem Mann
sei alles möglich. «Ich habe ihn einige Male gesprochen und
auch seine Reden gehört. Er macht mit seinen Zuhörern, was
er will. Er lässt sie nicht zum Nachdenken kommen, schreit
und schreit in einem fort, bis die Menschen sich nicht mehr
auflehnen können. Ich hatte immer, wenn ich ihn hörte, das
Gefühl, dass ich mich stark wehren müsste gegen seine Sugge-
stivkraf, um ihm nicht hundertprozentig zuzustimmen.
Nachher, wenn man sich fragt, was er gesagt hat, kann man
es nicht wiederholen. Was denken Sie über den Nationalso-
zialismus?»
Nachts brannte der Reichstag
Ich wollte keine Antwort geben, jedenfalls keine endgültige.
Abwarten, sagte ich, wir Amerikaner haben schliesslich nichts
damit zu tun. Wenn das deutsche Volk in Hitler seinen Retter
sehen will, dann ist das sein gutes Recht, das geht uns nichts
an.
128
Mein Gewährsmann meinte es anders und versuchte mir zu
beweisen, dass Hitler ebenso wie Mussolini eine Gefahr für
Europa sei und dass die italienische Gefahr durch die Macht-
ausbreitung der Nationalsozialisten in Deutschland und eine
Hitlerdiktatur vergrössert werden würde.
Am selben Abend schrieb ich an die alte Anschrift Hitlers in
Berlin, dass ich angekommen sei und ihn um eine Unterre-
dung ersuche.
Diese Nacht brannte das Reichstagsgebäude. Mittags kam
Göring in mein Hotel, noch brutaler als früher, arrogant und
autoritär. Er wurde von einem Neuling begleitet, den er mir
mit dem Namen Goebbels vorstellte. Beide waren voll von
dem Brandereignis. Sie schalten auf die Kommunisten, die
das Gebäude angezündet hätten, und wollten mich wahrhaf-
tig zum Bekenntnis meines Glaubens an ihr heiliges Recht
bringen, dass die Kommunistenbrut bis zum letzten Mann
umzubringen sei.
Ich folgte wie immer meiner eigenen Taktik und gab keine
Meinung zu erkennen. Auf meine Frage, wo und wann ich
Hitler sprechen könne, gingen sie erst ein, nachdem sie sich
ausgetobt hatten. Der Führer würde mich am Abend um halb
zwölf in der Fasanenstrasse empfangen.
Hitler war sehr aufgeregt. Er selbst hätte wohl «aufgeregt»
gesagt, für einen Aussenstehenden raste er. Aufgeregt war er
im wahrsten Sinne des Wortes immer. Kaum, dass er mich
begrüsste, wie es sich gehört. Er tobte über die Kommunisten,
die den Reichstag in Brand gesteckt hätten, beschuldigte die
Sozialdemokraten, dass sie dabei die Hand im Spiel hätten,
rief das deutsche Volk auf, als ob er Tausende Zuhörer vor
sich hätte.
Ich kann hier die rasende Rede nicht wiedergeben, denn ich
habe sie nicht behalten. Ihr fehlte jeder Zusammenhang.
Seine Raserei dauerte wohl eine halbe Stunde, bevor er am
Tisch Platz nahm und mit mir ein einigermassen normales
Gespräch begann, immer wieder unterbrochen von seinem
Schelten und Lärmen gegen die Kommunisten.
129
Es geht um den letzten Schlag
Ich wusste nicht, was ich eigentlich bei Hitler sollte. Die Sache
war so: Carter hatte von Hitler einen Brief bekommen, in dem
dieser ihn bat, schnellstens den früheren Vertrauensmann
nach Deutschland zu schicken, um mit ihm verhandeln zu
können. Den Brief hatte Carter mir gezeigt, und veranlasst
durch meine Zusage von einigen Monaten zuvor, hatte er
mich gebeten, umgehend nach Berlin zu reisen.
Jetzt sass ich vor Hitler, wusste aber nicht, was er mich fragen
oder mir sagen wollte. Ich wartete ruhig ab.
Dann begann Hitler:
130
«Ich finde es von grossem Belang, Sie von dem Fortschritt in
unseren Reihen zu unterrichten. Seit 1931 ist unsere Partei in
einem Verhältnis von 1 zu 3 gewachsen. Es gibt Abteilungen,
in denen die Zahl der Arbeitslosen die der noch Arbeitenden
weit übertrifft.
Die verschiedenen Wahlen haben unsere Mittel stark bean-
sprucht, jetzt stehen wir am Vorabend der Veränderung. In
der Partei selbst habe ich einen Hausputz machen müssen.
Verschiedene Elemente, selbst solche auf hohen Posten, waren
unzuverlässig. Aber das ist alles vorbei.
Es geht nur noch darum, den letzten Schlag mit Erfolg tun zu
können. Durch den Brand im Reichstag haben die Kommuni-
sten sich selbst für immer ausgeschaltet. Schwieriger ist es, in
einem letzten Anlaut die Sozialdemokraten zu überwältigen.
Auch dürfen wir die Deutschnationalen nicht vergessen, und
die haben Geld.
Nach Berlin können wir mit unseren Truppen nicht hinein,
weil wir — zwar sind wir sicher vor der Reichswehr — nicht
sicher sind vor dem Gros der Bevölkerung, vor allem nicht im
Norden und in der Judengegend. Um Berlin ist ein grosser
Kreis gezogen, und darin habe ich drei Viertel der Truppen
unserer Partei zusammengezogen.
Noch einige Tage, dann haben wir den grossen Tag der
Wahlen. Diese Schlacht müssen wir durch die Wahlurne oder
mit Gewalt gewinnen. Mein Plan ist klar: Wenn der Ausgang
der Wahl nicht günstig ist, werden Hindenburg, sein Sohn,
von Papen, von Schleicher und Brüning ausgehoben und in
eine Festung gebracht. Auch die Führer der Sozialdemokra-
ten werden wir gefangen nehmen.
Bis in die kleinsten Einzelheiten ist dafür alles geregelt. Aber
die Hälfte unserer Sturmabteilungen hat nur Gummiknüp-
pel, und viele Mannschaften haben nur altertümliche Karabi-
ner. Grosse Waffenlager liegen bereit an den deutschen Gren-
zen in Belgien, Holland und m Österreich. Aber die Schmugg-
ler geben keinen Kredit. Sie verlangen schändliche Preise, sie
wissen natürlich ganz gut, was hier geschieht, und sehen auf
ihren Vorteil. Mit den Kerlen zu verhandeln führt zu nichts,
klingende Münze verlangen sie, sonst nichts.
Wieviel können Ihre Leute geben?
Ich dachte, dass Sie schon viel früher nach Berlin gekommen
wären, dann hätte ich alles regeln können, jetzt, im letzten
Augenblick, muss es fest angefasst werden. Lange zu reden
hilft deshalb nicht. Was meinen Sie, was Ihre Auftraggeber
tun werden? Wollen Sie uns weiter unterstützen?
Vergessen Sie nicht, dass wir gegen Moskau kämpfen, gegen
die ganze deutsche Schwerindustrie, gegen die katholische
Kirche und gegen die Internationale. Das sind Feinde, die wir
nicht unterschätzen dürfen. Die Beiträge in unserer Partei sind
kaum gestiegen, obgleich ich den Eintritt auf zwei Mark und
den Beitrag auf eine Mark erhöht habe. Es gibt zu viele
Arbeitslose, die wir freistellen und mit Uniformen und Waffen
versehen müssen. Auf dem flachen Land geht es noch an. Da
haben unsere Leute Karabiner und Jagdgewehre. In den Städ-
ten ist es schwieriger. Wieviel werden Ihre Leute geben?»
Ich konnte nicht antworten, weil ich auf diese Frage nicht
vorbereitet war und vor meiner Abfahrt mit Carter keine
Überlegungen angestellt hatte.
Und Hitler fuhr fort:
«Ich habe keine Berechnung gemacht, dazu hatten wir keine
Zeit, und zu meinen Mitarbeitern habe ich bis auf wenige
131
Ausnahmen kein Vertrauen mehr. Unsere Partei ist in kurzer
Zeit so gewaltig gewachsen, dass es für mich zunehmend
schwieriger wird, die ganze Leitung in der Hand zu halten. Es
muss aber gehen, denn vertrauenswürdige Führer sind selten.
Die Monarchisten beginnen in unsere Reihen überzulaufen,
aus dem Stahlhelm kommen jeden Tag neue Anmeldungen,
sogar Anmeldungen in Massen. Wir können nicht anders als
darüber jauchzen, aber die Führer, die mitkommen, müssen
wir scharf kontrollieren.
Ich habe Hindenburg nun persönlich kennengelernt. Das
Gespräch war fern davon, angenehm zu sein. Der Alte war
sehr zurückhaltend, aber ich habe getan, als ob ich nichts
merkte. Ich habe Zeit, er wird bald genug merken, mit wem er
es zu tun hat. Und wenn ich ihm einmal klaren Wein
eingeschenkt habe, dann wird er mit uns mitgehen oder
verschwinden. Kompromisse kenne ich nicht.
Sie sind doch Jude
132
Aber Sie sind doch ein Jude? Nein, dessen erinnere ich mich
noch. Ihr Name ist ja deutsch. Ja, deutscher Herkunft. Es ist
besser, dass Sie in Deutschland mit einem deutschen Pass
reisen. Goebbels kann das besorgen, Sie kennen ihn ja. Er und
Göring sind meine Besten Mitarbeiter. Von Heydt ist draus-
sen und von Pfeffer auch. Der Strasser ist lächerlich, eine Meu-
terei der SA gegen mich.
Eine vollzählige Versammlung der Gauleiter, und die Sache
war aus. Kraft, Mut, starkes Auftreten sind alles. Anstatt
loszuschlagen, nicht zu warten, haben Strasser und seine
Leute heimlich Vorbereitungen getroffen, alles im Stillen
geregelt, aber ich war von ihrem Tun unterrichtet und habe
im rechten Augenblick eingegriffen. Schwache Brüder. Noch
viel zu sehr politisiert. Manieren, die sie von der roten Brut
zurückbehalten haben.
Was sagt man in Amerika über den Brand im Reichstagsge-
bäude (er vergass offenbar, dass ich schon hier war, als
das Gebäude in Flammen aufging)? Aber wir wissen,
wer die Schuldigen sind. Beweisen können wir alles. Ein
Kommunist hat den Brand gelegt, aber hinter ihm sitzen an-
dere Kommunisten und Sozialdemokraten. Dafür sollen sie
büssen.»
Hitler hatte sich langsam wieder zu einer Art verhaltener
Raserei hochgearbeitet und lief nun wieder im Zimmer hin
und her. Plötzlich lief er zur Tür, riss sie weit auf und sah ins
Vorzimmer. Er begann zu toben und zu schelten gegen
jemand, der sicher im Gang stand, aber ich konnte niemand
sehen. Was er in dem Moment mit seinem Geschrei bezweck-
te, weiss ich nicht. Zuerst dachte ich, er wolle jemandem
verbieten, im Vorzimmer unser Gespräch zu belauschen. Aber
das war nicht der Fall, denn sobald er wieder im Zimmer
stand, tobte er weiter gegen den Unsichtbaren über etwas,
was noch nicht klar war, über das leidig lange Warten auf
unbegreifliche Dinge, über das geringe Vertrauen, das man
gegenwärtig in untergeordnete Leute setzen konnte.
Er nahm wieder Platz und schnauzte mich an:
«Sie haben noch keinen Betrag genannt!»
Es gibt Augenblicke, in denen Hitler den Eindruck eines
Wahnsinnigen macht. Ein geregeltes Gespräch mit ihm zu
führen ist immer unmöglich, aber manchmal ist sein Von-
einem-aufs-andere-Springen so hinderlich und so närrisch,
dass man an seinem geistigen Gleichgewicht zweifelt. Ich bin
der Meinung, dass er eine übernervöse Natur hat. Die letzten
Jahre haben sein Wesen vollständig mit seiner Idee in Beschlag
belegt. Er hat unter einer dauernden Spannung gelebt. Viele
hätten dem nicht standgehalten, aber Hitler scheint eine gewal-
tige, kräftige Natur zu haben.
So sehe ich Hitler
Ich glaube aber nicht, dass Hitler über einen grossen Verstand
verfügt. Wenn ich versuche, aus dem Inhalt aller Gespräche,
die ich mit ihm geführt habe, einen Schluss zu ziehen, komme
133
ich zu dem Ergebnis, dass er nicht intelligent ist, sondern
seltsam starrköpfig und unnachgiebig. Das ist meiner Mei-
nung nach seine Stärke. Wir kennen alle in unserer eigenen
Umgebung diese Sorte Menschen, die häufig dumm und
wenig gebildet an irgendetwas festhalten — einer Idee oder
einem Besitz — und alles dafür aufopfern, um damit unterzu-
gehen oder zu siegen. So sehe ich Hitler.
Ob Hitler für ein Volk wie das deutsche ein Segen oder ein
Fluch ist, kann nur die Zukunft zeigen, aber ich glaube., dass
das deutsche Volk das einzige auf der Welt ist, bei dem ein
Mann wie er es zu einem solchen Einfluss bringen konnte.
Denn es gibt so viele schwache Punkte in seiner Person und
in seinem Auftreten, dass in anderen Ländern der Mann selbst
so wie seine Partei schon lange verspottet und verhöhnt wor-
den wären.
Nachdem ich den Mann aus den verschiedenen Gesprächen
kenne, die ich mit ihm geführt habe, verstehe ich auch,
warum er - seit seinem endgültigen Sieg — weder zu deut-
schen noch zu ausländischen Journalisten Vertrauen hat. Es
ist in der Tat für ihn und seine Partei gefährlich, wenn er ein
Interview gibt, denn er kann sich nicht beherrschen, schwätzt
alles heraus und äussert seine Absichten ohne jede Hemmung.
Schon in unserem ersten Gespräch war mir das aufgefallen.
Zwar war ich ausreichend eingeführt worden, meine Identi-
tät stand fest, an allem konnte er erkennen, dass er es mit
jemand zu tun hatte, der als Vertreter der stärksten Finanz-
gruppe der Welt auftrat, aber auch das hatte bei Hitler keinen
Anschein staatsmännischer oder von politischer Einsicht
zutage gefördert, da er mir so unumwunden seine geheimsten
Absichten anvertraute. Im Jahre 1933 war das nicht mehr so
gefährlich wie in den Jahren 1929 oder 1931, aber in beiden
Jahren war er mir gegenüber ebenso offenherzig wie im Jahre
1933.
Auch die Juden lassen ihn nicht los. Die Judenfrage ist für ihn
der Kern, um den es für das deutsche Volk geht. Er hat in
dieser Sache Vorstellungen, die für einen Oberschuljungen in
den Vereinigten Staaten lächerlich sein würden. Geschichtli-
134
che Tatsachen schiebt er gewöhnlich beiseite, ich meine, dass
er über den modernen «Rasse»-Begriff nichts weiss.
Nach seiner Frage — oder eigentlich seinem Vorwurf —
«Sie haben noch keinen Betrag genannt» fing er mit der
Judenfrage an, und er begann das Problem in Deutschland mit
dem Negerproblem in Amerika zu vergleichen. Das war für
mich genug, um mir eine Meinung über Hitlers Verstand und
Einsichten bilden zu können. Die beiden Probleme sind über-
haupt nicht zu vergleichen!
Hundert Millionen für den endgültigen Sieg
Es war inzwischen etwa drei Uhr früh, und ich wusste
eigentlich noch nicht, was er von mir wollte. Darum nutzte
ich eine kurze Pause in seiner Beweisführung, um zu fragen:
«Sie sprachen doch von einem Betrag?»
«Gerade darum geht es... Wir haben nicht mehr viel Zeit.
Die Sache ist also die: Sind Ihre Auftraggeber weiter bereit,
uns zu unterstützen? Welchen Betrag wollen Sie mir ver-
schaffen? Ich habe mindestens hundert Millionen Mark nö-
tig, um alles durchzusetzen und die Chance eines endgülti-
gen Sieges nicht entgleiten zu lassen. Was denken Sie dar-
über?»
Ich versuchte ihm deutlich zu machen, dass von einem derarti-
gen Betrag nicht die Rede sein könne, weil er erstens schon
fünfundzwanzig Millionen Dollar empfangen habe und
zweitens die Überweisung eines derartigen Betrages binnen
weniger Tage von New York nach Europa den Geldmarkt
erschüttern müsste. Davon verstand Hitler nichts, und er gab
es auch unumwunden zu:
«Von den verwickelten Bankangelegenheiten habe ich keine
Ahnung. Wenn Ihr in Amerika Geld habt, dann kann es
doch nach Deutschland gebracht werden, oder so. Mir
scheint das alles ziemlich einfach.»
Es war hoffnungslos, und ich hatte keine Lust, ihm Unter-
richt in der internationalen Finanzwissenschaft zu erteilen.
Ich schloss damit, ihm zu versprechen, Bericht an meine
Auftraggeber über unser Gespräch zu erstatten und dann
135
abzuwarten, was sie beschliessen würden.
«Sie telegrafieren doch, nicht wahr? Dann tun Sie es hier,
dann wird Ihr Telegramm schneller behandelt. Code? Wir
können Ihnen auch helfen, ich werde eben für Sie telefonie-
ren.»
Ich musste ihm erklären, dass ich mit Carter im Geheimcode
korrespondierte, und er fragte mich nach einer Erklärung
dafür. Ob denn niemand das Telegramm lesen könnte? Auch
die Direktion der Telegrafenbetriebe nicht?
Hitler war erstaunt und fand es nicht gut, dass Privatleute
miteinander telegrafieren konnten, ohne dass die staatlichen
Stellen der verschiedenen Länder ihre Berichte entziffern
konnten. Er bekannte rundheraus, noch nie davon gehört zu
haben.
Es ging auf halb fünf, als ich mein Hotelzimmer betrat, und
ich begann sofort mit dem Zusammenstellen meines Codete-
legramms an Carter.
Ausmisten, wählt Nationalsozialisten!
Es war irgendwie befremdlich, wenn man die deutschen
Blätter in diesen Tagen las. Es wurde mir allerdings erzählt,
dass noch kommunistische und sozialdemokratische Tag- und
Wochenblätter zu haben waren, aber die Hotelboys, die ich
danach aussandte, kamen stets mit den bekannten Berliner
Tageszeitungen zurück.
Ohne Ausnahme wurde der Brand im Reichstagsgebäude
als eine kommunistische Sabotage-Missetat abgestempelt.
Andere Stimmen, die es auch schon gegeben hat, habe ich nie
hören können. Später, in Amerika und anderswo, habe ich
andere Erklärungen gelesen.
Aber wenn es wahr ist, dass die Hitlerpartei beim Brand die
Hand mit im Spiel gehabt hat, dann ist Hitler der geschickte-
ste Schauspieler, den ich in den fünf Weltteilen kenne. Göring
und Goebbels stehen ihm nur wenig nach. Seine Empörung,
seine Raserei über diesen Brand waren so echt — oder ausser-
gewöhnlich geschickt geheuchelt -, dass ich jetzt noch, nur
136
beim Gedanken an die Unterhaltung, wieder den Eindruck
seiner wilden Gefühlsausbrüche empfinde.
Einiges Merkwürdige bemerkte ich in diesen Tagen in Berlin.
An Strassenecken und auf Plätzen sah ich häufig zehn, zwan-
zig braun Uniformierte mit Hakenkreuzen im Kreise aufge-
stellt. Eine Viertelstunde lang riefen sie laut: «Ausmisten,
wählt Nationalsozialisten!» Dann gingen sie weiter, stellten
sich wieder auf und riefen: «Das allerneuste Judenei — das ist
die daitsche Staatsparteil»
Gegen Mittag sah ich bei einem Blick aus meinem Hotelfen-
ster wohl vierzig braune Uniformen im Kreise stehen. Eine
halbe Stunde schrien sie in bestimmtem Rhythmus: «Prolet,
erwache! Wenn du die Freiheit der deutschen Arbeit erkämp-
fen willst, dann wehr dich, wehr dich, Arbeiter der Stirn und
der Faust! Nur Liste neun!»
Ich musste stets an Hitler denken, wenn ich die Leute sah. In
Berlin nannten sie diese Propaganda «Sprechchöre».
Alles Hitler. Kurze Sätze. Immer nur sprechen, schreien,
rufen ohne Gegenrede von anderen. Der andere kann nicht
einmal zu Wort kommen. Wohl eine neue Art Propaganda.
Bei uns haben wir auch schon manches Neue auf dem Gebiet
der Wahlpropaganda erfunden, aber etwas so Suggestives,
etwas, was auf die Masse so nachdrücklich einwirkt, hatte ich
noch nirgends gesehen. Und die erste Partei, die damit
beginnt, ist natürlich Herr der Strasse, denn wenn eine andere
Partei in der Nachbarschaft auch Sprechchöre hält, dann
läuft dies auf Streit und Rauferei hinaus. Das kann gar nicht
anders sein.
Für Hitler noch einmal sieben Millionen Dollar
Der Rhythmus und das stete Wiederholen derselben Wörter
peitscht die Sprecher auf zu einer Art Ekstase, und in der
Ekstase sind sie zu allem imstande. Ich habe welche von den
braunen Leuten gesehen, die über die Köpfe der Menge
hinüber sahen, als ob sie eine bessere Welt sehen könnten, und
137
Adolf Hitler kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945: «Trotz aller
Schwere der Zeit bin ich davon überzeugt, dass wir bei diesem Kampf
den Sieg erringen werden.»
in deren schönem Anblick schwelgten. Die Ekstase war deut-
lich von ihren Gesichtern zu lesen. Kann ein Mensch in Ekstase
noch logisch denken? Die Psychologen haben das Wort.
Gestern las ich in irgendeiner Dissertation, dass Faschismus
und Nationalsozialismus eine Krankheit seien, eine Seelen-
krankheit vielleicht.
Aber ich fahre fort. Carter drahtete mir, dass höchstens sieben
Millionen Dollar überwiesen werden könnten, das heisst, fünf
Millionen Dollar würden aus New York nach Europa auf die
zu bestimmenden Banken überwiesen werden, und zwei Mil-
lionen Dollar würden in Deutschland durch die Rhenania
Aktien-Gescllischaft an mich selbst gerichtet werden. Die Rhena-
nia ist die deutsche Filiale der Royal Dutch in Düsseldorf.
138
Ich schrieb die Antwort an Hitler und wartete. Am folgenden
Tag, schon früh am Morgen, wurde Goebbels bei mir ange-
meldet. Er brachte mich zur Fasanenstrasse.
Hitler empfing mich im selben Zimmer. Göring war bei ihm.
Das Gespräch war ganz kurz, beinahe schroff. Ich bekam den
Eindruck, dass die drei Männer mit der Regelung nicht
zufrieden waren und sich Gewalt antun mussten, um gegen
mich nicht ausfallend zu werden. Alles lief aber schnell,
Hitler bat mich, die fünf Millionen Dollar wieder auf die
Banca Italiana in Rom überschreiben zu lassen, Göring sollte
mir auf der Reise Gesellschaft leisten.
Die zwei Millionen aus Düsseldorf mussten in deutschem
Geld in fünfzehn gleichwertige Schecks, alle auf Goebbels’ Na-
men, ausgeschrieben werden. Damit war die Unterhaltung be-
endet. Ich ging.
Bis zum letzten habe ich meinen Auftrag gewissenhaft ausge-
führt. Hitler ist Diktator des grössten Landes Europas. Die
Welt hat ihn jetzt schon einige Monate lang am Werk gesehen.
Meine Meinung über ihn hat nun keine Bedeutung mehr. Seine
Taten werden beweisen, ob er der Narr ist, für den ich ihn halte.
Für das deutsche Volk hoffe ich von Herzen, dass ich mich irre.
Die Welt leidet und seufzt weiter unter dem System, das sich
eines Hitler bedienen muss, um bestehen zu bleiben.
Arme Welt, arme Menschheit!
139
IH. Rudolf Sand:
Kannte Brüning Hitlers Geldgeber?
Wie steht es mit Hitlers Geldgebern? Diese Frage hat viele
nachdenkliche Menschen seit Jahrzehnten und länger
beschäftigt und ist recht eigentlich und dankenswerterweise
nie zur Ruhe gekommen. Hat Hitler über holländische und
italienische Banken vor und nach der Machtergreifung des
Jahres 1933 erhebliche, in viele Millionen gehende Geldbe-
träge erhalten und - das ist das Wesentliche — von welcher
Seite oder auch von selchen Seiten?
Wieder und wieder gab es Anlass zu den gewagtesten, aber
auch zu durchaus substanziierten Vermutungen, als Reichs-
kanzler Brüning, damals meines Wissens nach Professor an
der Kölner Universität, seinen berühmten Brief an den Her-
ausgeber der «Deutschen Rundschau» Dr. Rudolf Pechel (Heft
7/Juli 1947) schrieb, der der Vollständigkeit halber wiederholt
sei:
«Ich habe niemals öffentlich darüber gesprochen»
«Andere wollten eine Regierung bilden, die die Nazis ein-
schliessen sollte. Die letztere Gruppe hatte unter ihren Mit-
gliedern eine Anzahl von Bankiers, die einen besonderen,
indirekten Druck auf den Präsidenten (von Hindenburg)
ausübten. Zum mindestens einer von ihnen hatte, wie man
wusste, seit Oktober 1928 grosszügig die Fonds der Nazis und
die Parteien der Nationalisten mit Geld unterstützt. Er starb,
kurz nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren. Das
Finanzieren der Nazipartei, teilweise von Menschen, von
denen man es am wenigsten erwartet hätte, dass sie sie
140
unterstützen würden, ist ein Kapitel für sich. Ich habe nie-
mals öffentlich darüber gesprochen, aber im Interesse
Deutschlands könnte es notwendig werden, es zu tun und auf-
zudecken, wie dieselben Bankiers im Herbst 1931 den ameri-
kanischen Botschafter Sackett gegen meine Regierung zu-
gunsten der Nazipartei zu beeinflussen versuchten.»
In einem Nachsatz zu diesem Brief sagte Brüning:
«Einer der Hauptfaktoren bei Hitlers Aufstieg, den ich nur im
Vorübergehen erwähnt habe, war die Tatsache, dass er grosse
Geldsummen von fremden Ländern 1923 und später empfing,
und gut für die Sabotage des passiven Widerstandes im
Ruhrgebiet bezahlt wurde. In späteren Jahren wurde er
bezahlt, um Unruhen hervorzurufen und revolutionäre Ten-
denzen in Deutschland zu ermutigen, von Männern, die sich
einbildeten, dass dies Deutschland schwächen könnte und das
Bestehenbleiben irgendeiner verfassungsmässigen zentralen
Regierung unmöglich machen würde. Diejenigen, die so lan-
‚ge versucht haben, diese Tatsachen zu unterdrücken, täuschen
sich, wenn sie glauben, dass sie dies auf die Dauer tun kön-
nen.»
Es sind vielverschlungene Pfade
Zwar sind diese Schreiben Brünings nicht ohne Substanz,
aber man kann sie andererseits wiederum als recht orakelhaft
bezeichnen. Warum schenkt er nicht klaren Wein ein? Wen,
so muss man fragen, wollte er schonen? Jedenfalls, wenn er
schon von «aufdecken» spricht, hat er es nicht mit Friedrich
Schillers Worten in dessen «Demetrius» gehalten:
«Zerreissen will ich das Geweb’ der Arglist, Aufdecken will
ich alles, was ich weiss!»
Oder soll man, damit selbst in einer so ernsten Angelegenheit
der Humor zu seinem Recht kommt, mit Wilhelm Busch sa-
gen:
«Den einen Teil versteht man,
Den andern niemand verstehen kann?»
141
Es sind vielverschlungene Pfade, die Brüning hier andeutend
aufzeigt. Sie geben Raum für allerlei Vermutungen. Was
hinderte Brüning daran, mit einfachen, schlichten, aber den
Nagel auf den Kopf treffenden Worten der Wahrheit die
Ehre zu geben? Gewiss sagt er keine Unwahrheit, durchaus
nicht, aber er hätte dem deutschen Volk in seiner tiefen Not
entscheidend und in die Zukunft weisend nützen und helfen
können, wenn er die Geldgeber klar beim Namen nannte.
Trondheim gibt in seinem Aufsatz Hinweise auf die Wider-
stände, die dem entgegengestanden haben können.
So jedenfalls war die Lage, als der Verfasser am 25. Februar
1953 Gelegenheit nahm, einem Vortrag Brünings beizuwoh-
nen, den er an diesem Tag im Schwurgerichtssaal des Bonner
Landgerichts vor den Richtern des Bonner Landgerichtsbe-
zirks und geladenen Gästen hielt. Sein Thema lautete «Die
politischen und verfassungsrechtlichen Auswirkungen der
Weltkrise 1928 bis 1934». Der Vortrag bot leider gar nichts
über die Geldgeber Hitlers. Darum legte ich Wert darauf,
Brüning selber zu sprechen, und dazu bot sich Gelegenheit bei
einem anschliessenden Empfang in den Amtsräumen des
Landgerichtspräsidenten. Brüning sass freundlich lächelnd an
einem runden Tisch, ich wurde ihm vorgestellt. Sofort ging
ich auf mein Ziel los und fragte ihn unter Bezugnahme auf
obige Veröffentlichungen in der «Deutschen Rundschau», die
ihm naturgemäss bekannt waren, rundheraus nach den Geld-
gebern Hitlers. Brüning überlegte eine Weile und antwortete
mit den folgenden Worten, für deren genauen Wortlaut ich
mich verbürge: «Man darf die Fährten nicht verwischen!»
Damit war das Gespräch beendet. Es war nicht zu erwarten,
dass der Reichskanzler weiteres verlautbaren würde, zumal
sich andere Gäste an den Tisch setzten.
142
Der Schleier über den Dingen
Ich habe gleichwohl umgehend unter dem 3. März 1953 an
Brüning geschrieben und ihn an seine mir gegenüber gemachte
Ausserung erinnert. Daran schloss ich folgende Sätze:
«Trotz dieser negativen Antwort möchte ich Sie, verehrter
Herr Reichskanzler, doch inständig bitten, mir nunmehr die
Antwort auf meine Frage durch nunmehrige Bekanntgabe
Ihres Wissens über diese Dinge nicht zu verweigern. Ich
meine, Ihre bisherige Erwiderung könnte ja geradezu dazu
beitragen, ‚die Fährten zu verwischen‘, und es ist meiner
Überzeugung nach eine unabweisbare Notwendigkeit, die
Öffentlichkeit schnellstens über die Geldquellen zu unter-
richten, die Hitler sein unheilvolles, politisches Wirken
ermöglichten, ja, zu seiner Machtergreifung wesentlich. bei-
getragen haben. Die politische Wirkung einer solchen aus der
allgemeinen Wahrheitspflicht entspringenden Veröffentli-
chung muss unter Umständen eine ungeheure sein. Sie kann
sich aber nur im guten Sinn für unser armes, so in den
Abgrund geschleudertes Volk auswirken. Darum bitte ich Sie,
Ihre Zurückhaltung in dieser Frage aufzugeben und meine
aus ernstem Wollen und sittlicher Verpflichtung heraus
gestellte Frage zu beantworten.»
Darauf antwortet mir Reichskanzler Brüning ebenso umge-
hend:
«Ich würde gern die an mich von Ihnen schon persönlich ge-
stellten Fragen ausführlich beantworten, wenn ich es für op-
portun hielte. Man muss auf die Zeit warten, wo von anderer
Seite, nicht von den ausgesprochenen Gegnern des National-
sozialismus, der Schleier von den Dingen, die Sie erwähnten,
gezogen wird. Nur dann hat es eine Wirkung. Ich kann Sie
versichern, dass viele an der Arbeit sind, auch im Ausland,
diese Funktion auszuüben.»
Unser deutsches Volk aber steht nun erschreckt vor der
Tatsache, dass Brüning sein Wissen ins Grab genommen hat.
Wenn dem so ist, dann wächst die Schuld des früheren
Reichskanzlers ins Unermessliche. Denn wir erfahren ja aus
143
den neuen Veröffentlichungen, dass die Memoiren Brünings
keinen oder nur einen überaus dürftigen Hinweis auf die
Geldgeber Hitlers enthalten.
Hier handelt es sich um den archimedischen Punkt, um ein
Kardinalproblem, das das Schicksal unseres Volkes weitge-
hend bestimmt hat. Der Streit um die Echtheit der Erinnerun-
gen wurde erwähnt. So liegt die Frage nahe; gibt es denn noch
weitere, bisher nicht veröffentlichte Aufzeichnungen Brü-
nings, die endlich Klarheit geben?
Wissen darüber etwa Frau Klare Nix, die Mitarbeiterin und
Assistentin Brünings, und der Herausgeber der Memoiren,
Professor und Prälat Dr. Theoderich Kampmann in Mün-
chen, oder der T’estamentvollstrecker Rechtsanwalt Eulerich
in Münster/ Westfalen Bescheid? Oder gibt es «Interessenten»,
die womöglich dafür gesorgt haben, dass entsprechende Auf-
klärungen und Schriftstücke vor dem Licht der Öffentlich-
keit bewahrt bleiben.
Es muss eine furchtbare Wahrheit sein
Immerhin bei näherem Zusehen ist die Äusserung Brünings
«Man darf die Fährten nicht verwischen» doch nicht so
negativ, als es auf den ersten Blick scheint. Wer verwischt die
Fährten und hat ein Interesse daran, so zu verfahren? Es sind,
wenn man es von der kriminellen Seite aus betrachtet,
Schwerverbrecher, die alles darauf anlegen, die Fährten ihrer
Untertaten zu verwischen und so eine Aufklärung zu verhin-
dern. Daher ist die Bemerkung Brünings, jene Fährten nicht
zu verwischen, sondern zu erhalten, nicht ohne Berechtigung,
damit die Wahrheit, die furchtbare Wahrheit, die das Antlitz
der Gorgo tragen wird, eines Tages doch offenbar wird.
Der Brief Brünings vom 5. März 1953 aber beweist, dass er in
der Lage war, die an ihn gestellten Fragen ausführlich zu
beantworten. Er wusste also viel, wenn nicht alles und hat es
nur nicht für «opportun» (welch blasser Ausdruck!) gehalten,
sein Wissen mitzuteilen. Weiterhin spricht Brüning davon,
144
dass eines Tages «der Schleier von den Dingen, die Sie erwäh-
nen, gezogen wird». Das ist doch recht vielsagend.
Hinter einem Schleier pflegen sich Geheimnisse zu verbergen,
die das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen haben. Und wer
sind «die vielen, die an der Arbeit sind, auch im Ausland diese Funk-
tion auszuüben», nämlich, «den Schleier von den Dingen zu ziehen».
Fragen über Fragen, die Beantwortung erheischen. Dass die
Bekanntgabe der vollen Wahrheit einen starken Mut, einen
leidenschaftlichen Wissensdrang, ein grosses Mass an Verant-
wortungsgefühl, einen unbestechlichen Wahrheitswillen be-
dingt, wer möchte daran zweifeln?
145
IV. Walter Nelz:
Was ist wahr im Fall Warburg?
Die Frage, welche Kreise und Kräfte es waren, die Hitler an
die Macht gebracht haben, ist auch heute noch, nicht nur
wegen der sogenannten Schuldfrage des deutschen Volkes,
sondern auch wegen der richtigen Erkenntnis der politischen
und geschichtlichen Realität unserer Zeit, von brennender
Aktualität. Die grossen geschichtlichen und politischen Ent-
scheidungen des 20. Jahrhunderts fallen grundsätzlich auf
höchster, das heisst internationaler Ebene. Auch die Erschei-
nung Hitlers ist nur zu verstehen, wenn man in ihm nicht nur
den Exponenten deutscher, sondern internationaler Mächte-
gruppen und Machtkonstellationen sieht. Hitler ist keine rein
deutsche, er ist eine internationale Erscheinung. Es ist mehr
als fraglich, ob Hitler innenpolitisch gesiegt hätte, wenn er in
der Zeit seines Aufstiegs ausschliesslich auf deutsche Unter-
stützung angewiesen gewesen wäre. Hitler genoss bedeutende
positive moralische, politische und materielle Unterstützung
von mächtigen westlichen Regierungs- und Finanzkreisen, in
deren internationaler Politik er die Rolle eines tauglichen
Werkzeugs spielte. Aber auch die Schwächen und Fehler
seiner Gegner, insbesondere Stalins, wirkten zu seinen Gun-
sten.
Die Frage der Finanzierung der Hitlerbewegung ist heute wie
vor fünfzig Jahren von grosser Bedeutung. Die grosse Frage
ist immer noch, ob es Hitler möglich gewesen wäre, nur ge-
stützt auf deutsche Finanzquellen, die Macht zu erobern, oder
ob dazu die ausländische Hilfe entscheidend war. Es ist klar:
Wenn mit einiger Begründung nachgewiesen werden könnte,
dass Hitler wesentlich durch ausländische Kräfte zur Macht
gebracht wurde, müsste die Einschätzung seiner Rolle und der
146
des deutschen Volkes in der Hitlerzeit wesentliche Modifika-
tionen erfahren.
Ein Buch erscheint, das nie erschienen ist
Dass Hitler grosse moralische, politische und materielle
Unterstützung zurzeit seines Aufstiegs aus dem westlichen
Ausland, das heisst aus Frankreich, Holland, England, USA
erhalten hat, ist unbestritten. Dass die ihm aus England und
den Vereinigten Staaten in den Jahren 1929 bis 1933 über
Wallstreet zugeflossene finanzielle Unterstützung für seine
Machteroberung entscheidend war, wird in dem Ende 1933
in Amsterdam gedruckten, aber nur teilweise ausgelieferten
Buch behauptet, dessen sehr interessanter Inhalt und dessen
nicht minder interessante Geschichte endlich die Zeitschrift
«Diagnosen» einer breiten Mitwelt bekannt gemacht hat.
Im November 1933 erschien im alten, angesehenen und
vornehmen Verlag Van Holkema & Warendorf, Kaiser-
gracht, Amsterdam, ein 99 Seiten starkes Büchlein. Der
Verfasser nennt sich Sidney Warburg. Der Titel lautet: «Die
Geldquellen des Nationalsozialismus; drei Gespräche mit
Hitler». Die Übersetzung aus dem Englischen ins Holländi-
sche besorgte J.G. Schoup. Die Existenz dieses Buches und
sein Druck Ende 1933 sind eine unbestrittene Tatsache.
Ebenso ist es eine Tatsache, dass der Text dieses Buches bis
heute durch eine Kette von Manipulationen der Offentlich-
keit nicht zur Kenntnis gekommen ist. Von diesem Buch
wurden 1933 nur einige wenige Exemplare ausgegeben. Die
Auslieferung der gesamten Auflage ist unterblieben. Indessen
genügten die wenigen ausgegebenen Exemplare, dass der Text
einigen Personen bekannt geworden ist, und dass er auf diese
Weise vor der völligen Vernichtung bewahrt werden konnte.
147
Bücher haben ihre Schicksale
Im November 1933 wurde das Erscheinen dieses Buches, das
sensationelle Enthüllungen enthalte, in der Presse verschiede-
ner Länder angezeigt. Unmittelbar darauf aber wurde mitge-
teilt, dass es sich um eine-Fälschung handle, weshalb sich der
Verlag entschlossen habe, das Buch zurückzuziehen, bezie-
hungsweise nicht auszuliefern und die Auflage zu vernichten.
Die ganze Angelegenheit wäre vielleicht in Vergessenheit
geraten, wären in der Folge nicht Stimmen laut geworden, die
auf die Existenz dieses Buches hinwiesen und seine Echtheit
behaupteten. Seither ist nicht die Existenz, wohl aber die
Echtheit dieses Buches umstritten. Es entwickelte sich ein
literarischer Streit, der in den vergangenen fünfzig Jahren
mehr und mehr an Bedeutung gewann und dessen entschei-
dende Auseinandersetzungen erst noch bevorstehen dürften,
weshalb es gerechtfertigt ist, an dieser Stelle auf den bisheri-
gen Verlauf des Disputes und seine gegenwärtige Phase hin-
zuweisen.
Die hohen Beziehungen des Amsterdamer Verlages Holkema
& Warendorf machen es verständlich dass einige Exemplare
des sensationellen Buches in die Hände von Diplomaten und
Finanzleuten gerieten. Auf diplomatischem Wege gelangte
ein Exemplar zur österreichischen Regierung, die nach der
Ermordung von Dollfuss im Sommer 1934 an Enthüllungen
über Hitlers Aufstieg interessiert war; aber aus begreiflichen
Gründen nicht mehr wagte, diese Enthüllungen im eigenen
Lande vorzunehmen.
Die österreichische Regierung, beziehungsweise ihr Geheim-
dienst, spielte das Büchlein dem Schweizer Ren& Sonderegger
in die Hände. Sonderegger gehörte zur nationalen Opposi-
tion, stand aber in scharfem Gegensatz zu den Nationalsozi-
alisten und betrieb antinazistische national-demokratische
Publizistik. Er liess in seinem Verlag zum Beispiel Otto Stras-
sers «Bartholomäusnacht» erscheinen.
Sonderegger bemächtigte sich der Warburg-Affäre und
berichtete darüber 1936 in einer Broschüre unter dem Titel
148
«Finanzielle Weltgeschichte; das Dritte Reich im Dienste der
internationalen Hochfinanz; Gemeinnutz geht vor Eigen-
nutz’»
Gleichzeitig berichtete Sonderegger diese Sache in Zeitschrif-
tenartikeln, die auch in der Zeitung Otto Strassers erschienen
sind. Die Veröffentlichungen Sondereggers, die einige Ver-
breitung fanden, wurden auf diese Weise zur eigentlichen
Quelle des Wissens über die Warburg-Broschüre. Sondereg-
ger hat nicht den Originaltext publiziert. Er hat darüber ledig-
lich ziemlich willkürlich referiert, mit einer starken antisemi-
tischen Tendenz.
Die Enthüllungen Sondereggers machten damals, im herauf-
ziehenden Sturm des Zweiten Weltkrieges, keinen starken
äusseren Eindruck. Sie wurden von anderen Sensationen
überschattet. Hinzu kam, dass die Sondereggerschen Ausfüh-
rungen wegen ihrer Distanz zum Original für ernsthafte Be-
obachter reichlich mysteriös klingen.
Nach dem Krieg war die Bereitschaft und das Interesse, in
erster Linie der deutschen Öffentlichkeit, an Warburgs
Erzählung aus verständlichen Gründen wesentlich stärker.
Damals wurde der Originaltext der Warburgbroschüre zum
ersten Mal ins Deutsche übersetzt. Der deutsche Text wurde
in der Schweizerischen Landesbibliothek in Bern und im
Schweizerischen Sozialarchiv in Zürich deponiert. Aus der
Kenntnis des Originaltextes wurde sofort klar, dass es sich
hier um eine bemerkenswerte Sache handelt, die gründlich
untersucht zu werden verdient.
Um die Wahrheit zu sichern
Sonderegger setzte daraufhin zu einer neuen Offensive an. In
seinem von ihm 1948 in der Schweiz unter dem Pseudonym
Severin Reinhard herausgegebenen Buch «Spanischer Som-
mer; die abendländische Wandlung zwischen Osten und
Westen» behandelt er den Fall Warburg ausführlicher als
1936, und er behauptet, gestützt auf verschiedene Zeugen-
149
aussagen, dass es sich beim Verfasser des holländischen
Buches um den bekannten New Yorker Bankier und Publi-
zisten James P. Warburg handle, der durch seine Bücher zur
deutschen Politik bekannt geworden ist. Gleichzeitig liess er
in verschiedenen deutschen Zeitungen gleichlautende
Berichte erscheinen, während ebenfalls zu dieser Zeit ein
anderer Schweizer, Werner Zimmermann, in seinem dem
deutschen Schicksal gewidmeten Buch «Liebet eure Feinde»
unter Benutzung von Sondereggers Material die Warburg-
sche Enthüllung kurz schilderte.
Diese publizistischen Aktionen riefen nun den anvisierten
James P. Warburg auf den Plan, der 1949 mit einer eides-
stattlichen Erklärung eine Reihe von Abwehrreaktionen ein-
leitete. James P. Warburg behauptete, die von Sonderegger
über seine Person in Umlauf gesetzten Behauptungen seien
falsch. Er entschloss sich 1949 in seinem Interesse zu folgen-
den Massnahmen: Erstens, diese ganze Angelegenheit zur
offiziellen Kenntnis der Regierungen der Schweiz und der
Vereinigten Staaten sowie der drei westlichen Hochkom-
missare in Deutschland zu bringen. Zweitens, eine eides-
stattliche Erklärung abzugeben, dass sowohl die wichtigsten
in der Sidney Warburg-Fälschung genannten Tatsachen so-
wie die Gleichsetzung von James P. Warburg mit dem nicht
existierenden Sidney Warburg falsch seien.
Warburg schliesst seine Erklärung mit diesem Satz:
«Wenn irgendeine weitere Auskunft gewünscht wird, die
ich zu geben vermag, werde ich mich glücklich schätzen,
mit genügend ausgewiesenen Gruppen oder Einzelnen, de-
ren Zweck es ist, die Wahrheit festzustellen und zu sichern,
zusammenzuarbeiten.»
Interessant ist Warburgs Mitteilung, dass er es war, derl933
den Verlag in Amsterdam zum Rückzug des Buches veran-
lasste, also hatte er bereits in jenem Zeitpunkt Kenntnis von
der Broschüre.
150
Papens Reinwaschung und Verhüllung
Der Zweite, der Warburg folgte, ist kein Geringerer als
Alt-Reichskanzler Franz von Papen, Hitlers Vorgänger im
Amt und Steigbügelhalter, der in seinen 1952 erschienenen
Erinnerungen unter Hinweis auf die erwähnte Erklärung von
James P. Warburg die demnach als «Fälschung» entlarvte
Warburg-Broschüre kühn dazu benutzt, sämtliche Behaup-
tungen über ausländische Finanzierungen Hitlers als Mär-
chen und Verleumdung abzutun. Von Papen publizierte
Warburgs Erklärung als Anhang zur englischen Ausgabe sei-
ner Erinnerungen. Es ist verständlich, dass von Papen an
geschichtlicher Reinwaschung und Verhüllung besonders
interessiert war.
Schliesslich meldete sich noch das Münchener Institut für
Zeitgeschichte (ehemals Institut für Erforschung der
Geschichte des Nationalsozialismus) zur Stelle. Im Oktober-
Heft 1954 der von ihm herausgegebenen «Vierteljahreshefte
für Zeitgeschichte» erschien ein Artikel von Hermann Lutz
«Fälschungen zur Auslandsfinanzierung Hitlers», der
bezweckt, die Warburg-Broschüre als primitive Fälschung
ohne jede Bedeutung abzutun. Es geschieht dies unter Hin-
weis auf Aussagen des Verlages Van Holkema & Warendorf,
des Sohnes des Übersetzers Schoup, sowie einiger in der
Broschüre erwähnter Personen und Institutionen, — vor al-
lem aber durch Erschütterung der Glaubwürdigkeit Rene
Sondereggers.
Lutz ist Deutscher und bearbeitet an der Hoover-Bibliothek
in Kalifornien die Frage der Auslandsfinanzierung Hitlers.
Lutz bestreitet diese Finanzierung angesichts der einwand-
freien Beweise keineswegs, aber er schränkt sie doch sehr
stark ein: «Wenn auch sicher im Ganzen beträchtlich und in
Einzelfällen sogar recht beträchtlich, auf gar keinen Fall ent-
scheidend für Hitlers Machtergreifung.»
151
Wo ist die Wahrheit
Es geht an dieser Stelle um nichts anderes als darum, in
diesem Streit die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit
festzustellen. Die berühmten Beispiele der Protokolle der
Weisen von Zion, des Reichstagsbrands und der Trotzkisten-
prozesse (der Anschuldigungen Stalins gegen Trotzki) bewei-
sen, wie verheerend Lügen, Fälschungen, ungenaue Informa-
tionen im politischen Leben zu wirken vermögen, wie wichtig
cs deshalb in solchen Fällen ist, sich über die Wahrheit zu
erkundigen.
Die Finanzierung Hitlers durch ausländische, nichtdeutsche,
besonders englische, amerikanische, französische, tschechi-
sche Kapitalisten ist eine Tatsache. Unbekannt ist der genaue
Umfang dieser Finanzierung. Ungewiss ist einstweilen auch,
ob Hitler stark genug gewesen wäre, die Macht zu erobern,
wenn er nur auf deutsche Gelder angewiesen gewesen wäre,
oder ob erst die ausländischen Gelder ihm zusätzlich zu den
deutschen jenes Übergewicht zu verschaffen vermochten, des-
sen er bedurfte.
Die Frage der Finanzierung Hitlers ist, besonders für das
gesamte deutsche Volk und insbesondere für die deutsche
Arbeiterbewegung, von höchster Bedeutung. Aus dem War-
burg-Bericht muss geschlossen werden, dass die ausländischen
Gelder fur Hitlers Machtergreifung entscheidend waren. Für
die Entscheidung dieser Frage könnte die Beantwortung der
Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Warburg-Broschüre ent-
scheidend sein, weshalb es nötig ist, sich mit der Beantwortung
dieser Frage eingehend zu befassen.
Grundlage der Beurteilung dieser Frage ist die genaue Kennt-
nis des Textes der Warburg-Broschüre. Diese Kenntnis ist die
erste Voraussetzung, um sich in dieser Sache überhaup ernst-
haft äussern zu können. Solange der Text der Warburg-Bro-
schüre nicht öffentlich bekannt ist, kann darüber überhaupt
keine ernsthafte Diskussion geführt werden. Es ist darum zu
begrüssen, dass nach rund fünfzig Jahren nun endlich einer
breiten Öffentlichkeit der Text dieser Broschüre bekannt wird.
152
Endlich eine offene Warburg-Diskussion
Was man heute darüber weiss, sind hauptsächlich die Auslas-
sungen und Behauptungen Sondereggers, die teils richtig,
teils falsch sein können. In gar keinem Fall geht es aber an,
anzunehmen, durch Erschütterung der Glaubwürdigkeit
Sondereggers sei auch ohne Weiteres die Glaubwürdigkeit der
Warburg-Broschüre erledigt; denn diese ist nun tatsächlich
keine Erfindung Sondereggers und von dessen Absichten
ganz unabhängig. Das Bild, das Sonderegger von der War-
burg-Broschüre entwirft, ist von vornherein einseitig und ver-
zerrt, weil bei ihm der Antisemitismus die Achse der Darstel-
lung bildet, was in der originalen Warburg-Broschüre nicht
der Fall ist.
Die bisher geführte Warburg-Diskussion wurde in eine Dis-
kussion über Sonderegger abgebogen, eine Art Verwirrungs-
manöver, das nicht geeignet ist, irgendetwas Wesentliches
über die Warburg-Broschüre auszusagen. Bei den folgenden
Ausführungen wird darum von den Kommentaren Sondereg-
gers grundsätzlich abgesehen und nur die Originaltexte sowie
die Argumente, die gegen dessen Echtheit von Seiten der
Herren Lutz, James P. Warburg und von Papen ins Feld ge-
führt werden, gewertet.
Folgende objektive Argumente und Indizien sprechen für die
Echtheit: Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass der Text der
Warburg-Broschüre im Herbst 1933, also verhältnismässig
kurze Zeit nach Hitlers Machtübernahme in gedruckter Form
feststand.
Am Text muss man unterscheiden die anhand der Weltpolitik
und der Geschichtstheorie zu beurteilende Gesamtkonzepti-
on, die grossen Linien und Gedanken einerseits, und die vie-
len darin erwähnten nachprüfbaren konkreten Einzelheiten
andererseits. Schon bei einem ersten flüchtigen Durchlesen
fällt einem einigermassen informierten Leser auf, dass manche
dieser Einzelheiten falsch sind, während andere stimmen.
Am Auffälligsten ist die unrichtige Behauptung, Hitler sei bei
seinem Eintritt in die Regierung am 30. Januar 1933 nicht
153
von Anfang an Reichskanzler gewesen. 1933 wusste in
Europa jedes grössere Kind, und folglich vielleicht auch die
vornehme Firma Van Holkema & Warendorf, dass Hitler von
Anfang an Reichskanzler war. Es ist undenkbar, dass ein
bewusster Fälscher, der sich im Übrigen durch manche Be-
merkungen als äusserst kluger Kopf erweist, sich derartige
Blössen gegeben hätte, allgemein bekannte und leicht nach-
prüfbare Tatsachen unrichtig wiederzugeben.
Der Verlag, der das Buch trotzdem druckte, ist ein alter,
angesehener Verlag, von dem nicht anzunehmen ist, dass er
auf irgendeinen Winkelliteraten und primitive Fälschungen
ohne Weiteres hereinfällt. Wenn er das Buch annahm, besass
er zureichende Unterlagen. Weshalb Lutz sich mit Recht
fragt, «warum nicht schon bei Durchsicht des Manuskriptes
(durch den Verlag) ernste Zweifel auftauchten».
Das seltsame Verhalten von James P. Warburg
Die hohen Beziehungen des Verlages und die Bedeutung, die
er dem Buch beimass, sind daran ersichtlich, in welche Hände
dasselbe gelangte. James P. Warburg will von seinem Erschei-
nen damals sofort durch einen Partner der Firma Warburg Sc
Co., Amsterdam, erfahren haben, worauf er, gemäss seiner
eidesstattlichen Erklärung, ohne selber je ein Exemplar dieses
Buches gesehen zu haben, durch seinen Amsterdamer Freund
oder Verwandten dem Verlag erklären liess, das Buch sei eine
Fälschung und ihn um Rückzug der bereits ausgelieferten
Exemplare und Vernichtung der Auflage ersuchen liess, wel-
cher Bitte der Verlag unverzüglich nachkam. Damit steht also
immerhin fest, dass James P. Warburg beim Erscheinen des
Buches davon Kenntnis hatte, sich mit ihm befasste und es,
ohne es gelesen zu haben - er teilt mit, er habe es nie in Hän-
den gehabt -, als Fälschung bezeichnete.
Nur wenige Exemplare blieben im Umlauf. Von diesen
gelangte eines zur Österreichischen Regierung, und von dort
zu Sonderegger. Eines besass Herr von Papen, und eines
154
befindet sich im Institut für soziale Geschichte in Amster-
dam. Weitere Exemplare sind zweifellos ausser diesen noch
erhalten.
Der Verlag hatte 1933 mit dem Übersetzer Schoup verhan-
delt. Am einfachsten wäre es damals gewesen, wenn sowohl
der Verlag als auch James P. Warburg den Übersetzer wegen
Fälschung und Verleumdung gerichtlich belangt hätten. Ein
einwandfreies gerichtliches Urteil hätte jede weitere Sorge
und Bemühung um die Warburg-Broschüre ein für allemal
überflüssig gemacht. Das ist aus unverständlichen oder erklär-
lichen Gründen unterblieben.
Der Verlag teilte 1946 auf Anfrage mit: «Ob Schoup noch lebt,
wissen wir nicht; verfolgt ist er leider nicht.»
Warum nicht? Im Gegenteil, der Verlag half noch mit, das
handschriftliche Originalmaterial, das vielleicht geeignet
gewesen wäre, Fälschung oder Echtheit einwandfrei zu
beweisen, zu vernichten. Lutz schreibt:
«Das Original (das englisch geschriebene Originalma-
nuskript) sollte nach Drucklegung der Übersetzung (ver-
traglich vereinbart) vernichtet werden. Schoup überliess
dem Verlag den gesamten Schriftwechsel (mit Warburg),
der nach der deutschen Besetzung Hollands im Zweiten
Weltkrieg nebst allem, was mit der Schrift zusammenhing,
auf deutsches Verlangen hin vernichtet wurde.»
Ist das nicht aufschlussreich? Das Unterlassen der Anklage
und die Vernichtung des Beweismaterials ist in diesem Fall,
wo bereits unmittelbar nach der Drucklegung der Broschüre
die Fälschung erklärt wurde, doch nur sinnvoll, wenn die
Sache echt ist. Wenn es sich aber um Fälschung handelt,
verhindert man durch diese Massnahme ja gerade die Aufde-
ckung der Fälschung. Diese Massnahmen liegen also gar nicht
im Interesse jener, die die Fälschung behaupten.
155
Ohne Anklage ermordet
Nach Lutz hat Schoup zugegeben, dass es einen Bankier
Sidney Warburg nicht gebe, «er habe sein Wissen um Hitlers
finanziellen Hintergrund unter dem Schleier einer Überset-
zung veröffentlicht». Dies ist keineswegs das Geständnis einer
Fälschung. Die literarische Form tut nichts zur Sache. Es
handelt sich ausschliesslich um das «Wissen um Hitlers finan-
ziellen Hintergrund», welches Wissen hier ja bestätigt wird.
Eine weitere wichtige Mitteilung macht Lutz in folgendem
Satz:
«Zum Abschluss der holländischen Seite der Sache sei vermerkt,
dass J.G. Schoup sein Unterfangen anscheinend mit dem Le-
ben bezahlen musste. Er wurde 1944 getötet.»
Schoup wurde nicht vor Gericht gestellt; aber er wurde, wie
Lutz vermutet, weil er wusste (also ist es keine Fälschung),
beseitigt. Es wäre wahrhaftig wertvoller, statt über Sonde-
reggers Erzählungen, über die Persönlichkeit, die Beziehun-
gen, das Schicksal, J. P. Schoups und die Entstehung des
Warburg-Manuskriptes ernsthafte Untersuchungen anzustel-
len. Ist Schoups Ermordung sicher? Der Verlag wusste 1946
nichts davon.
Zur Frage, warum der Verlag das Manuskript trotz auffälli-
ger Falschheiten zum Druck annahm, bemerkt Lutz: «Die
Ausschmückung mit vielen Einzelheiten erweckte den Ein-
druck tatsächlichen Geschehens. Auch hatte das Ganze eine
gewisse Grundlage.»
Hier sei nur betont, dass trotz der Mängel im Einzelnen die
Gesamtkonzeption durchaus einwandfrei und wissenschaft-
lich hoch interessant ist und zum Teil durch die nachfolgen-
den Ereignisse im Zweiten Weltkrieg eine grandiose Bestäti-
gung erfahren hat.
156
Voraussage des Stalin-Hitler-Paktes
Die von den englisch-amerikanischen Geldgebern von Hitler
nachdrücklich geforderte aussenpolitische Aktivität, insbe-
sondere gegen Frankreich, wurde durch die Entwicklung zum
Zweiten Weltkrieg bestätigt. Nur aussereuropäische Feinde
der notwendigen europäischen Einigung konnten an der
Vertiefung des deutsch-französischen Gegensatzes ein ent-
scheidendes Interesse haben.
Die von Hitler im Warburg-Bericht bereits 1931, als er noch
nicht an der Macht war, entworfene und im Herbst 1933
gedruckte aussenpolitische Perspektive wurde im Zweiten
Weltkrieg durch die Ereignisse glänzend bestätigt. Am er-
staunlichsten ist seine Vorhersage des deutsch-russischen
Zusammengehens, das 1939 für die Weltöffentlichkeit völlig
überraschend zustandekam und unmittelbar den Zweiten
Weltkrieg einleitete.
Hitler sagte gemäss Warburg-Bericht im Jahre 1931 folgen-
des:
«Wenn es mit Frankreich allein nicht geht, dann hole ich Russland
hinzu... Wenn ich Frankreich nicht klein bekomme, dann werden
mir die Sowjets dabei helfen.» So ist es 1939/40 geschehen.
Der Zeitpunkt von Hitlers Hilferuf an die amerikanischen
Bankiers im Herbst 1931 und der darauffolgenden zweiten
Reise Warburgs wird von Hallgarten in seiner Broschüre
«Hitler, Reichswehr und Industrie» bestätigt. Hallgarten
schreibt:
«Es wird berichtet, dass Hitler bei dem Harzburger Treffen im
Oktober 1931, als der Geldmangel seiner Bewegung ihn zwang,
bei einer öffentlichen Demonstration mit Hugenberg zusam-
menzuarbeiten, Zeichen hysterischer Wut zeigte und sich wie
ein Unzurechnungsfähiger benahm. Nicht lange, und er unter-
nahm Schritte, um aus dieser verzweifelten Situation heraus-
zubekommen.»
157
Ein Zeugnis von Goebbels
Köstlich ist auch das auffallende und originelle Zeugnis von
Goebbels, das wir gefunden haben. Auch wenn es nicht hun-
derprozentig sticht, hat es doch einen Indizienwert.
Der zeitliche Ablauf der dritten Reise Warburgs zu Hitler
lässt sich auf Grund seines tagebuchartigen Berichtes genau
rekonstruieren. Warburg muss spätestens am Samstag, dem
25. Februar 1933, in Berlin angekommen sein, denn er
schreibt: «Gestern wurde das Karl Liebknecht-Haus über-
rumpelt und vom Boden bis zum Keller durchsucht», was am
Freitag, dem 24. Februar, geschehen ist. Warburg ist unver-
züglich von New York nach Berlin abgefahren, nachdem
Carter einen Brief Hitlers empfangen hatte.
Wenn Warburg für die Reise mindestens eine Woche
gebraucht hat, so hat er einige Tage vor dem 20. Februar
New York verlassen, das heisst Hitler kann Carters Bestäti-
gung, dass Warburg kommen würde, bereits vor dem
20. Februar (dem Tag der Goebbelschen Eintragung) gekannt
haben. Warburg machte in Berlin über Sonntag private
Besuche und meldete am Montag, dem 27. Februar, Hitler
brieflich seine Ankunft. An diesem selben Abend brannte der
Reichstag.
Dienstag, den 28. Februar, mittags, sprachen Göring und
Goebbels bei Warburg vor. Goebbels ist erstmals bei diesen
Besprechungen zugegen und für Warburg eine neue Figur. In
der Nacht vom 28. Februar auf den 1. März wurde er noch-
mals von Hitler kurz empfangen zur Übergabe der Antwort.
Aus dieser selben Zeit besitzen wir auch ein Tagebuch von
Goebbels, das dieser 1934 unter dem Titel «Vom Kaiserhof
zur Reichskanzlei» veröffentlicht hat. Es wäre nicht zu ver-
wundern, wenn gerade Goebbels nicht dichthalten würde,
umso weniger als für ihn die Begegnung mit Warburg neu
war.
Am 30. Januar wird Hitler Reichskanzler. Der Reichstag
wird aufgelöst, Neuwahlen auf den 5. März ausgeschrieben
und die Leitung des Wahlkampfes an Goebbels übertragen.
158
Am 31. Januar notiert er in sein Tagebuch: «Der bolschewisti-
sche Revolutionsversuch muss zuerst einmal aufflammen. Im
geeigneten Moment werden wir dann zuschlagen.» Der
Reichstagsbrand soll bekanntlich Goebbels Idee gewesen sein.
Am. Februar heisst es: «Wir werden noch einen sehr intensi-
ven Kampf führen müssen. Auch ist die Lage im Lande noch
nicht so eindeutig, dass man von einer absoluten Befestigung
unserer Position reden kann.»
Am 9. Februar: «Vorläufig haben wir noch einige Sorgen für
die Finanzierung der Kampagne: aber auch da wird sich ja
wohl ein Ausweg finden lassen.»
Am 13.Februar: «Jetzt ist auch unsere Wahlkasse in Ord-
nung.»
Am 15. Februar: «Unser Eherverlag schiesst uns eine hohe
Geldsumme für den Wahlkampf vor.»
Und am 20. Februar folgt dieser Eintrag: «Wir treiben (nicht
«trieben» ) für die Wahl eine ganz grosse Summe auf, die uns
mit einem Schlag aller Geldsorgen enthebt.»
Goebbels konnte nicht schweigen
Diese Eintragung kann die Reaktion von Goebbels auf die
Mitteilung von der bevorstehenden Ankunft Warburgs
gewesen sein. Auf alle Fälle muss dieses Zeugnis berücksich-
tigt werden. Ebenso wie er inbezug auf den Reichstagsbrand
das Geheimnis unvorsichtigerweise gelüftet hat, konnte er
auch inbezug auf den Warburg-Besuch nicht völlig schwei-
gen. Ausserdem bestätigt er, wie wichtig die von Warburg
übermittelte Summe in diesem entscheidenden Augenblick
für die noch nicht abgeschlossene völlige Machtgewinnung
der Nazis gewesen ist. Die beiden Tagebücher von Goebbels
und Warburg passen sehr gut zusammen.
Das Zeugnis von Goebbels kann sich allerdings auch auf ein
anderes von Hallgarten erwähntes Ereignis beziehen. Am
20. Februar 1933 hatte Hitler ein berühmtes Treffen mit den
159
prominentesten deutschen Industriellen in Berlin, denen er
seine Absicht erklärte. Hallgarten schreibt: «Nachdem er
gegangen war, schlug Dr. Schacht der Versammlung vor,
einen Wahlfond von drei Millionen Reichsmark aufzubrin-
gen. Das Geld wurde gespendet.» (Nach einer Darstellung
Funks vom 28. Juni 1945 belief sich der Gesamtbetrag der
Spenden auf 7 Millionen Reichsmark.)
Die Erklärung von Warburg
Und nun zur Erklärung von James P. Warburg von 1949.
Dieser schreibt unter anderem:
«Der ursprüngliche Zweck der Fälschung ist auch heute noch
einigermassen dunkel. Ihr augenfälliger Antisemitismus lässt
sie als Teil des damals von Berlin ausgehenden antisemiti-
schen Propagandastroms erscheinen. Andererseits lässt es der
unterschobene Beweis, dass Hitler seine wichtigste Unterstüt-
zung amerikanischen Juden verdanke als zweifelhaft erschei-
nen, dass diese Fälschung das Produkt des Propaganda-
Apparats der Nazis sein sollte, trotzdem Beispiele von solcher
Doppelzüngigkeit in der Geschichte der Nazipropaganda nicht
ungewöhnlich sind.»
Der Warburg-Bericht erhält keine ausgesprochene oder auch
nur augenfällig antisemitische Tendenz. Es wird in ihm mit__
keinem Wort behauptet, das Hitler übergebene Geld stamme
von amerikanischen Juden. Das ist eine Missdeutung Sonde-
reggers. Das Geld stammte aus nichtjüdischen Kreisen, den
Gruppen um Morgan und Rockefeller, den Federal Reserve
Banken, der Bank von England und Royal Dutch. Warburg
fungierte lediglich als reisender Bote und Überbringer, weil er-
sieh wegen seiner deutschen Abstammung und seiner deut-
schen Beziehungen für diese Rolle besonders gut eignete.
Dass im Übrigen reiche deutsche und westliche Juden Hitler
moralisch und materiell unterstützt haben, solange sie glaub-
ten, sein Antisemitismus richte sich nur gegen die auch ihnen
unangenehmen Ostjuden, ist eine erhärtete Tatsache.
160
Ein interessanter Stil-Vergleich
Interessant ist ferner, dass die Warburg-Erklärung von 1949
einige stilistische Merkmale aufweist, die auch im Warburg-
Bericht von 1933 auffallend wirken. Zunächst einmal die
unexakte Wiedergabe von Namen. In der Erklärung von
1949 schreibt Warburg den Namen Reinhard unexakt als
Reinhardt. Ferner die exakte und falsche Wiedergabe sowohl
von Tatsachen als auch der chronologischen Folge von Ereig-
nissen.
Im Bericht über seine dritte Reise zu Hitler will Warburg zum
Beispiel die Schilderung der Breslauer Wahlkundgebung der
Nazis vom 1.März 1933 in der Eisenbahn auf dem Weg nach
Berlin, also spätestens am 25. Februar in der Zeitung gelesen
haben. In Wirklichkeit kann er sie nur während seiner Abreise
von Berlin, das heisst erst nach dem 1.März gelesen haben.
Am 2. März ist er frühestens von Berlin weggefahren.
In der Erklärung von 1949 berichtet er, die Warburg-Bro-
schüre sei Sonderegger «wahrscheinlich 1947» von der öster-
reichischen Regierung übergeben worden. Und er fügt hinzu:
«Die Wahl fiel auf Sonderegger, weil er als ehemaliger Anhä-
nger von Hitler nach der blutigen Reinigung Gregor Strasser
folgte und ebenfalls mit Hitler brach, weil er zu Strassers
Buch ein Vorwort geschrieben hatte, und weil er 1936 in der
Schweiz eine kurze Wiedergabe der Sidney Warburg-Erzäh-
Jung unter dem Titel ‚Finanzielle Weltgeschichte‘ publiziert
hat.»
Dieser Satz strotzt geradezu von Ungenauigkeiten und Ver-
wechslungen. Sonderegger war vor 1939 nie Anhänger Hit-
lers, sondern stand in Opposition zu den Nazis, weshalb er
zur oppositionellen Strasser-Gruppe in Verbindung treten
konnte. Gregor Strasser wurde im Röhmputsch 1934 liqui-
diert. Sondereggers Vorwort befindet sich in Otto Strassers
Buch «Die deutsche Bartholomäusnacht». Die kurze Wieder-
gabe der Warburg-Erzählung schrieb Sonderegger auf Grund
der ihm von der österreichischen Regierung übergebenen
Warburg-Broschüre. Vorher wusste er ja noch nichts davon.
161
Diese Übergabe musste also vor der 1936 erfolgten Veröf-
fentlichung der «Finanziellen Weltgeschichte» erfolgt sein.
Gerade die auffälligen Irrtümer und Oberflächlichkeiten
sprechen viel eher für die Echtheit als für die Fälschung. Ein
amerikanischer Grossbankier, Angehöriger des Ringes der
Herren der Welt, der zudem in innereuropäischen Angelegen-
heiten nicht allzusehr bewandert ist, wendet und dreht nicht
jedes Wort siebzehnmal hin und her, bis er es hinsetzt, wie ein
deutscher Professor. Er schreibt frisch von der Leber weg, frei
nach seiner Erinnerung, unbekümmert um grössere oder
geringere Genauigkeit in nebensächlichen Dingen. Wenn nur
die Hauptsache scharf und klar zum Ausdruck kommt. Und
das kann man nicht bestreiten.
In seinem Ergebnis überraschend ist ein stilistischer Vergleich
zwischen der echten und unechten Erklärung von James P.
Warburg. Er könnte dafür sprechen, dass er tatsächlich der
Verfasser, beziehungsweise der Lieferant der Unterlagen für
die Broschüre von 1933 sein könnte.
Warum wurde nicht gerichtlich geklagt?
Auch Warburgs Stellung zur Frage der Abwehr berührt
eigenartig. Das einfachste wäre im gegebenen Moment der
gerichtliche Prozess gewesen, auch gegenüber Sonderegger.
Warburg aber bemüht sich in seiner echten Erklärung gera-
dezu mit rührender Sorgfalt um die Begründung des Ver-
zichts auf die Klage.
Warburg in seiner Erklärung wörtlich: «Da (1933) erwiesen
war, dass der Verleger in gutem Glauben gehandelt hatte,
schien zu jener Zeit keine weitergehende Aktion angebracht,
trotzdem das Buch eine Menge ehrenrühriger Behauptungen
gegen mehrere Mitglieder meiner Familie und gegen eine
Anzahl prominenter Banken und Persönlichkeiten in New
York enthielt.»
Weiter heisst es: «Man könnte natürlich gegen Sonderegger
(alias Reinhardt), den Aehrenverlag (in dem 1948 Sondereg-
162
gers ‚Spanischer Sommer‘ erschien, der Warburgs Erklärung
von 1949 provozierte), gegen Zimmermann, den Fankhauser
Verlag (der Werner Zimmermanns ‚Liebet eure Feinde‘ her-
ausgab), und vielleicht andere, einschliesslich den Resoverlag,
gerichtliche Klage erheben. Ich bin mit den schweizerischen
Gesetzen nicht vertraut; aber ich kann mir denken, dass es
nicht zu schwierig wäre, eine solche Klage zu gewinnen. Dies
würde indessen grosse Kosten mit geringer Hoffnung auf
Schadenersatz, und — was schlimmer ist — einen grossen
Aufwand an Zeit und Kraft erfordern. Viel wichtiger indes-
sen als diese Gründe ist die Tatsache - die in Sondereggers (an
Warburg gerichteten) Briefen klar zum Ausdruck kommt -,
dass er eine gerichtliche Abklärung im Interesse der Publizität,
die er durch sie erhielte, nur begrüsste. Beurteilt auf Grund
seiner eher bescheidenen Forderung von 3‘000 Dollar -
bescheiden für einen Erpressungsversuch — würde er sich
durch die Gewissheit, den Prozess zu verlieren und Schadener-
satz bezahlen zu müssen, nicht abschrecken lassen. Dies mag
indessen für die eingeschlossenen schweizerischen Verlagsfir-
men nicht stimmen. Die Frage der gerichtlichen Aktion sollte
weiterhin studiert werden, aber sie bildet nicht die einzige Me-
thode des Vorgehens.»
Warburg entschloss sich 1949 zu den bereits erwähnten
Massnahmen der Mobilisierung der Regierungen der USA
und der Schweiz sowie der drei westlichen Hochkommissare
in Deutschland, und zur eidesstattlichen Erklärung.
Ist das nicht fabelhaft? James P. Warburg wirft Ren& Sonde-
regger Verleumdung und sogar Erpressung vor; aber er
weigert sich hartnäckig, ein Gericht anzurufen, — um Herrn
Sonderegger nicht zu einem Publizitätserfolg zu verhelfen.
Gleichzeitig bemüht er sich durch das Mittel der Regierun-
gen zu verhindern, dass das Warburg-Geheimnis weiterhin in
der Öffentlichkeit besprochen werden kann. Hauptsache ist
ihm, dass über diese Sache geschwiegen wird, und dass sie
nicht zu allgemeiner Kenntnis gelangt. Tatsächlich ist sie
bereits bekannt genug, um nicht mehr vergessen zu werden.
In dieser Lage ist das einzige Mittel der Abwehr der einwand-
163
freie, objektive Nachweis der Fälschung. In diesem Zusam-
menhang sollte an Trotzkis Kampf gegen Stalins Verleum-
dungen erinnert werden. Trotzki bemühte sich hartnäckig
um die Herbeiführung einer objektiven Untersuchung, die
seine Unschuld und die verleumderische Absicht der Stalin-
schen Anklagen feststellt.
Untersuchungen im Interesse der Wahrheit
Nach der Lektüre des Artikels von Lutz und der in von
Papens Buch abgedruckten Erklärung James P. Warburgs,
liegt die Überzeugung nahe, dass die Warburg-Broschüre von
1933 einen wahren Kern enthält, dass sie von Bedeutung ist,
und dass es infolgedessen notwendig ist, im Interesse der
Wahrheit diese Frage zu untersuchen und zu lösen, auch
wenn es sich um keine leichte Aufgabe handelt.
Die Finanzierung Hitlers vollzog sich von vornherein im
Dunkeln. Dokumentarische Belege sind nicht vorhanden,
und diejenigen, die an diesen Transaktionen beteiligt waren,
werden sich heute hüten, sofern sie noch am Leben sind,
etwas zuzugeben, was man ihnen nicht einwandfrei beweisen
kann. Ihre Aussagen sind grundsätzlich ebenso zu behandeln
wie Aussagen von Angeklagten vor dem Untersuchungsrich-
ter, das heisst sie müssen anhand von objektiven Beweisen auf
ihre Gültigkeit geprüft werden.
Wie sehr die Hauptverantwortlichen von Hitlers Emporkom-
men heute daran interessiert sind, die wirklichen Vorgänge in
ihr Gegenteil zu verdrehen, geht nicht nur aus von Papens
«Erinnerungen», sondern auch aus folgenden Worten Hall-
gartens hervor:
«Die Auffassung der marxistischen und sonstiger Linkskrei-
se, die den Führer als einen der hervorragendsten Verfechter
des deutschen Monopolkapitalismus betrachten, ist nicht nur
von Hitlers Anhängern, sondern in noch stärkerem Grade
von den Sprechern und anwaltschaftlichen Vertretern der
deutschen industriellen Kreise als solcher bestritten worden,
164
die die Verantwortung für die verheerenden Vorgänge jener
Zeit ablehnten. Dr. Hjalmar Schacht behauptet, er habe
niemals irgendwelche Berührung zwischen Hitler und den
Industriellen bemerken können. Die Verteidiger in dem
Nürnberger Prozess gegen Friedrich Flick und dessen Mitan-
geklagte suchten zu beweisen, dass die Grossunternehmer weit
entfernt waren, die Nazis herbeizuwünschen, vielmehr gegen
deren schlimme Taten Schutz suchten.
Flicks Verteidiger Rudolf Dix, einer der Hauptverfechter
dieser Ansicht, erklärte, dass die ‚Massen‘ — das heisst haupt-
sächlich die Arbeiter — Hitler gewählt hätten, während die
Schwerindustrie ihn abgelehnt habe, und dass dem Führer
kein finanzieller Beistand seitens des Grosskapitals zuteil
geworden sei, ein paar Aussenseiter ausgenommen.»
Wahrscheinlich hat Hitler das Geld für den Ausbau seiner
Privatarmee von den Arbeitslosen erhalten...
Der Wahrheit eine Gasse
Gerade wegen der Schlüsselposition, die der Warburg-Bericht
in diesem Fragenkomplex einnimmt, ist es nötig, ihn bekannt
zu machen und auf seinen wahren Gehalt zu untersuchen,
nachdem sich mehr und mehr herausstellt, dass er wahr-
scheinlich eine Mischung von Dichtung und Wahrheit, von
Irrtümern und Richtigkeiten darstellt. Mag er eine Mystifi-
kation sein, dann ist er eine Mystifikation der in ihm nieder-
gelegten Wahrheit, und es kommt also darauf an, die Wahr-
heit aus der Mystifikation herauszulösen.
Es ist möglich, dass echte Unterlagen von Schoup in die
literarische Form einer übersetzten Beichte verarbeitet wur-
den. Es ist möglich, dass es sich nicht um James P. Warburg,
sondern um einen andern handelt. Es ist möglich, dass be-
wusst einige falsche Personen und Ereignisse genannt wur-
den, um jederzeit den Ausweg der Flucht in die «Fälschung»
mit einigem Schein von Recht benützen zu können. Die Frage
der Autorenschaft ist untergeordnet. Es geht um den Inhalt.
165
Der Nachweis der Fälschung und Falschheit des Ganzen ist
bisher in keiner Weise gelungen. Es ist vielmehr im höchsten
Grade wahrscheinlich, das heisst so gut wie sicher, dass der
Warburg-Bericht nicht reine und primitive Fälschung ist, wie
behauptet wird; sonst wäre es wohl kaum nötig, hohe Regie-
rungen zu mobilisieren und auf ihn aufmerksam zu machen.
Statt ihn unberührt links liegen zu lassen, kommt es nun erst
recht darauf an, ihn ins Zentrum zu stellen und allgemein
bekannt zu machen.
Wenn Herr Lutz daraufhin tendieren sollte, die amerikani-
schen Kapitalisten von der Finanzierung Hitlers freizuspre-
chen, die englischen aber damit zu belasten, dann möge er
sich doch bitte nur einmal mit dem Verhältnis Fords und des
unter seinem Namen herausgegebenen Buches «Der interna-
tionale Jude» zu den Nazis und zu Hitler befassen. Er wird
dann über die Rolle der grossen amerikanischen Geschäfts-
leute, über die auch in den berühmten Erinnerungen des ame-
rikanischen Botschafters Dodd einiges nachgelesen werden
kann, sehr rasch eines Bessern belehrt werden.
Über Herrn von Papen erübrigt es sich, viel zu berichten. Als
prominenter Steigbügelhalter Hitlers und Angeklagter im
Nürnberger Prozess steht er noch in lebhafter Erinnerung.
Sein Versuch, die Frage der ausländischen Finanzierung Hit-
lers gestützt auf Warburgs Erklärung als belanglos und
Märchen abzutun, wird bereits vom Herausgeber der «Vier-
teljahrshefte für Zeitgeschichte», energisch zurückgewiesen.
Wohl nicht umsonst ist der Titel der deutschen Ausgabe
seiner Erinnerungen «Der Wahrheit eine Gasse» in die vielsa-
gende Replik «Die Wahrheit in die Gosse abgewandelt wor-
den.
166
Diagnosen
Das zeitkritische Magazin
Sie sollten wissen,
was hinter den Kulissen gespielt wird
Es gibt eine internationale Gruppe, die an die «Neuerschaf-
fung der Welt» glaubt. Sie haben darum die Französische
Revolution, die russische Revolution, den Ersten Weltkrieg
und den Zweiten Weltkrieg finanziert, sie haben Hitler mit 120
Millionen Reichsmark an die Macht geholfen, und sie wollen
die ganze Welt unter ihre Herrschaft bringen. Zu ihnen gehö-
ren die Rockefellers und ihre Genossen. Ihr Ziel ist einzig und
allein die uneingeschränkte Beherrschung der Welt durch den
Mammon.
Darüber sollten Sie eigentlich aktuell informiert sein. Auch
Mitglieder der deutschen Bundesregierung und der Parteien
gehören zu diesen Kreisen, die von Rockefeller weltweit
gesteuert werden. Es gibt viele Namen für diese Rockefeller-
Bestrebungen: Insider, Trilaterale, Bilderberger etc.
Ob der künftige Weltkrieg - sie nennen es den «dritten Durch-
gang» — über den Nahen Osten ausgelöst wird, bleibt dahinge-
stellt. Das Ziel ihres mörderischen Spiels ist die totale Vernich-
tung der alten Ordnungen, vor allem in Westeuropa.
Es ist an der Zeit, dass Sie darüber mehr wissen und Ihre
Freunde und Bekannten warnen können. Lesen Sie DIAGNO-
SEN - das zeitkritische Magazin.
Jeden Monat auf 84 Seiten bringt DIAGNOSEN Themen, die
in der deutschen Presse sonst verschwiegen werden. Wir schik-
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